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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
das göttliche liecht der lebendigen erkäntnüß bey einem solchen menschen/ der
die wahrheit verleugnet/ zusamt dem glauben erlöschet/ so bleibet doch zu
seiner pein u. unentschuldbarkeit in dem verstand die überzeugung der buch-
stäblichen wahrheit/ welche sich mit der vorhergehenden information. so von
den päpstischen geistlichen vorgenommen wird/ so leicht nicht wegnehmen
läst/ sondern ob jene etwa so viel zu wegen bringen möchte/ daß der person ei-
nig scrupel in einigen puncten gemachet würde/ so wird doch hingegen der
stachel in dem hertzen von der vorigen erkäntnüß bleiben/ und den menschen/
der nichts desto weniger/ und etwa in weniger zeit/ welche gemeiniglich zu
dergleichen information gegeben wird/ zu jener bekäntnüß schreiten muß/
nicht weniger ängsten. Dahero insgemein aufs wenigste bey denjenigen/ die
noch sorgfältig acht gebeu/ wie es in ihrer seele stehe (was gantz sichere und fühl-
lose leute sind/ die sind ohne das in solchem stand vor GOTT) eine lange zeit
eine stete unruhe und widerspruch ihres gewissens bleibet/ das sie martert
und immer die gefahr der seelen fürhält. Welcherley zustand eines men-
schen/ wann er mit rechten augen angesehen wird/ wol vor eines der grösse-
sten elend in der welt zu achten wäre. Und wird solcher stand gemeiniglich
so lange bleiben bis GOTT gar das gericht der verstockung über sie fallen
lässet/ daß sie endlich zwar das gefühl des gewissens verliehren/ aber damit
nur so viel tieffer in die seelen-gefahr/ aus dero sich heraus zuwickeln von
menschen unmöglich wird/ hinab versencken. Daß es alsdann nach Pauli
wort heisset 2. Thess. 2/ 10. 11. 12. Darfür daß sie die liebe zur wahrheit
nicht haben angenommen/ daß sie selig würden/ darum wird ihnen
GOTT kräfftige irrthum senden/ daß sie glauben der lügen/ auf daß
gerichtet werden alle/ die der wahrheit nicht glauben/ sondern haben
lust an der ungerechtigkeit.
Aber von diesen heissets vorher/ die ver-
lohren werden.
3. Wo man ansiehet/ aus was ursach dergleichen eine heurath gesche-
hen möchte/ könte ich keine andere finden als die ehre dieser welt/ und zeitli-
che hoheit. Wie nun diese ursach in sich selbst eine mißliche sache ist/ als auf
etwas gantz ungewisses gegründet/ indem niemand versichert ist/ eine
solche irdische hoheit oder einiges anderes zeitliche nur eine woche oder mo-
nat zu geniessen/ sondern jeder/ der auch darin lebet/ in täglicher gefahr ste-
het/ daß er solche durch den tod wiederum verliehren müste. Daher es ja eine
grosse thorheit/ eine solche ungewisse sache so theuer/ nemlich mit gefahr des
verlusts eines unwiederbringlichen guten/ kauffen zu wollen: also ist
dieses/ nur in etwas die güter dieser welt/ sie mögen ehre/ herrlichkeit/ reich-
thum und wollust heissen/ in der würde achten/ daß man GOttes gnade ei-
niger-
Das ſiebende Capitel.
das goͤttliche liecht der lebendigen erkaͤntnuͤß bey einem ſolchen menſchen/ der
die wahrheit verleugnet/ zuſamt dem glauben erloͤſchet/ ſo bleibet doch zu
ſeiner pein u. unentſchuldbarkeit in dem verſtand die uͤberzeugung der buch-
ſtaͤblichen wahrheit/ welche ſich mit der vorhergehenden information. ſo von
den paͤpſtiſchen geiſtlichen vorgenommen wird/ ſo leicht nicht wegnehmen
laͤſt/ ſondern ob jene etwa ſo viel zu wegen bringen moͤchte/ daß der perſon ei-
nig ſcrupel in einigen puncten gemachet wuͤrde/ ſo wird doch hingegen der
ſtachel in dem hertzen von der vorigen erkaͤntnuͤß bleiben/ und den menſchen/
der nichts deſto weniger/ und etwa in weniger zeit/ welche gemeiniglich zu
dergleichen information gegeben wird/ zu jener bekaͤntnuͤß ſchreiten muß/
nicht weniger aͤngſten. Dahero insgemein aufs wenigſte bey denjenigen/ die
noch ſorgfaͤltig acht gebeu/ wie es in ihrer ſeele ſtehe (was gantz ſichere und fuͤhl-
loſe leute ſind/ die ſind ohne das in ſolchem ſtand vor GOTT) eine lange zeit
eine ſtete unruhe und widerſpruch ihres gewiſſens bleibet/ das ſie martert
und immer die gefahr der ſeelen fuͤrhaͤlt. Welcherley zuſtand eines men-
ſchen/ wann er mit rechten augen angeſehen wird/ wol vor eines der groͤſſe-
ſten elend in der welt zu achten waͤre. Und wird ſolcher ſtand gemeiniglich
ſo lange bleiben bis GOTT gar das gericht der verſtockung uͤber ſie fallen
laͤſſet/ daß ſie endlich zwar das gefuͤhl des gewiſſens verliehren/ aber damit
nur ſo viel tieffer in die ſeelen-gefahr/ aus dero ſich heraus zuwickeln von
menſchen unmoͤglich wird/ hinab verſencken. Daß es alsdann nach Pauli
wort heiſſet 2. Theſſ. 2/ 10. 11. 12. Darfuͤr daß ſie die liebe zur wahrheit
nicht haben angenommen/ daß ſie ſelig wuͤrden/ darum wird ihnen
GOTT kraͤfftige irrthum ſenden/ daß ſie glauben der luͤgen/ auf daß
gerichtet werden alle/ die der wahrheit nicht glauben/ ſondern haben
luſt an der ungerechtigkeit.
