gen GOttes, des richters über alle, welcher richten wird nach seinem wort Joh. 12, 48. Rom. 2, 16. Welcher auch am allerbesten verstehet, was seiner gerechtigkeit gemäß seye, und wider dieselbe nichts thut oder thun kan, in massen seine gerechtigkeit und gnade er selbsten ist. Wo wir nun also das göttliche wort klar vor augen haben, so lässet sichs nicht thun, daß un- sere vernunft demselben widersprechen wolte, sondern ist wol dagegen ge- antwortet worden, daß wir in solchen stücken, wo die göttliche warheit klar vor augen liget, dieselbe gefangen müssen nehmen unter den gehor- sam des glaubens. Wir erfahren ja unserer vernunfft schwachheit in allen dingen, und solte, je fleißiger wir auf dieselbe acht geben, so vielmehr dero- selben credit bey uns abnehmen. Es dencke nur jeglicher an seine eigene seele, was dieselbe thut, und wie es mit vielen ihren wirckungen (zum exem- pel in den tr[ä]umen) bewandt seye, wird er nicht finden, daß er wenig verste- he, was er selbs seye und thue, sondern daß das liecht mehr eine noch dun- ckle dämmerung bey ihm seye als ein tag? Erkennet die seele aber mit aller ihrer vernunfft nicht das jenige, was sie selbs thut, und in ihr geschihet, wie viel soll ich ihr zutrauen in den dingen, welche ausser ihr sind? Und was die göttliche regierung angehet, wie viel casus kommen uns stätig vor in dem eusserlichen leben, da unserer vernunfft schwer oder unmüglich wird, zu be- greiffen, wie es mit göttlicher gerechtigkeit übereinkomme: Es hat schon bey jenem Poeten geheissen.
Jch weiß, daß man in allen solchen begebenheiten einige auch vernünfftige ursachen anzeigen kan, welche die göttliche gerechtigkeit retten und dem mur- ren der vernunfft ein genüge leisten sollen, aber sie wird doch allezeit dagegen zu widersprechen finden, wo sie sich nicht resolviren kan, etwas sich herab zu- lassen, und zu glauben, die göttliche gerechtigkeit stehe in einem höhern liecht, als sie zu begreiffen vermöge, und also daß sie aufs wenigste sich etlicher massen dem glauben unterwerffe. Wer aber so fest auf dem urtheil der ver- nunfft beharret, daß die sich nie beugen solle, den wolte ich gern dahin wei- sen, daß er erwege, ob nicht offt einem einfältigen das jenige gantz unge- recht vorkomme, was die Obrigkeit und zwar nach den reglen der gerech- tigkeit urtheilet, weil ers nicht verstehet, ja ob nicht geschehen könne, daß auch verständige leute offtmals in hoher Obrigkeiten gewissen aussprü- chen nicht erkennen können, daß sie gerecht seyen, da sie es doch sind, sonder- lich wo einige ursachen und umstände dabey vorgelauffen, auf die sonderlich gesehen wird, und aus sichern staats, rationen dieselbe nicht offentlich ge-
macht
Das ſiebende Capitel.
gen GOttes, des richters uͤber alle, welcher richten wird nach ſeinem wort Joh. 12, 48. Rom. 2, 16. Welcher auch am allerbeſten verſtehet, was ſeiner gerechtigkeit gemaͤß ſeye, und wider dieſelbe nichts thut oder thun kan, in maſſen ſeine gerechtigkeit und gnade er ſelbſten iſt. Wo wir nun alſo das goͤttliche wort klar vor augen haben, ſo laͤſſet ſichs nicht thun, daß un- ſere vernunft demſelben widerſprechen wolte, ſondern iſt wol dagegen ge- antwortet worden, daß wir in ſolchen ſtuͤcken, wo die goͤttliche warheit klar vor augen liget, dieſelbe gefangen muͤſſen nehmen unter den gehor- ſam des glaubens. Wir erfahren ja unſerer vernunfft ſchwachheit in allen dingen, und ſolte, je fleißiger wir auf dieſelbe acht geben, ſo vielmehr dero- ſelben credit bey uns abnehmen. Es dencke nur jeglicher an ſeine eigene ſeele, was dieſelbe thut, und wie es mit vielen ihren wirckungen (zum exem- pel in den tr[aͤ]umen) bewandt ſeye, wird er nicht finden, daß er wenig verſte- he, was er ſelbs ſeye und thue, ſondern daß das liecht mehr eine noch dun- ckle daͤmmerung bey ihm ſeye als ein tag? Erkennet die ſeele aber mit aller ihrer vernunfft nicht das jenige, was ſie ſelbs thut, und in ihr geſchihet, wie viel ſoll ich ihr zutrauen in den dingen, welche auſſer ihr ſind? Und was die goͤttliche regierung angehet, wie viel caſus kommen uns ſtaͤtig vor in dem euſſerlichen leben, da unſerer vernunfft ſchwer oder unmuͤglich wird, zu be- greiffen, wie es mit goͤttlicher gerechtigkeit uͤbereinkomme: Es hat ſchon bey jenem Poeten geheiſſen.
