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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
treulich anzuwenden/ bis er mich etwa nach seinem willen eines mehreren wür-
dig und fähig machen wolte. Jch freue mich seiner liebe die derselbe zu dem wort
des HErrn in der h. schrifft bezeuget/ welche wir ja billich allen andern büchern/
wie köstlich sie auch geschrieben zu seyn scheinen möchten/ und freylich auch viel
gutes in sich fassen können, so weit vorzuziehen haben/ als der Geist GOttes
dem geist des menschen vorgezogen zu werden unwidersprechlich würdig ist.
Und wolte GOtt/ wie unsere kirch in ihren bekantnüssen solches heilige buch des
lebens nach würden erhebet/ es geschehe solches auch in praxi zu allen zeiten
bey uns/ und würde so wol bey den studirenden/ die zu dem künfftigen dienst
der gemeinden sollen bereitet werden/ dieses buch des lebens am meisten getrie-
ben/ und der gröste fleiß dahin angewandt/ dasselbe vielmehr als alle andere
wissenschafften und künsten/ recht lebendig ins hertz zu bringen/ wir sehen auch
alle dasselbe warhafftig billig stäts an/ als die regel unsers glaubens und le-
bens in der that. Jn jenem alle wahrheit/ die wir erkennen/ vielmehr auf des
H. Geistes als aller unsrer vornehmsten lehrer autorität gründende, in diesem
auch unsre pflichten nicht auf die meinungen derjenigen/ welche in ansehen sind/
und besorglich dem fleisch zu weilen lieber mehrere freyheit gestatten als diese
wie sich gebühret einschrencken/ sondern auf die klare worte des HErrn und
und seiner mundboten ohne dero krafft schwächende glossen setzende! Geschehe
dieses/ so achtete ich/ daß unsrer kirche meistentheils geholffen/ vielen streitig-
keiten und unnützen zanck gesteuret/ alles wiederum zur alten glaubens einfalt
gebracht/ und die rechtschaffene heiligung/ die nicht in bloß eusserlichem erbaren
wandel bestehet/ sondern in der änderung der hertzen selbst gesucht werdenmuß,
eingeführet würde werden. Wie ich dann darinnen das meiste verderben bey
uns suche/ daß ihrer so viele dermassen auf das äuserlich verfallen sind/ daß nach
vieler meinung das gantze christenthum/ was das leben anlangt/ nichts anders
erfordert als eine f[e]ine moralität und ordnung in dem eusserl. wandel/ in dem
hertzen aber keine andere tugenden/ als wie sie etwa Aristoteles, Seneca oder
andre heiden auch erfordert/ und wie man durch übung in denselben einen ha-
bitum
erlangen müsse/ gezeiget haben: ohne daß eine solche änderung der see-
len getrieben würde die durch keine der vernunfft oder natur kräfften zu wegen
gebracht werden kan/ sondern einer göttl. schöpffung und warhafftigen wieder-
geburt bedarff/ aus dero man nochmal das gesetz/ wie es geistlich ist/ erkennet u.
nunmehr zu seinem spiegel u. regel in solchem ansehen setzt, da alsdenn das chri-
stenthum gar was anders wird/ als die höchste tugenden des blos-moral-lebens,
u. viel von eigener u. der welt liebe ausgeschaft haben wil/ was die auch erbarste
welt nicht vor unrecht erkennet/ ja wol gar vor tugenden oder dero antrieb achtet.
Jch liebe auch an demselben dessen inbrünstigkeit in dem gebet/ welches freylich
wir das augenblickliche mittel unserer heiligung und erhaltung/ also auch die
hand aus der hand Gottes unsre nothdurft zu empfangen/ bey andern aber die der

HErr

Das ſiebende Capitel.
treulich anzuwenden/ bis er mich etwa nach ſeinem willen eines mehreren wuͤr-
dig und faͤhig machen wolte. Jch freue mich ſeiner liebe die derſelbe zu dem wort
des HErrn in der h. ſchrifft bezeuget/ welche wir ja billich allen andern buͤchern/
wie koͤſtlich ſie auch geſchrieben zu ſeyn ſcheinen moͤchten/ und freylich auch viel
gutes in ſich faſſen koͤnnen, ſo weit vorzuziehen haben/ als der Geiſt GOttes
dem geiſt des menſchen vorgezogen zu werden unwiderſprechlich wuͤrdig iſt.