Aber von dieſen heiſſets vorher/ die ver-
lohren werden.
3. Wo man anſiehet/ aus was urſach dergleichen eine heurath geſche-
hen moͤchte/ koͤnte ich keine andere finden als die ehre dieſer welt/ und zeitli-
che hoheit. Wie nun dieſe urſach in ſich ſelbſt eine mißliche ſache iſt/ als auf
etwas gantz ungewiſſes gegruͤndet/ indem niemand verſichert iſt/ eine
ſolche irdiſche hoheit oder einiges anderes zeitliche nur eine woche oder mo-
nat zu genieſſen/ ſondern jeder/ der auch darin lebet/ in taͤglicher gefahr ſte-
het/ daß er ſolche durch den tod wiederum verliehren muͤſte. Daher es ja eine
groſſe thorheit/ eine ſolche ungewiſſe ſache ſo theuer/ nemlich mit gefahr des
verluſts eines unwiederbringlichen guten/ kauffen zu wollen: alſo iſt
dieſes/ nur in etwas die guͤter dieſer welt/ ſie moͤgen ehre/ herrlichkeit/ reich-
thum und wolluſt heiſſen/ in der wuͤrde achten/ daß man GOttes gnade ei-
niger-
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[354/0366] Das ſiebende Capitel. das goͤttliche liecht der lebendigen erkaͤntnuͤß bey einem ſolchen menſchen/ der die wahrheit verleugnet/ zuſamt dem glauben erloͤſchet/ ſo bleibet doch zu ſeiner pein u. unentſchuldbarkeit in dem verſtand die uͤberzeugung der buch- ſtaͤblichen wahrheit/ welche ſich mit der vorhergehenden information. ſo von den paͤpſtiſchen geiſtlichen vorgenommen wird/ ſo leicht nicht wegnehmen laͤſt/ ſondern ob jene etwa ſo viel zu wegen bringen moͤchte/ daß der perſon ei- nig ſcrupel in einigen puncten gemachet wuͤrde/ ſo wird doch hingegen der ſtachel in dem hertzen von der vorigen erkaͤntnuͤß bleiben/ und den menſchen/ der nichts deſto weniger/ und etwa in weniger zeit/ welche gemeiniglich zu dergleichen information gegeben wird/ zu jener bekaͤntnuͤß ſchreiten muß/ nicht weniger aͤngſten. Dahero insgemein aufs wenigſte bey denjenigen/ die noch ſorgfaͤltig acht gebeu/ wie es in ihrer ſeele ſtehe (was gantz ſichere und fuͤhl- loſe leute ſind/ die ſind ohne das in ſolchem ſtand vor GOTT) eine lange zeit eine ſtete unruhe und widerſpruch ihres gewiſſens bleibet/ das ſie martert und immer die gefahr der ſeelen fuͤrhaͤlt. Welcherley zuſtand eines men- ſchen/ wann er mit rechten augen angeſehen wird/ wol vor eines der groͤſſe- ſten elend in der welt zu achten waͤre. Und wird ſolcher ſtand gemeiniglich ſo lange bleiben bis GOTT gar das gericht der verſtockung uͤber ſie fallen laͤſſet/ daß ſie endlich zwar das gefuͤhl des gewiſſens verliehren/ aber damit nur ſo viel tieffer in die ſeelen-gefahr/ aus dero ſich heraus zuwickeln von menſchen unmoͤglich wird/ hinab verſencken. Daß es alsdann nach Pauli wort heiſſet 2. Theſſ. 2/ 10. 11. 12. Darfuͤr daß ſie die liebe zur wahrheit nicht haben angenommen/ daß ſie ſelig wuͤrden/ darum wird ihnen GOTT kraͤfftige irrthum ſenden/ daß ſie glauben der luͤgen/ auf daß gerichtet werden alle/ die der wahrheit nicht glauben/ ſondern haben luſt an der ungerechtigkeit. Aber von dieſen heiſſets vorher/ die ver- lohren werden. 3. Wo man anſiehet/ aus was urſach dergleichen eine heurath geſche- hen moͤchte/ koͤnte ich keine andere finden als die ehre dieſer welt/ und zeitli- che hoheit. Wie nun dieſe urſach in ſich ſelbſt eine mißliche ſache iſt/ als auf etwas gantz ungewiſſes gegruͤndet/ indem niemand verſichert iſt/ eine ſolche irdiſche hoheit oder einiges anderes zeitliche nur eine woche oder mo- nat zu genieſſen/ ſondern jeder/ der auch darin lebet/ in taͤglicher gefahr ſte- het/ daß er ſolche durch den tod wiederum verliehren muͤſte. Daher es ja eine groſſe thorheit/ eine ſolche ungewiſſe ſache ſo theuer/ nemlich mit gefahr des verluſts eines unwiederbringlichen guten/ kauffen zu wollen: alſo iſt dieſes/ nur in etwas die guͤter dieſer welt/ ſie moͤgen ehre/ herrlichkeit/ reich- thum und wolluſt heiſſen/ in der wuͤrde achten/ daß man GOttes gnade ei- niger-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/366>, abgerufen am 22.11.2024.