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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECT. XVI.
gegen solche anstalten aufgebracht/ oder sie verdächtig gemacht werden können.
Der HERR aber befördere seine ehre allezeit/ an allen orten/ auf alle weise.
SECTIO XVI.
Was unversöhnlichkeit eigentlich seye.

DJe frage betreffend/ bekenne/ daß ich sie nicht recht fasse/ ob einige abson-
derliche umstände dabey/ oder ob allein insgemein von unversöhnlichkeit
gefraget werde. Daher ich meine antwort vielmehr auf dieses letztere rich-
ten muß/ und also die sache in diese sätze fasse. 1. Die unversöhnlichkeit/ wo man
sich nicht versöhnen oder vergeben will/ auch denenjenigen/ von welchen man mit
unrecht wäre beleidiget worden/ aber anderseits vergebung verlangt wird/ ist
ein verdamliches laster/ bey welchem der mensch keinen augenblick sich Göttlicher
gnade getrösten kan. das heilige abendmahl als ein liebesmahl und gedächtnüß
desjenigen/ welcher vor uns als seine feinde gelitten hat/ nutzet einem solchen
nichts/ sondern vermehret nur sein gericht; das gebet/ welches er thut/ ist sein
eigne anklage/ damit er von dem gnädigsten GOTT an statt der vergebung viel-
mehr die rache begehret/ und sich zuzeucht: also ist er insgesamt in solchem stan-
de aller göttlichen gnade/ güter und wirckungen unfähig: viel weniger/ da er
in einem solchen zustand seiner seelen abgefodert würde/ könte er ein erb der ewi-
gen güter werden. 2. Solche unversöhnlichkeit thut sich zwar hervor in eusserli-
chen ausbrüchen geringer geberden/ bitterer worte und rach-thaten/ welche die
sünde so viel schwerer machen/ aber sie stecket vornemlich in dem hertzen/ und
richtet GOTT nach demselbigen die menschen. Daher auch so gar/ welche
zwar eusserlich dergleichen von sich nicht sehen lassen/ indessen den groll und bit-
terkeit in dem hertzen behalten/ ligen eben so wol unter obgedachten göttlichem
gericht/ und kan in solcher bewandnüß ihrer seelen/ weder liebe noch glaube/
folglich keine gnade GOttes bey ihnen seyn. 3. Jch rede aber hierinnen von derje-
nigen unversöhnlichkeit und feindseligkeit/ welche in dem hertzen die obhand hat.
Ein ander bewandtnüß aber hat es mit einem menschen/ welcher den affecten des
hasses/ so sich bey ihm reget/ mit ernst sich widersetzet/ aber nicht nach eigenem
wunsch dieselben völlig überwinden kan: Daher es etwa geschiehet/ daß bey er-
innerung oder aufstossung seines gegentheils und beleidigers das geblüth stracks
wallet/ und in einige widerliche geberden ausbricht. Der mensch aber hat nicht
nur allein an solcher seiner schwachheit/ oder vielmehr boßheit seiner verderbten
natur/ hertzliches mißfallen/ sondern betet dagegen/ und hält sich in dem übrigen
zurück/ seinen grimm nicht weiter zu wircklichem schaden des nechsten ausbre-
chen zulassen. Ein solcher mensch kan nicht vor einen feindseligen und unversöhn-
lichen vor GOttes gericht geachtet werden/ weil er solcher sünde nicht dienet/ son-

dern
ARTIC. III. SECT. XVI.
gegen ſolche anſtalten aufgebracht/ oder ſie verdaͤchtig gemacht werden koͤnnen.
Der HERR aber befoͤrdere ſeine ehre allezeit/ an allen orten/ auf alle weiſe.
SECTIO XVI.
Was unverſoͤhnlichkeit eigentlich ſeye.

