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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. V. SECT. XIV.

WAs in dem schreiben wegen des zustands in dem anvertrauten hauß ge-
klagt worden, und sich seither auch wenig gebessert, wie noch ferner nach-
richt habe, ist mir zu vernehmen so vielmehr leid gewesen, als ich hingegen
von einer solchen anstalt mehr hoffnung mir gemachet, und alle christlich-gesinne-
te der gleichen mit vieler zuversicht gewünschet und erwartet haben. Aber ich sehe
mehr und mehr auch dieses zeugnüß, daß wir in den zeiten schwerer gerichte GOt-
tes stehen, weil an allen orten, wo in einiger sache mit bester absicht und etwa auch
vorsichtigkeit anstalten gemachet werden, um gutes zu befördern, fast alles zurück
schläget, oder doch aufs wenigste der verlangte zweck bey weitem nicht erreichet wer-
den muß, sondern gewinnt das ansehen, ob stünde der zorn GOTTes offenbar
entgegen, und wolte nichts rechtschaffenes zu völligem stande gebracht werden
lassen: so gar mangelts am segen und daraus erwartenden fortgang, daß man je
sagen solte, der HERR sey uns worden als ein bronn (Jer. 15, 18.) der nicht
mehr quellen will. Ob ich denn nun in solchen fällen derjenigen untreu oder nach-
läßigkeit, dadurch da und dorten so manche anstalten fruchtloß abgehen, oder doch
dero frucht sehr geschwächet wird, billig schelte, und wol weiß, daß solche sich eine
schwere verantwortung aufladen, so bleibe doch niemal an denselben kleben, son-
dern siehe billich immer durch deroselben fehler hindurch auf denjenigen, dessen ver-
hängnüß nicht nur dabey ist, sondern eben mit solchem gericht seine ungnade wider
unsre sünde bezeuget, als der uns fast sämtlich nicht mehr würdig halte, daß unsre
auch gute vorhaben von statten gehen solten. Welches billich christliche hertzen am
schmertzlichsten betrübet, und sie sich darüber vor sich und andere wehmütig vor sei-
nem angesicht zu demüthigen haben. Jndessen liget uns dennoch ob, bey allem de-
me, wo wir alles gleichsam den krebsgang zu gehen sehen, nichts destoweniger mit
aller treue fortzufahren, und die ruhe unsers gewissens nicht in deme zu suchen, was
wir ausrichten, sondern was wir in einfalt unsers hertzens redlich gethan haben.
Jndem der HErr HErr von uns allein die treue fordert, des segens zeit und maß
aber lediglich ihm selbs vorbehalten hat, dahero nicht leiden will, daß dessen aus-
bleiben bey uns verursache, daß wir auch darüber die hände gar sincken lassen. Nach-
dem in den übrigen die klagen über die widerwärtigkeiten allein in generalibus be-
stehen, bekenne, daß nicht eben so völlig penetrirte, ob werther Herr Gevatter der-
massen gehindert werde, daß er gar nichts ausrichten könne, oder nur, daß er dasje-
nige was er sonsten billich solte und wolte, nicht völlig zu erreichen vermöge. Wäre
das erste, so bin ich nicht in abrede, daß ich selbs niemand zu verbinden getrauete an
eine stelle, da er seine arbeit und fleiß schlechter dings ohne einigen nutzen anwenden
müste. Dahin aber will ich je nicht hoffen die sache bereits gekommen zu seyn: son-
dern glaube vielmehr das andere, daß geliebter Herr Gevatter dasjenige erfahren
müsse, welches ich aber denselben versichere, nicht weniger mich und andere, die es
meister orten gut meinen, zu betreffen, nemlich, daß wir zwar nicht sagen können, daß

wir
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ARTIC. V. SECT. XIV.