Und wolte GOtt/ wie unſere kirch in ihren bekantnuͤſſen ſolches heilige buch des
lebens nach wuͤrden erhebet/ es geſchehe ſolches auch in praxi zu allen zeiten
bey uns/ und wuͤrde ſo wol bey den ſtudirenden/ die zu dem kuͤnfftigen dienſt
der gemeinden ſollen bereitet werden/ dieſes buch des lebens am meiſten getrie-
ben/ und der groͤſte fleiß dahin angewandt/ daſſelbe vielmehr als alle andere
wiſſenſchafften und kuͤnſten/ recht lebendig ins hertz zu bringen/ wir ſehen auch
alle daſſelbe warhafftig billig ſtaͤts an/ als die regel unſers glaubens und le-
bens in der that. Jn jenem alle wahrheit/ die wir erkennen/ vielmehr auf des
H. Geiſtes als aller unſrer vornehmſten lehrer autoritaͤt gruͤndende, in dieſem
auch unſre pflichten nicht auf die meinungen derjenigen/ welche in anſehen ſind/
und beſorglich dem fleiſch zu weilen lieber mehrere freyheit geſtatten als dieſe
wie ſich gebuͤhret einſchrencken/ ſondern auf die klare worte des HErrn und
und ſeiner mundboten ohne dero krafft ſchwaͤchende gloſſen ſetzende! Geſchehe
dieſes/ ſo achtete ich/ daß unſrer kirche meiſtentheils geholffen/ vielen ſtreitig-
keiten und unnuͤtzen zanck geſteuret/ alles wiederum zur alten glaubens einfalt
gebracht/ und die rechtſchaffene heiligung/ die nicht in bloß euſſerlichem erbaren
wandel beſtehet/ ſondern in der aͤnderung der hertzen ſelbſt geſucht werdenmuß,
eingefuͤhret wuͤrde werden. Wie ich dann darinnen das meiſte verderben bey
uns ſuche/ daß ihrer ſo viele dermaſſen auf das aͤuſerlich veꝛfallen ſind/ daß nach
vieler meinung das gantze chriſtenthum/ was das leben anlangt/ nichts anders
erfordert als eine f[e]ine moralitaͤt und ordnung in dem euſſerl. wandel/ in dem
hertzen aber keine andere tugenden/ als wie ſie etwa Ariſtoteles, Seneca oder
andre heiden auch erfordert/ und wie man durch uͤbung in denſelben einen ha-
bitum
erlangen muͤſſe/ gezeiget haben: ohne daß eine ſolche aͤnderung der ſee-
len getrieben wuͤrde die durch keine der vernunfft oder natur kraͤfften zu wegen
gebracht werden kan/ ſondern einer goͤttl. ſchoͤpffung und warhafftigen wieder-
geburt bedarff/ aus dero man nochmal das geſetz/ wie es geiſtlich iſt/ erkennet u.
nunmehꝛ zu ſeinem ſpiegel u. regel in ſolchem anſehen ſetzt, da alsdenn das chri-
ſtenthum gar was anders wird/ als die hoͤchſte tugendẽ des blos-moral-lebens,
u. viel von eigener u. der welt liebe ausgeſchaft haben wil/ was die auch erbarſte
welt nicht vor unrecht erkeñet/ ja wol gar vor tugenden oder dero antrieb achtet.
