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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. V. SECT. XLII.
wenn des menschen Sohn, nemlich mit solcher hülffe erscheinen, er nicht glauben
finden werde. Die auserwehlte selbs werden in ihrer angst und geschrey nicht
glauben, daß die hülffe so nahe, ja bereits vorhanden seye: indem es ihnen seyn
wird, wie den träumenden Ps. 126, 1. daß sie nicht wissen, wie ihnen geschiehet
(siehe 1. Mos. 45, 26.) Diese erklärung gehet gantz ohngezwungen, und damit
hängen die wort dem verstand nach gantz wol an den vorigen; wie hingegen auch
die folgende wort so bald wider von dem gebet handeln, und zeigen, daß man in
demselben sich nicht mit dem Phariseer auf seine gerechtigkeit verlassen, sondern
mit dem Zöllner allein gnade suchen müste. Wann dann nun das vorhergehen-
de und nachfolgende alles von dem gebet handelt, ists fast etwas gezwungenes, ei-
nen Vers in der mitten heraus zu nehmen, und von etwas fremdes zu erklären. Jch
kan wol sagen, da ich sonsten unterschiedlicherley gesucht, wie dem spruch hülffe,
daß er nicht andern göttlichen sprüchen von der kirchen bevorstehenden ruhe-stand
widersprechen möchte, aber nicht eben so wol gefunden, worauf beruhete: so bald
ich aber diese erklärung nur einmal ansahe, leuchtete sie mir so starck ein, daß ich mich
davon überzeuget befinde, und von andern, die acht drauf geben, gleiches hoffen
will. Also, ob wir auch wol ein hertzliches verlangen nach der letzten zukunfft des
HERRN, und dem einbruch der seligen ewigkeit haben sollen, glaube ich doch,
daß zu unsrer zeit wir unsre häupter vielmehr dazu aufzuheben haben, daß wir se-
hen, nachdem der HERR an den seinigen sein gericht geübet, wie er die gefäng-
nüß seines volcks auch wiederum wenden, und einigen frühling vor jenem sommer
der ewigkeit uns nach seiner diener weissagung bescheren werde. Dieses ist mei-
ne hoffnung und trost, welchen ich bekenne, daß nicht vor vieles missen wolte. Jn-
dessen dringe ich niemand dasjenige auf, wessen derselbe nicht selbs aus GOT-
TES wort überzeuget ist. Der HERR verleyhe uns nur gnade, daß wir in
dem gegenwärtigen treu erfunden werden, von dem künfftigen insgemein glau-
ben, daß es, die denselben von hertzen förchten und ihm zu gehorsamen beflissen
sind, in der that und warhafftig (auch unter den trübsalen) gut haben sollen, ab-
sonderlich aber jeglicher so viel erwarten, als er aus GOTTES wort versiche-
rung hat, jedoch sich noch weiter versichern, daß GOTT niemal weniger, als er
zugesaget, leiste, gemeiniglich aber mehr, als die seinigen zu hoffen sich getrauet,
ihnen widerfahren lasse. Er lasse aber gleichwol, was er seiner kirchen zugesaget,
immer heller und heller in denselben offenbar werden, zu so viel mehrerer stärckung
auf die zeiten, da die hoffnung des künfftigen die gegenwärtige trübsalen erleich-
tern wird müssen. Nun er wird gewißlich mehr thun, als wir bitten und verste-
hen, zum preiß seiner überschwenglichen macht, und unwandelbaren warheit, ja
auch unermäßlicher gütigkeit. Amen.

SECT.

ARTIC. V. SECT. XLII.
wenn des menſchen Sohn, nemlich mit ſolcher huͤlffe erſcheinen, er nicht glauben
finden werde. Die auserwehlte ſelbs werden in ihrer angſt und geſchrey nicht
glauben, daß die huͤlffe ſo nahe, ja bereits vorhanden ſeye: indem es ihnen ſeyn
wird, wie den traͤumenden Pſ. 126, 1. daß ſie nicht wiſſen, wie ihnen geſchiehet
(ſiehe 1. Moſ. 45, 26.) Dieſe erklaͤrung gehet gantz ohngezwungen, und damit
haͤngen die wort dem verſtand nach gantz wol an den vorigen; wie hingegen auch
die folgende wort ſo bald wider von dem gebet handeln, und zeigen, daß man in
demſelben ſich nicht mit dem Phariſeer auf ſeine gerechtigkeit verlaſſen, ſondern
mit dem Zoͤllner allein gnade ſuchen muͤſte. Wann dann nun das vorhergehen-
de und nachfolgende alles von dem gebet handelt, iſts faſt etwas gezwungenes, ei-
nen Vers in der mitten heraus zu nehmen, und von etwas fremdes zu erklaͤren. Jch
kan wol ſagen, da ich ſonſten unterſchiedlicherley geſucht, wie dem ſpruch huͤlffe,
daß er nicht andern goͤttlichen ſpruͤchen von der kirchen bevorſtehenden ruhe-ſtand
widerſprechen moͤchte, aber nicht eben ſo wol gefunden, worauf beruhete: ſo bald
ich aber dieſe erklaͤꝛung nur einmal anſahe, leuchtete ſie mir ſo ſtarck ein, daß ich mich
davon uͤberzeuget befinde, und von andern, die acht drauf geben, gleiches hoffen
will. Alſo, ob wir auch wol ein hertzliches verlangen nach der letzten zukunfft des
HERRN, und dem einbruch der ſeligen ewigkeit haben ſollen, glaube ich doch,
daß zu unſrer zeit wir unſre haͤupter vielmehr dazu aufzuheben haben, daß wir ſe-
hen, nachdem der HERR an den ſeinigen ſein gericht geuͤbet, wie er die gefaͤng-
nuͤß ſeines volcks auch wiederum wenden, und einigen fruͤhling vor jenem ſommer
der ewigkeit uns nach ſeiner diener weiſſagung beſcheren werde. Dieſes iſt mei-
ne hoffnung und troſt, welchen ich bekenne, daß nicht vor vieles miſſen wolte. Jn-
deſſen dringe ich niemand dasjenige auf, weſſen derſelbe nicht ſelbs aus GOT-
TES wort uͤberzeuget iſt. Der HERR verleyhe uns nur gnade, daß wir in
dem gegenwaͤrtigen treu erfunden werden, von dem kuͤnfftigen insgemein glau-
ben, daß es, die denſelben von hertzen foͤrchten und ihm zu gehorſamen befliſſen
ſind, in der that und warhafftig (auch unter den truͤbſalen) gut haben ſollen, ab-
ſonderlich aber jeglicher ſo viel erwarten, als er aus GOTTES wort verſiche-
rung hat, jedoch ſich noch weiter verſichern, daß GOTT niemal weniger, als er
zugeſaget, leiſte, gemeiniglich aber mehr, als die ſeinigen zu hoffen ſich getrauet,
ihnen widerfahren laſſe. Er laſſe aber gleichwol, was er ſeiner kirchen zugeſaget,
immer heller und heller in denſelben offenbar werden, zu ſo viel mehrerer ſtaͤrckung
auf die zeiten, da die hoffnung des kuͤnfftigen die gegenwaͤrtige truͤbſalen erleich-
tern wird muͤſſen. Nun er wird gewißlich mehr thun, als wir bitten und verſte-
hen, zum preiß ſeiner uͤberſchwenglichen macht, und unwandelbaren warheit, ja
auch unermaͤßlicher guͤtigkeit. Amen.

