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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. V. SECT. XLVI.
zu dero fähigkeit aber keine menschliche ahnen, sondern die wahre geburt aus
GOTT gehöret. Der betrübte zustand der Rhein und Mayn-quartier, wel-
chen der heilige GOtt nun seiter einem jahr verhenget hat, ist betrübt gnug, so viel-
mehr nachdem man noch kein ende daran siehet. Wir müssen aber, wo wir in
uns gehen, mit wahrheit sagen: HERR du bist gerecht, und alle deine gerichte
sind auch recht. So scheinet, ob wolte GOtt alle die ungerechtigkeit der obern
und untern, da jene sich ihrer gewalt mißbrauchen, und vielmehr die wollust ihres
lebens als das beste der unterthanen ihren zweck lassen seyn, diese hingegen sich so
wol an denselben als sonsten an GOTT versündigen, daß er seine sonsten zu ihren
besten eingesetzte ordnung zu ihren schaden gereichen lässet, damit straffen, sie bey-
derseits in die hände derjenigen zu geben, welche also haußhalten, daß jene von
diesen nicht mehr ihre gebühr und pflicht, diese von jenen nicht mehr schutz und
hülffe erlangen mögen. Jn welchem allem, wie schwer solche trangsalen sind,
wir nicht sagen können, daß der HERR ungerecht seye, noch anders thue oder zu-
lasse, als was seine gerechtigkeit erfordert. Ob nun wol bis daher das meiste
unglück allein fast die west-seite von Teutschland betroffen hat, forge ich dannoch
sehr, daß es dabey nicht bleiben, sondern auf ihm bekante art und ordnung auch
uns anderwerts nicht weniger betreffen und heimsuchen werde, nachdem bey
grossen und kleinen das verhalten fast aller orten gleich ist, und daher die bis daher
verschonet gebliebene gleiche oder wol immer noch mehr zunehmende gerichte sich
vorzustellen und auszustehen haben. Ach daß wir uns alle dazu resolvirten, in
wahrer buß der gereitzten gerechtigkeit GOTTES zu begegnen, und nicht mehr
holtz zu dem bereits entbranten feuer beyzutragen! Hierzu wolte erfordert wer-
den, daß einerseits regenten zu glauben anfingen, daß sie nicht Herren über die
unterthanen, sondern göttlichen reichs amtleute, auch nicht um ihr selbs willen ein
wollüstiges leben zu führen, sondern das geist- und weltliche wohlseyn ihrer unter-
thanen ihren einigen zweck zu achten, und allem eignen willen weit vorzuziehen,
in der welt seyen, und sich also warhafftig darnach achteten: anderseits die unter-
thanen nebens dem gehorsam gegen die regenten den gehorsam gegen GOTT
in dem gantzen leben ihre regel seyn liessen, und erkenneten, daß ihnen nachmal
der HERR gemeiniglich solche regenten gebe, wie sie selbst werth sind, daher sich
beflissen, dem Allerhöchsten so zu dienen, daß sie von denjenigen, welchen sie in
der welt dienen, auch trost und nachdrückliche hülff genössen. Wie nun aber dieses
beyderseits scheinet in unserm Teutschland schwer zu hoffen seyn, kan ich nicht
anders als betrübte gedancken auf das künfftige mir machen. Was ich hie
schreibe, zweiffle ich nicht, daß E. Hochgräffliche Gnaden als ein mit son-
derbaren verstand begabter Herr selbst erkennen, und bekennen werden,
daß also meine aus betrübtem und jammerndem hertzen ausbrechende klagen ge-

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ARTIC. V. SECT. XLVI.
zu dero faͤhigkeit aber keine menſchliche ahnen, ſondern die wahre geburt aus
GOTT gehoͤret. Der betruͤbte zuſtand der Rhein und Mayn-quartier, wel-
chen der heilige GOtt nun ſeiter einem jahr verhenget hat, iſt betruͤbt gnug, ſo viel-
mehr nachdem man noch kein ende daran ſiehet. Wir muͤſſen aber, wo wir in
uns gehen, mit wahrheit ſagen: HERR du biſt gerecht, und alle deine gerichte
ſind auch recht. So ſcheinet, ob wolte GOtt alle die ungerechtigkeit der obern
und untern, da jene ſich ihrer gewalt mißbrauchen, und vielmehr die wolluſt ihres
lebens als das beſte der unterthanen ihren zweck laſſen ſeyn, dieſe hingegen ſich ſo
wol an denſelben als ſonſten an GOTT verſuͤndigen, daß er ſeine ſonſten zu ihren
beſten eingeſetzte ordnung zu ihren ſchaden gereichen laͤſſet, damit ſtraffen, ſie bey-
derſeits in die haͤnde derjenigen zu geben, welche alſo haußhalten, daß jene von
dieſen nicht mehr ihre gebuͤhr und pflicht, dieſe von jenen nicht mehr ſchutz und
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wir nicht ſagen koͤnnen, daß der HERR ungerecht ſeye, noch anders thue oder zu-
laſſe, als was ſeine gerechtigkeit erfordert. Ob nun wol bis daher das meiſte
ungluͤck allein faſt die weſt-ſeite von Teutſchland betroffen hat, forge ich dannoch
ſehr, daß es dabey nicht bleiben, ſondern auf ihm bekante art und ordnung auch
uns anderwerts nicht weniger betreffen und heimſuchen werde, nachdem bey
groſſen und kleinen das verhalten faſt aller orten gleich iſt, und daher die bis daher
