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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
dern ihr widerstehet/ ober wol diesen seinen feind noch nicht so überwunden/ daß er
ihm nicht unruhe machte. Es wird aber von ihm erfordert/ daß er nicht nur hertz-
lich dagegen bete/ und genau auf seiner hut seye/ damit sein feind nicht einmal unver-
sehens mehr gewalt sich nehme/ und ihn zu einigen wircklichen feindseligen thaten
und rach bringe/ sondern auch daß er von hertzen suche seinen widerwärtigen liebes-
thaten zu erzeigen/ wie er dessen gelegenheit hat/ und sonderlich so viel emsiger und
inniglicher zu GOtt vor ihn zu beten/ aufdaß er also in der that ersetze/ woran er sich
noch durch die widrigkeit seines affects/ nachdem er noch nicht so völlig darüber mei-
ster werden können/ an ihm versündiget hat. Jn dieser bewandnüß siehet GOtt das
verlangen des hertzens/ seinem nechsten gutes zu thun/ samt den liebes-thaten/ die
man mit gebet und sonsten an ihm erweiset/ sodann die betrübnüß/ die man drüber
hat/ daß man sein gemüth nicht so völlig besänfftigen kan/ vielmehr an/ als diese
schwachheit/ wider die man nach vermögen kämpffet; und haltet also einen solchen
menschen vielmehr vor einen versöhnlichen als unversöhnlichen/ jene regungen der
noch nicht völlig überwundenen natur und dero affecten ihm um Christi willen/ wil-
lig vergebende. Jedoch hat ein solcher/ wie bereits erinnert/ wol acht auf sich zu ge-
ben/ daß er seiner zur feindseligkeit geneigten natur niemal platz lasse/ als welche son-
sten leicht/ wo kein rechtschaffener widerstand geschiehet/ ihn aufs neue übermeistern
könte. Dieses sind meine wenige gedancken in solcher materie/ so ich aber nicht weiß/
ob sie sich so eigenlich auf den Casum schicken mögen/ welchen derselbe in der gotha-
nen anfrage mag vor augen gehabt haben. Der HErr lasse uns seine gegen uns
seine feinde getragene und thätlich erwiesene liebe also in unseren seelen empfinden
und schmecken/ daß auch diese zu einer inbrünstigen liebe/ wie gegen ihn selbs/ also
nicht weniger unsere beleidiger/ entzündet werden.

SECTIO XVII.
Ob man sein leben gegen einen trunckenbold durch
dessen entleibung retten dörffe?

JCh habe nechstmal von N. N. verstanden/ daß Ew. Hochgräfl. Gnaden
meine wenige meinung über die von Herr D. Müllern seinem Danck-altar
angehängte zwo fragen zu wissen begehrten. Nun halte ich zwar Herr D.
Müllern/ der sich jemehr und mehr um unsre kirche mit aufmunterung zur andacht
und treibung des wahren Christenthums in unterschiedlichen schrifften verdient ge-
macht hat/ und noch verdienet machet/ vor einen solchen mann/ über den zu urtheilen
ich zu wenig seye; wie ich dann deswegen von mir selbs solches mich nicht anmas-
sen würde/ wo ich auch nicht solte einerley gedancken mit ihm führen/ die meinige
ihm entgegen zu setzen. Wann aber Ew. Hochgräfl. Gnaden solches mir gnädig

zu

Das ſiebende Capitel.
dern ihr widerſtehet/ ober wol dieſen ſeinen feind noch nicht ſo uͤberwunden/ daß er
ihm nicht unruhe machte. Es wird aber von ihm erfordert/ daß er nicht nur hertz-
lich dagegen bete/ und genau auf ſeiner hut ſeye/ damit ſein feind nicht einmal unver-
ſehens mehr gewalt ſich nehme/ und ihn zu einigen wircklichen feindſeligen thaten
und rach bringe/ ſondern auch daß er von hertzen ſuche ſeinen widerwaͤrtigen liebes-
thaten zu erzeigen/ wie er deſſen gelegenheit hat/ und ſonderlich ſo viel emſiger und
inniglicher zu GOtt vor ihn zu beten/ aufdaß er alſo in der that erſetze/ woran er ſich
noch durch die widrigkeit ſeines affects/ nachdem er noch nicht ſo voͤllig daruͤber mei-
ſter werden koͤnnen/ an ihm verſuͤndiget hat. Jn dieſer bewandnuͤß ſiehet GOtt das
verlangen des hertzens/ ſeinem nechſten gutes zu thun/ ſamt den liebes-thaten/ die
man mit gebet und ſonſten an ihm erweiſet/ ſodann die betruͤbnuͤß/ die man druͤber
hat/ daß man ſein gemuͤth nicht ſo voͤllig beſaͤnfftigen kan/ vielmehr an/ als dieſe
ſchwachheit/ wider die man nach vermoͤgen kaͤmpffet; und haltet alſo einen ſolchen
menſchen vielmehr vor einen verſoͤhnlichen als unverſoͤhnlichen/ jene regungen der
noch nicht voͤllig uͤberwundenen natur und dero affecten ihm um Chriſti willen/ wil-
lig vergebende. Jedoch hat ein ſolcher/ wie bereits erinnert/ wol acht auf ſich zu ge-
ben/ daß er ſeiner zur feindſeligkeit geneigten natur niemal platz laſſe/ als welche ſon-
ſten leicht/ wo kein rechtſchaffener widerſtand geſchiehet/ ihn aufs neue uͤbermeiſtern
koͤnte. Dieſes ſind meine wenige gedancken in ſolcher materie/ ſo ich aber nicht weiß/
ob ſie ſich ſo eigenlich auf den Caſum ſchicken moͤgen/ welchen derſelbe in der gotha-
nen anfrage mag vor augen gehabt haben. Der HErr laſſe uns ſeine gegen uns
ſeine feinde getragene und thaͤtlich erwieſene liebe alſo in unſeren ſeelen empfinden
und ſchmecken/ daß auch dieſe zu einer inbruͤnſtigen liebe/ wie gegen ihn ſelbs/ alſo
nicht weniger unſere beleidiger/ entzuͤndet werden.