Jch weiß, daß man in allen ſolchen begebenheiten einige auch vernuͤnfftige urſachen anzeigen kan, welche die goͤttliche gerechtigkeit retten und dem mur- ren der vernunfft ein genuͤge leiſten ſollen, aber ſie wird doch allezeit dagegen zu widerſprechen finden, wo ſie ſich nicht reſolviren kan, etwas ſich herab zu- laſſen, und zu glauben, die goͤttliche gerechtigkeit ſtehe in einem hoͤhern liecht, als ſie zu begreiffen vermoͤge, und alſo daß ſie aufs wenigſte ſich etlicher maſſen dem glauben unterwerffe. Wer aber ſo feſt auf dem urtheil der ver- nunfft beharret, daß die ſich nie beugen ſolle, den wolte ich gern dahin wei- ſen, daß er erwege, ob nicht offt einem einfaͤltigen das jenige gantz unge- recht vorkomme, was die Obrigkeit und zwar nach den reglen der gerech- tigkeit urtheilet, weil ers nicht verſtehet, ja ob nicht geſchehen koͤnne, daß auch verſtaͤndige leute offtmals in hoher Obrigkeiten gewiſſen ausſpruͤ- chen nicht erkennen koͤnnen, daß ſie gerecht ſeyen, da ſie es doch ſind, ſonder- lich wo einige urſachen und umſtaͤnde dabey vorgelauffen, auf die ſonderlich geſehen wird, und aus ſichern ſtaats, rationen dieſelbe nicht offentlich ge-
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[56/0068]
Das ſiebende Capitel.
gen GOttes, des richters uͤber alle, welcher richten wird nach ſeinem wort
Joh. 12, 48. Rom. 2, 16. Welcher auch am allerbeſten verſtehet, was
ſeiner gerechtigkeit gemaͤß ſeye, und wider dieſelbe nichts thut oder thun kan,
in maſſen ſeine gerechtigkeit und gnade er ſelbſten iſt. Wo wir nun alſo
das goͤttliche wort klar vor augen haben, ſo laͤſſet ſichs nicht thun, daß un-
ſere vernunft demſelben widerſprechen wolte, ſondern iſt wol dagegen ge-
antwortet worden, daß wir in ſolchen ſtuͤcken, wo die goͤttliche warheit
klar vor augen liget, dieſelbe gefangen muͤſſen nehmen unter den gehor-
ſam des glaubens. Wir erfahren ja unſerer vernunfft ſchwachheit in allen
dingen, und ſolte, je fleißiger wir auf dieſelbe acht geben, ſo vielmehr dero-
ſelben credit bey uns abnehmen. Es dencke nur jeglicher an ſeine eigene
ſeele, was dieſelbe thut, und wie es mit vielen ihren wirckungen (zum exem-
pel in den traͤumen) bewandt ſeye, wird er nicht finden, daß er wenig verſte-
he, was er ſelbs ſeye und thue, ſondern daß das liecht mehr eine noch dun-
ckle daͤmmerung bey ihm ſeye als ein tag? Erkennet die ſeele aber mit aller
ihrer vernunfft nicht das jenige, was ſie ſelbs thut, und in ihr geſchihet,
wie viel ſoll ich ihr zutrauen in den dingen, welche auſſer ihr ſind? Und was
die goͤttliche regierung angehet, wie viel caſus kommen uns ſtaͤtig vor in dem
euſſerlichen leben, da unſerer vernunfft ſchwer oder unmuͤglich wird, zu be-
greiffen, wie es mit goͤttlicher gerechtigkeit uͤbereinkomme: Es hat ſchon bey
jenem Poeten geheiſſen.
Marmoreo Licinus tumulo cubat, & Cato parvo,
Pompejus nullo: quis putet eſſe Deos?
Jch weiß, daß man in allen ſolchen begebenheiten einige auch vernuͤnfftige
urſachen anzeigen kan, welche die goͤttliche gerechtigkeit retten und dem mur-
ren der vernunfft ein genuͤge leiſten ſollen, aber ſie wird doch allezeit dagegen
zu widerſprechen finden, wo ſie ſich nicht reſolviren kan, etwas ſich herab zu-
laſſen, und zu glauben, die goͤttliche gerechtigkeit ſtehe in einem hoͤhern liecht,
als ſie zu begreiffen vermoͤge, und alſo daß ſie aufs wenigſte ſich etlicher
maſſen dem glauben unterwerffe. Wer aber ſo feſt auf dem urtheil der ver-
nunfft beharret, daß die ſich nie beugen ſolle, den wolte ich gern dahin wei-
ſen, daß er erwege, ob nicht offt einem einfaͤltigen das jenige gantz unge-
recht vorkomme, was die Obrigkeit und zwar nach den reglen der gerech-
tigkeit urtheilet, weil ers nicht verſtehet, ja ob nicht geſchehen koͤnne, daß
auch verſtaͤndige leute offtmals in hoher Obrigkeiten gewiſſen ausſpruͤ-
chen nicht erkennen koͤnnen, daß ſie gerecht ſeyen, da ſie es doch ſind, ſonder-
lich wo einige urſachen und umſtaͤnde dabey vorgelauffen, auf die ſonderlich
geſehen wird, und aus ſichern ſtaats, rationen dieſelbe nicht offentlich ge-
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/68>, abgerufen am 27.11.2024.
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