verſchonet gebliebene gleiche oder wol immer noch mehr zunehmende gerichte ſich
vorzuſtellen und auszuſtehen haben. Ach daß wir uns alle dazu reſolvirten, in
wahrer buß der gereitzten gerechtigkeit GOTTES zu begegnen, und nicht mehr
holtz zu dem bereits entbranten feuer beyzutragen! Hierzu wolte erfordert wer-
den, daß einerſeits regenten zu glauben anfingen, daß ſie nicht Herren uͤber die
unterthanen, ſondern goͤttlichen reichs amtleute, auch nicht um ihr ſelbs willen ein
wolluͤſtiges leben zu fuͤhren, ſondern das geiſt- und weltliche wohlſeyn ihrer unter-
thanen ihren einigen zweck zu achten, und allem eignen willen weit vorzuziehen,
in der welt ſeyen, und ſich alſo warhafftig darnach achteten: anderſeits die unter-
thanen nebens dem gehorſam gegen die regenten den gehorſam gegen GOTT
in dem gantzen leben ihre regel ſeyn lieſſen, und erkenneten, daß ihnen nachmal
der HERR gemeiniglich ſolche regenten gebe, wie ſie ſelbſt werth ſind, daher ſich
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der welt dienen, auch troſt und nachdruͤckliche huͤlff genoͤſſen. Wie nun aber dieſes
beyderſeits ſcheinet in unſerm Teutſchland ſchwer zu hoffen ſeyn, kan ich nicht
anders als betruͤbte gedancken auf das kuͤnfftige mir machen. Was ich hie
ſchreibe, zweiffle ich nicht, daß E. Hochgraͤffliche Gnaden als ein mit ſon-
derbaren verſtand begabter Herr ſelbſt erkennen, und bekennen werden,
daß alſo meine aus betruͤbtem und jammerndem hertzen ausbrechende klagen ge-

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[645/0657] ARTIC. V. SECT. XLVI. zu dero faͤhigkeit aber keine menſchliche ahnen, ſondern die wahre geburt aus GOTT gehoͤret. Der betruͤbte zuſtand der Rhein und Mayn-quartier, wel- chen der heilige GOtt nun ſeiter einem jahr verhenget hat, iſt betruͤbt gnug, ſo viel- mehr nachdem man noch kein ende daran ſiehet. Wir muͤſſen aber, wo wir in uns gehen, mit wahrheit ſagen: HERR du biſt gerecht, und alle deine gerichte ſind auch recht. So ſcheinet, ob wolte GOtt alle die ungerechtigkeit der obern und untern, da jene ſich ihrer gewalt mißbrauchen, und vielmehr die wolluſt ihres lebens als das beſte der unterthanen ihren zweck laſſen ſeyn, dieſe hingegen ſich ſo wol an denſelben als ſonſten an GOTT verſuͤndigen, daß er ſeine ſonſten zu ihren beſten eingeſetzte ordnung zu ihren ſchaden gereichen laͤſſet, damit ſtraffen, ſie bey- derſeits in die haͤnde derjenigen zu geben, welche alſo haußhalten, daß jene von dieſen nicht mehr ihre gebuͤhr und pflicht, dieſe von jenen nicht mehr ſchutz und huͤlffe erlangen moͤgen. Jn welchem allem, wie ſchwer ſolche trangſalen ſind, wir nicht ſagen koͤnnen, daß der HERR ungerecht ſeye, noch anders thue oder zu- laſſe, als was ſeine gerechtigkeit erfordert. Ob nun wol bis daher das meiſte ungluͤck allein faſt die weſt-ſeite von Teutſchland betroffen hat, forge ich dannoch ſehr, daß es dabey nicht bleiben, ſondern auf ihm bekante art und ordnung auch uns anderwerts nicht weniger betreffen und heimſuchen werde, nachdem bey groſſen und kleinen das verhalten faſt aller orten gleich iſt, und daher die bis daher verſchonet gebliebene gleiche oder wol immer noch mehr zunehmende gerichte ſich vorzuſtellen und auszuſtehen haben. Ach daß wir uns alle dazu reſolvirten, in wahrer buß der gereitzten gerechtigkeit GOTTES zu begegnen, und nicht mehr holtz zu dem bereits entbranten feuer beyzutragen! Hierzu wolte erfordert wer- den, daß einerſeits regenten zu glauben anfingen, daß ſie nicht Herren uͤber die unterthanen, ſondern goͤttlichen reichs amtleute, auch nicht um ihr ſelbs willen ein wolluͤſtiges leben zu fuͤhren, ſondern das geiſt- und weltliche wohlſeyn ihrer unter- thanen ihren einigen zweck zu achten, und allem eignen willen weit vorzuziehen, in der welt ſeyen, und ſich alſo warhafftig darnach achteten: anderſeits die unter- thanen nebens dem gehorſam gegen die regenten den gehorſam gegen GOTT in dem gantzen leben ihre regel ſeyn lieſſen, und erkenneten, daß ihnen nachmal der HERR gemeiniglich ſolche regenten gebe, wie ſie ſelbſt werth ſind, daher ſich befliſſen, dem Allerhoͤchſten ſo zu dienen, daß ſie von denjenigen, welchen ſie in der welt dienen, auch troſt und nachdruͤckliche huͤlff genoͤſſen. Wie nun aber dieſes beyderſeits ſcheinet in unſerm Teutſchland ſchwer zu hoffen ſeyn, kan ich nicht anders als betruͤbte gedancken auf das kuͤnfftige mir machen. Was ich hie ſchreibe, zweiffle ich nicht, daß E. Hochgraͤffliche Gnaden als ein mit ſon- derbaren verſtand begabter Herr ſelbſt erkennen, und bekennen werden, daß alſo meine aus betruͤbtem und jammerndem hertzen ausbrechende klagen ge- wiß m m m m 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/657>, abgerufen am 22.11.2024.