SECTIO XVII.
Ob man ſein leben gegen einen trunckenbold durch
deſſen entleibung retten doͤrffe?

JCh habe nechſtmal von N. N. verſtanden/ daß Ew. Hochgraͤfl. Gnaden
meine wenige meinung uͤber die von Herr D. Muͤllern ſeinem Danck-altar
angehaͤngte zwo fragen zu wiſſen begehrten. Nun halte ich zwar Herr D.
Muͤllern/ der ſich jemehr und mehr um unſre kirche mit aufmunterung zur andacht
und treibung des wahren Chriſtenthums in unterſchiedlichen ſchrifften verdient ge-
macht hat/ und noch verdienet machet/ vor einen ſolchen mann/ uͤber den zu urtheilen
ich zu wenig ſeye; wie ich dann deswegen von mir ſelbs ſolches mich nicht anmaſ-
ſen wuͤrde/ wo ich auch nicht ſolte einerley gedancken mit ihm fuͤhren/ die meinige
ihm entgegen zu ſetzen. Wann aber Ew. Hochgraͤfl. Gnaden ſolches mir gnaͤdig

zu
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[392/0404] Das ſiebende Capitel. dern ihr widerſtehet/ ober wol dieſen ſeinen feind noch nicht ſo uͤberwunden/ daß er ihm nicht unruhe machte. Es wird aber von ihm erfordert/ daß er nicht nur hertz- lich dagegen bete/ und genau auf ſeiner hut ſeye/ damit ſein feind nicht einmal unver- ſehens mehr gewalt ſich nehme/ und ihn zu einigen wircklichen feindſeligen thaten und rach bringe/ ſondern auch daß er von hertzen ſuche ſeinen widerwaͤrtigen liebes- thaten zu erzeigen/ wie er deſſen gelegenheit hat/ und ſonderlich ſo viel emſiger und inniglicher zu GOtt vor ihn zu beten/ aufdaß er alſo in der that erſetze/ woran er ſich noch durch die widrigkeit ſeines affects/ nachdem er noch nicht ſo voͤllig daruͤber mei- ſter werden koͤnnen/ an ihm verſuͤndiget hat. Jn dieſer bewandnuͤß ſiehet GOtt das verlangen des hertzens/ ſeinem nechſten gutes zu thun/ ſamt den liebes-thaten/ die man mit gebet und ſonſten an ihm erweiſet/ ſodann die betruͤbnuͤß/ die man druͤber hat/ daß man ſein gemuͤth nicht ſo voͤllig beſaͤnfftigen kan/ vielmehr an/ als dieſe ſchwachheit/ wider die man nach vermoͤgen kaͤmpffet; und haltet alſo einen ſolchen menſchen vielmehr vor einen verſoͤhnlichen als unverſoͤhnlichen/ jene regungen der noch nicht voͤllig uͤberwundenen natur und dero affecten ihm um Chriſti willen/ wil- lig vergebende. Jedoch hat ein ſolcher/ wie bereits erinnert/ wol acht auf ſich zu ge- ben/ daß er ſeiner zur feindſeligkeit geneigten natur niemal platz laſſe/ als welche ſon- ſten leicht/ wo kein rechtſchaffener widerſtand geſchiehet/ ihn aufs neue uͤbermeiſtern koͤnte. Dieſes ſind meine wenige gedancken in ſolcher materie/ ſo ich aber nicht weiß/ ob ſie ſich ſo eigenlich auf den Caſum ſchicken moͤgen/ welchen derſelbe in der gotha- nen anfrage mag vor augen gehabt haben. Der HErr laſſe uns ſeine gegen uns ſeine feinde getragene und thaͤtlich erwieſene liebe alſo in unſeren ſeelen empfinden und ſchmecken/ daß auch dieſe zu einer inbruͤnſtigen liebe/ wie gegen ihn ſelbs/ alſo nicht weniger unſere beleidiger/ entzuͤndet werden. 1684. SECTIO XVII. Ob man ſein leben gegen einen trunckenbold durch deſſen entleibung retten doͤrffe? JCh habe nechſtmal von N. N. verſtanden/ daß Ew. Hochgraͤfl. Gnaden meine wenige meinung uͤber die von Herr D. Muͤllern ſeinem Danck-altar angehaͤngte zwo fragen zu wiſſen begehrten. Nun halte ich zwar Herr D. Muͤllern/ der ſich jemehr und mehr um unſre kirche mit aufmunterung zur andacht und treibung des wahren Chriſtenthums in unterſchiedlichen ſchrifften verdient ge- macht hat/ und noch verdienet machet/ vor einen ſolchen mann/ uͤber den zu urtheilen ich zu wenig ſeye; wie ich dann deswegen von mir ſelbs ſolches mich nicht anmaſ- ſen wuͤrde/ wo ich auch nicht ſolte einerley gedancken mit ihm fuͤhren/ die meinige ihm entgegen zu ſetzen. Wann aber Ew. Hochgraͤfl. Gnaden ſolches mir gnaͤdig zu

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/404>, abgerufen am 22.11.2024.