WAs in dem ſchreiben wegen des zuſtands in dem anvertrauten hauß ge-
klagt worden, und ſich ſeither auch wenig gebeſſert, wie noch ferner nach-
richt habe, iſt mir zu vernehmen ſo vielmehr leid geweſen, als ich hingegen
von einer ſolchen anſtalt mehr hoffnung mir gemachet, und alle chriſtlich-geſinne-
te der gleichen mit vieler zuverſicht gewuͤnſchet und erwartet haben. Aber ich ſehe
mehr und mehr auch dieſes zeugnuͤß, daß wir in den zeiten ſchwerer gerichte GOt-
tes ſtehen, weil an allen orten, wo in einiger ſache mit beſter abſicht und etwa auch
vorſichtigkeit anſtalten gemachet werden, um gutes zu befoͤrdern, faſt alles zuruͤck
ſchlaͤget, oder doch aufs wenigſte der verlangte zweck bey weitem nicht erreichet wer-
den muß, ſondern gewinnt das anſehen, ob ſtuͤnde der zorn GOTTes offenbar
entgegen, und wolte nichts rechtſchaffenes zu voͤlligem ſtande gebracht werden
laſſen: ſo gar mangelts am ſegen und daraus erwartenden fortgang, daß man je
ſagen ſolte, der HERR ſey uns worden als ein bronn (Jer. 15, 18.) der nicht
mehr quellen will. Ob ich denn nun in ſolchen faͤllen derjenigen untreu oder nach-
laͤßigkeit, dadurch da und dorten ſo manche anſtalten fruchtloß abgehen, oder doch
dero frucht ſehr geſchwaͤchet wird, billig ſchelte, und wol weiß, daß ſolche ſich eine
ſchwere verantwortung aufladen, ſo bleibe doch niemal an denſelben kleben, ſon-
dern ſiehe billich immer durch deroſelben fehler hindurch auf denjenigen, deſſen ver-
haͤngnuͤß nicht nur dabey iſt, ſondern eben mit ſolchem gericht ſeine ungnade wider
unſre ſuͤnde bezeuget, als der uns faſt ſaͤmtlich nicht mehr wuͤrdig halte, daß unſre
auch gute vorhaben von ſtatten gehen ſolten. Welches billich chriſtliche hertzen am
ſchmertzlichſten betruͤbet, und ſie ſich daruͤber vor ſich und andere wehmuͤtig vor ſei-
nem angeſicht zu demuͤthigen haben. Jndeſſen liget uns dennoch ob, bey allem de-
me, wo wir alles gleichſam den krebsgang zu gehen ſehen, nichts deſtoweniger mit
aller treue fortzufahren, und die ruhe unſers gewiſſens nicht in deme zu ſuchen, was
wir ausrichten, ſondern was wir in einfalt unſers hertzens redlich gethan haben.
Jndem der HErr HErr von uns allein die treue fordert, des ſegens zeit und maß
aber lediglich ihm ſelbs vorbehalten hat, dahero nicht leiden will, daß deſſen aus-
bleiben bey uns verurſache, daß wir auch daꝛuͤber die haͤnde gar ſincken laſſen. Nach-
dem in den uͤbrigen die klagen uͤber die widerwaͤrtigkeiten allein in generalibus be-
ſtehen, bekenne, daß nicht eben ſo voͤllig penetrirte, ob werther Herr Gevatter der-
maſſen gehindert werde, daß er gar nichts ausrichten koͤnne, oder nur, daß er dasje-
nige was er ſonſten billich ſolte und wolte, nicht voͤllig zu erreichen vermoͤge. Waͤre
das erſte, ſo bin ich nicht in abrede, daß ich ſelbs niemand zu verbinden getrauete an
eine ſtelle, da er ſeine arbeit und fleiß ſchlechter dings ohne einigen nutzen anwenden
muͤſte. Dahin aber will ich je nicht hoffen die ſache bereits gekommen zu ſeyn: ſon-
dern glaube vielmehr das andere, daß geliebter Herr Gevatter dasjenige erfahren
muͤſſe, welches ich aber denſelben verſichere, nicht weniger mich und andere, die es
meiſter orten gut meinen, zu betreffen, nemlich, daß wiꝛ zwaꝛ nicht ſagen koͤnnen, daß

wir