SECT.
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[639/0651] ARTIC. V. SECT. XLII. wenn des menſchen Sohn, nemlich mit ſolcher huͤlffe erſcheinen, er nicht glauben finden werde. Die auserwehlte ſelbs werden in ihrer angſt und geſchrey nicht glauben, daß die huͤlffe ſo nahe, ja bereits vorhanden ſeye: indem es ihnen ſeyn wird, wie den traͤumenden Pſ. 126, 1. daß ſie nicht wiſſen, wie ihnen geſchiehet (ſiehe 1. Moſ. 45, 26.) Dieſe erklaͤrung gehet gantz ohngezwungen, und damit haͤngen die wort dem verſtand nach gantz wol an den vorigen; wie hingegen auch die folgende wort ſo bald wider von dem gebet handeln, und zeigen, daß man in demſelben ſich nicht mit dem Phariſeer auf ſeine gerechtigkeit verlaſſen, ſondern mit dem Zoͤllner allein gnade ſuchen muͤſte. Wann dann nun das vorhergehen- de und nachfolgende alles von dem gebet handelt, iſts faſt etwas gezwungenes, ei- nen Vers in der mitten heraus zu nehmen, und von etwas fremdes zu erklaͤren. Jch kan wol ſagen, da ich ſonſten unterſchiedlicherley geſucht, wie dem ſpruch huͤlffe, daß er nicht andern goͤttlichen ſpruͤchen von der kirchen bevorſtehenden ruhe-ſtand widerſprechen moͤchte, aber nicht eben ſo wol gefunden, worauf beruhete: ſo bald ich aber dieſe erklaͤꝛung nur einmal anſahe, leuchtete ſie mir ſo ſtarck ein, daß ich mich davon uͤberzeuget befinde, und von andern, die acht drauf geben, gleiches hoffen will. Alſo, ob wir auch wol ein hertzliches verlangen nach der letzten zukunfft des HERRN, und dem einbruch der ſeligen ewigkeit haben ſollen, glaube ich doch, daß zu unſrer zeit wir unſre haͤupter vielmehr dazu aufzuheben haben, daß wir ſe- hen, nachdem der HERR an den ſeinigen ſein gericht geuͤbet, wie er die gefaͤng- nuͤß ſeines volcks auch wiederum wenden, und einigen fruͤhling vor jenem ſommer der ewigkeit uns nach ſeiner diener weiſſagung beſcheren werde. Dieſes iſt mei- ne hoffnung und troſt, welchen ich bekenne, daß nicht vor vieles miſſen wolte. Jn- deſſen dringe ich niemand dasjenige auf, weſſen derſelbe nicht ſelbs aus GOT- TES wort uͤberzeuget iſt. Der HERR verleyhe uns nur gnade, daß wir in dem gegenwaͤrtigen treu erfunden werden, von dem kuͤnfftigen insgemein glau- ben, daß es, die denſelben von hertzen foͤrchten und ihm zu gehorſamen befliſſen ſind, in der that und warhafftig (auch unter den truͤbſalen) gut haben ſollen, ab- ſonderlich aber jeglicher ſo viel erwarten, als er aus GOTTES wort verſiche- rung hat, jedoch ſich noch weiter verſichern, daß GOTT niemal weniger, als er zugeſaget, leiſte, gemeiniglich aber mehr, als die ſeinigen zu hoffen ſich getrauet, ihnen widerfahren laſſe. Er laſſe aber gleichwol, was er ſeiner kirchen zugeſaget, immer heller und heller in denſelben offenbar werden, zu ſo viel mehrerer ſtaͤrckung auf die zeiten, da die hoffnung des kuͤnfftigen die gegenwaͤrtige truͤbſalen erleich- tern wird muͤſſen. Nun er wird gewißlich mehr thun, als wir bitten und verſte- hen, zum preiß ſeiner uͤberſchwenglichen macht, und unwandelbaren warheit, ja auch unermaͤßlicher guͤtigkeit. Amen. 8. Oct. 1688. SECT.

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/651>, abgerufen am 22.11.2024.