Jch liebe auch an demſelben deſſen inbruͤnſtigkeit in dem gebet/ welches freylich
wir das augenblickliche mittel unſerer heiligung und erhaltung/ alſo auch die
hand aus der hand Gottes unſre nothdurft zu empfangẽ/ bey andern aber die deꝛ

HErr
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[676/0688] Das ſiebende Capitel. treulich anzuwenden/ bis er mich etwa nach ſeinem willen eines mehreren wuͤr- dig und faͤhig machen wolte. Jch freue mich ſeiner liebe die derſelbe zu dem wort des HErrn in der h. ſchrifft bezeuget/ welche wir ja billich allen andern buͤchern/ wie koͤſtlich ſie auch geſchrieben zu ſeyn ſcheinen moͤchten/ und freylich auch viel gutes in ſich faſſen koͤnnen, ſo weit vorzuziehen haben/ als der Geiſt GOttes dem geiſt des menſchen vorgezogen zu werden unwiderſprechlich wuͤrdig iſt. Und wolte GOtt/ wie unſere kirch in ihren bekantnuͤſſen ſolches heilige buch des lebens nach wuͤrden erhebet/ es geſchehe ſolches auch in praxi zu allen zeiten bey uns/ und wuͤrde ſo wol bey den ſtudirenden/ die zu dem kuͤnfftigen dienſt der gemeinden ſollen bereitet werden/ dieſes buch des lebens am meiſten getrie- ben/ und der groͤſte fleiß dahin angewandt/ daſſelbe vielmehr als alle andere wiſſenſchafften und kuͤnſten/ recht lebendig ins hertz zu bringen/ wir ſehen auch alle daſſelbe warhafftig billig ſtaͤts an/ als die regel unſers glaubens und le- bens in der that. Jn jenem alle wahrheit/ die wir erkennen/ vielmehr auf des H. Geiſtes als aller unſrer vornehmſten lehrer autoritaͤt gruͤndende, in dieſem auch unſre pflichten nicht auf die meinungen derjenigen/ welche in anſehen ſind/ und beſorglich dem fleiſch zu weilen lieber mehrere freyheit geſtatten als dieſe wie ſich gebuͤhret einſchrencken/ ſondern auf die klare worte des HErrn und und ſeiner mundboten ohne dero krafft ſchwaͤchende gloſſen ſetzende! Geſchehe dieſes/ ſo achtete ich/ daß unſrer kirche meiſtentheils geholffen/ vielen ſtreitig- keiten und unnuͤtzen zanck geſteuret/ alles wiederum zur alten glaubens einfalt gebracht/ und die rechtſchaffene heiligung/ die nicht in bloß euſſerlichem erbaren wandel beſtehet/ ſondern in der aͤnderung der hertzen ſelbſt geſucht werdenmuß, eingefuͤhret wuͤrde werden. Wie ich dann darinnen das meiſte verderben bey uns ſuche/ daß ihrer ſo viele dermaſſen auf das aͤuſerlich veꝛfallen ſind/ daß nach vieler meinung das gantze chriſtenthum/ was das leben anlangt/ nichts anders erfordert als eine feine moralitaͤt und ordnung in dem euſſerl. wandel/ in dem hertzen aber keine andere tugenden/ als wie ſie etwa Ariſtoteles, Seneca oder andre heiden auch erfordert/ und wie man durch uͤbung in denſelben einen ha- bitum erlangen muͤſſe/ gezeiget haben: ohne daß eine ſolche aͤnderung der ſee- len getrieben wuͤrde die durch keine der vernunfft oder natur kraͤfften zu wegen gebracht werden kan/ ſondern einer goͤttl. ſchoͤpffung und warhafftigen wieder- geburt bedarff/ aus dero man nochmal das geſetz/ wie es geiſtlich iſt/ erkennet u. nunmehꝛ zu ſeinem ſpiegel u. regel in ſolchem anſehen ſetzt, da alsdenn das chri- ſtenthum gar was anders wird/ als die hoͤchſte tugendẽ des blos-moral-lebens, u. viel von eigener u. der welt liebe ausgeſchaft haben wil/ was die auch erbarſte welt nicht vor unrecht erkeñet/ ja wol gar vor tugenden oder dero antrieb achtet. Jch liebe auch an demſelben deſſen inbruͤnſtigkeit in dem gebet/ welches freylich wir das augenblickliche mittel unſerer heiligung und erhaltung/ alſo auch die hand aus der hand Gottes unſre nothdurft zu empfangẽ/ bey andern aber die deꝛ HErr

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/688>, abgerufen am 22.11.2024.