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[565/0577] ARTIC. V. SECT. XIV. WAs in dem ſchreiben wegen des zuſtands in dem anvertrauten hauß ge- klagt worden, und ſich ſeither auch wenig gebeſſert, wie noch ferner nach- richt habe, iſt mir zu vernehmen ſo vielmehr leid geweſen, als ich hingegen von einer ſolchen anſtalt mehr hoffnung mir gemachet, und alle chriſtlich-geſinne- te der gleichen mit vieler zuverſicht gewuͤnſchet und erwartet haben. Aber ich ſehe mehr und mehr auch dieſes zeugnuͤß, daß wir in den zeiten ſchwerer gerichte GOt- tes ſtehen, weil an allen orten, wo in einiger ſache mit beſter abſicht und etwa auch vorſichtigkeit anſtalten gemachet werden, um gutes zu befoͤrdern, faſt alles zuruͤck ſchlaͤget, oder doch aufs wenigſte der verlangte zweck bey weitem nicht erreichet wer- den muß, ſondern gewinnt das anſehen, ob ſtuͤnde der zorn GOTTes offenbar entgegen, und wolte nichts rechtſchaffenes zu voͤlligem ſtande gebracht werden laſſen: ſo gar mangelts am ſegen und daraus erwartenden fortgang, daß man je ſagen ſolte, der HERR ſey uns worden als ein bronn (Jer. 15, 18.) der nicht mehr quellen will. Ob ich denn nun in ſolchen faͤllen derjenigen untreu oder nach- laͤßigkeit, dadurch da und dorten ſo manche anſtalten fruchtloß abgehen, oder doch dero frucht ſehr geſchwaͤchet wird, billig ſchelte, und wol weiß, daß ſolche ſich eine ſchwere verantwortung aufladen, ſo bleibe doch niemal an denſelben kleben, ſon- dern ſiehe billich immer durch deroſelben fehler hindurch auf denjenigen, deſſen ver- haͤngnuͤß nicht nur dabey iſt, ſondern eben mit ſolchem gericht ſeine ungnade wider unſre ſuͤnde bezeuget, als der uns faſt ſaͤmtlich nicht mehr wuͤrdig halte, daß unſre auch gute vorhaben von ſtatten gehen ſolten. Welches billich chriſtliche hertzen am ſchmertzlichſten betruͤbet, und ſie ſich daruͤber vor ſich und andere wehmuͤtig vor ſei- nem angeſicht zu demuͤthigen haben. Jndeſſen liget uns dennoch ob, bey allem de- me, wo wir alles gleichſam den krebsgang zu gehen ſehen, nichts deſtoweniger mit aller treue fortzufahren, und die ruhe unſers gewiſſens nicht in deme zu ſuchen, was wir ausrichten, ſondern was wir in einfalt unſers hertzens redlich gethan haben. Jndem der HErr HErr von uns allein die treue fordert, des ſegens zeit und maß aber lediglich ihm ſelbs vorbehalten hat, dahero nicht leiden will, daß deſſen aus- bleiben bey uns verurſache, daß wir auch daꝛuͤber die haͤnde gar ſincken laſſen. Nach- dem in den uͤbrigen die klagen uͤber die widerwaͤrtigkeiten allein in generalibus be- ſtehen, bekenne, daß nicht eben ſo voͤllig penetrirte, ob werther Herr Gevatter der- maſſen gehindert werde, daß er gar nichts ausrichten koͤnne, oder nur, daß er dasje- nige was er ſonſten billich ſolte und wolte, nicht voͤllig zu erreichen vermoͤge. Waͤre das erſte, ſo bin ich nicht in abrede, daß ich ſelbs niemand zu verbinden getrauete an eine ſtelle, da er ſeine arbeit und fleiß ſchlechter dings ohne einigen nutzen anwenden muͤſte. Dahin aber will ich je nicht hoffen die ſache bereits gekommen zu ſeyn: ſon- dern glaube vielmehr das andere, daß geliebter Herr Gevatter dasjenige erfahren muͤſſe, welches ich aber denſelben verſichere, nicht weniger mich und andere, die es meiſter orten gut meinen, zu betreffen, nemlich, daß wiꝛ zwaꝛ nicht ſagen koͤnnen, daß wir b b b b 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/577>, abgerufen am 22.11.2024.