DJe frage betreffend/ bekenne/ daß ich ſie nicht recht faſſe/ ob einige abſon-
derliche umſtaͤnde dabey/ oder ob allein insgemein von unverſoͤhnlichkeit
gefraget werde. Daher ich meine antwort vielmehr auf dieſes letztere rich-
ten muß/ und alſo die ſache in dieſe ſaͤtze faſſe. 1. Die unverſoͤhnlichkeit/ wo man
ſich nicht verſoͤhnen oder vergeben will/ auch denenjenigen/ von welchen man mit
unrecht waͤre beleidiget worden/ aber anderſeits vergebung verlangt wird/ iſt
ein verdamliches laſter/ bey welchem der menſch keinen augenblick ſich Goͤttlicher
gnade getroͤſten kan. das heilige abendmahl als ein liebesmahl und gedaͤchtnuͤß
desjenigen/ welcher vor uns als ſeine feinde gelitten hat/ nutzet einem ſolchen
nichts/ ſondern vermehret nur ſein gericht; das gebet/ welches er thut/ iſt ſein
eigne anklage/ damit er von dem gnaͤdigſten GOTT an ſtatt der vergebung viel-
mehr die rache begehret/ und ſich zuzeucht: alſo iſt er insgeſamt in ſolchem ſtan-
de aller goͤttlichen gnade/ guͤter und wirckungen unfaͤhig: viel weniger/ da er
in einem ſolchen zuſtand ſeiner ſeelen abgefodert wuͤrde/ koͤnte er ein erb der ewi-
gen guͤter werden. 2. Solche unverſoͤhnlichkeit thut ſich zwar hervor in euſſerli-
chen ausbruͤchen geringer geberden/ bitterer worte und rach-thaten/ welche die
ſuͤnde ſo viel ſchwerer machen/ aber ſie ſtecket vornemlich in dem hertzen/ und
richtet GOTT nach demſelbigen die menſchen. Daher auch ſo gar/ welche
zwar euſſerlich dergleichen von ſich nicht ſehen laſſen/ indeſſen den groll und bit-
terkeit in dem hertzen behalten/ ligen eben ſo wol unter obgedachten goͤttlichem
gericht/ und kan in ſolcher bewandnuͤß ihrer ſeelen/ weder liebe noch glaube/
folglich keine gnade GOttes bey ihnen ſeyn. 3. Jch rede aber hierinnen von derje-
nigen unverſoͤhnlichkeit und feindſeligkeit/ welche in dem hertzen die obhand hat.
Ein ander bewandtnuͤß aber hat es mit einem menſchen/ welcher den affecten des
haſſes/ ſo ſich bey ihm reget/ mit ernſt ſich widerſetzet/ aber nicht nach eigenem
wunſch dieſelben voͤllig uͤberwinden kan: Daher es etwa geſchiehet/ daß bey er-
innerung oder aufſtoſſung ſeines gegentheils und beleidigers das gebluͤth ſtracks
wallet/ und in einige widerliche geberden ausbricht. Der menſch aber hat nicht
nur allein an ſolcher ſeiner ſchwachheit/ oder vielmehr boßheit ſeiner verderbten
natur/ hertzliches mißfallen/ ſondern betet dagegen/ und haͤlt ſich in dem uͤbrigen
zuruͤck/ ſeinen grimm nicht weiter zu wircklichem ſchaden des nechſten ausbre-
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[391/0403] ARTIC. III. SECT. XVI. gegen ſolche anſtalten aufgebracht/ oder ſie verdaͤchtig gemacht werden koͤnnen. Der HERR aber befoͤrdere ſeine ehre allezeit/ an allen orten/ auf alle weiſe. SECTIO XVI. Was unverſoͤhnlichkeit eigentlich ſeye. DJe frage betreffend/ bekenne/ daß ich ſie nicht recht faſſe/ ob einige abſon- derliche umſtaͤnde dabey/ oder ob allein insgemein von unverſoͤhnlichkeit gefraget werde. Daher ich meine antwort vielmehr auf dieſes letztere rich- ten muß/ und alſo die ſache in dieſe ſaͤtze faſſe. 1. Die unverſoͤhnlichkeit/ wo man ſich nicht verſoͤhnen oder vergeben will/ auch denenjenigen/ von welchen man mit unrecht waͤre beleidiget worden/ aber anderſeits vergebung verlangt wird/ iſt ein verdamliches laſter/ bey welchem der menſch keinen augenblick ſich Goͤttlicher gnade getroͤſten kan. das heilige abendmahl als ein liebesmahl und gedaͤchtnuͤß desjenigen/ welcher vor uns als ſeine feinde gelitten hat/ nutzet einem ſolchen nichts/ ſondern vermehret nur ſein gericht; das gebet/ welches er thut/ iſt ſein eigne anklage/ damit er von dem gnaͤdigſten GOTT an ſtatt der vergebung viel- mehr die rache begehret/ und ſich zuzeucht: alſo iſt er insgeſamt in ſolchem ſtan- de aller goͤttlichen gnade/ guͤter und wirckungen unfaͤhig: viel weniger/ da er in einem ſolchen zuſtand ſeiner ſeelen abgefodert wuͤrde/ koͤnte er ein erb der ewi- gen guͤter werden. 2. Solche unverſoͤhnlichkeit thut ſich zwar hervor in euſſerli- chen ausbruͤchen geringer geberden/ bitterer worte und rach-thaten/ welche die ſuͤnde ſo viel ſchwerer machen/ aber ſie ſtecket vornemlich in dem hertzen/ und richtet GOTT nach demſelbigen die menſchen. Daher auch ſo gar/ welche zwar euſſerlich dergleichen von ſich nicht ſehen laſſen/ indeſſen den groll und bit- terkeit in dem hertzen behalten/ ligen eben ſo wol unter obgedachten goͤttlichem gericht/ und kan in ſolcher bewandnuͤß ihrer ſeelen/ weder liebe noch glaube/ folglich keine gnade GOttes bey ihnen ſeyn. 3. Jch rede aber hierinnen von derje- nigen unverſoͤhnlichkeit und feindſeligkeit/ welche in dem hertzen die obhand hat. Ein ander bewandtnuͤß aber hat es mit einem menſchen/ welcher den affecten des haſſes/ ſo ſich bey ihm reget/ mit ernſt ſich widerſetzet/ aber nicht nach eigenem wunſch dieſelben voͤllig uͤberwinden kan: Daher es etwa geſchiehet/ daß bey er- innerung oder aufſtoſſung ſeines gegentheils und beleidigers das gebluͤth ſtracks wallet/ und in einige widerliche geberden ausbricht. Der menſch aber hat nicht nur allein an ſolcher ſeiner ſchwachheit/ oder vielmehr boßheit ſeiner verderbten natur/ hertzliches mißfallen/ ſondern betet dagegen/ und haͤlt ſich in dem uͤbrigen zuruͤck/ ſeinen grimm nicht weiter zu wircklichem ſchaden des nechſten ausbre- chen zulaſſen. Ein ſolcher menſch kan nicht vor einen feindſeligen und unverſoͤhn- lichen vor GOttes gericht geachtet werden/ weil er ſolcher ſuͤnde nicht dienet/ ſon- dern

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/403>, abgerufen am 22.11.2024.