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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECTIO III.
warum ers so und so angreifft, so können wir nicht in zweifel ziehen, daß der aller-
weiseste rath GOttes in keinem stück nichts thue, ohne solche ursachen, die wichtig
und seiner weißheit, warheit, gerechtigkeit und gütigkeit gemäß sind, und in denen
allen er auf beförderung seiner ehre, und des menschen heyl seine absicht hat. 5. Jn-
dessen hat seine weißheit nicht nützlich gefunden, solche ursachen, warum er diesem
und jenem, diese und nicht eine andere art leidens bestimmet, uns zu offenbaren,
nachdem wir theils, solche in dem sie zum grunde die erkäntnüß des innersten des
hertzens, so dann der künftigen dinge, haben, doch nicht recht fassen, theils aber uns
derselben auf ein oder andere art mißbrauchen, u. insgesamt vielmehr schaden als
nutzen davon haben würden. Daher uns nicht zukömmt, die besondere ursachen zu
forschen, das eine vermessenheit wäre, und wir die warheit doch nicht finden wür-
den, sondern unsere kindliche pflicht erfodert, wie von des liebsten vaters hand al-
les mit demuth und glaubigen vertrauen anzunehmen, also auch zu glauben, was
er an uns und andern thue, und aus seinem rath geschehen lasse, komme von dem
her, der nichts böse macht, ja aus dem bösen gutes hervor zu bringen weiß. Die-
ser glaube solle unsere hertzen zur ruhe setzen, auch alsdenn wo wir die besondere
ursachen unserer und anderer begegnüssen nicht finden können, oder gar solche zu
finden meinen, die unseren glauben entgegen wären.
II. Was leidende und die es mit ihnen zu thun haben anlanget, möchte in
folgenden bestehen. 1. Daß solche personen sich fleißig forschen, und ihr gewis-
sen untersuchen, wie sie bis auf solche verhängnüsse und auch unter derselben sich
vor GOTT aufgeführet haben: ob sie bey sich ein solches leben, diese und jene
sünde, deren sie innerlich oder euserlich gedienet hätten, finden möchten, die
nicht nur göttlichen zorn gereitzet, sondern GOTT gleichsam genöthiget hätte,
sie eine weile dem Satan zu übergeben zum verderben des fleisches, damit der
geist selig werde. Wie es dann der göttlichen gnade allerdings gemäß ist, in
gefährlichen kranckheiten auch beschwerliche artzneyen zu gebrauchen, und zu
derjenigen sünden, die man bey guten tagen nicht achtet, noch ihre gefahr erken-
net, erkäntnüß auf harte art zu bringen. Findet nun eine seele dergleichen bey
sich, und wird einer solchen sünde überzeuget, oder auch, daß sie sich so bald bey
dem anfang des zugesandten nicht in göttliche ordnung wie sichs gebühret geschi-
cket, so ist das erste, daß sie sich drüber bußfertig vor GOTT demüthige, gött-
liche gerechtigkeit über sich recht spreche, und nicht über GOTTES verhäng-
nüß, sondern über die eigne sünde murre, daher auch solche nach ihrer schwere und
abscheuligkeit erwege und einen greuel darüber fasse, ja sie dermassen zu hassen
anfange und fortfahre, also daß das übrige gantze leben, wie insgesamt in
wahrer bußübung, also sonderlich reinigung von der vornehmsten befundenen
sünde, zugebracht werden möge. 2. Dahin gehöret auch eine so viel sorgfälti-
gere verwahrung des gewissens in allen stücken des gantzen lebens. Es ist zwar die-
ses ein stück des christenthums bey allen wahren christen, daß sie keine sünde gering,
oder
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ARTIC. VI. SECTIO III.
warum ers ſo und ſo angreifft, ſo koͤnnen wir nicht in zweifel ziehen, daß der aller-
weiſeſte rath GOttes in keinem ſtuͤck nichts thue, ohne ſolche urſachen, die wichtig
und ſeiner weißheit, warheit, gerechtigkeit und guͤtigkeit gemaͤß ſind, und in denen
allen er auf befoͤrderung ſeiner ehre, und des menſchen heyl ſeine abſicht hat. 5. Jn-
deſſen hat ſeine weißheit nicht nuͤtzlich gefunden, ſolche urſachen, warum er dieſem
und jenem, dieſe und nicht eine andere art leidens beſtimmet, uns zu offenbaren,
nachdem wir theils, ſolche in dem ſie zum grunde die erkaͤntnuͤß des innerſten des
hertzens, ſo dann der kuͤnftigen dinge, haben, doch nicht recht faſſen, theils aber uns
derſelben auf ein oder andere art mißbrauchen, u. insgeſamt vielmehr ſchaden als
nutzen davon haben wuͤrden. Daher uns nicht zukoͤmmt, die beſondere urſachen zu
forſchen, das eine vermeſſenheit waͤre, und wir die warheit doch nicht finden wuͤr-
den, ſondern unſere kindliche pflicht erfodert, wie von des liebſten vaters hand al-
les mit demuth und glaubigen vertrauen anzunehmen, alſo auch zu glauben, was
er an uns und andern thue, und aus ſeinem rath geſchehen laſſe, komme von dem
her, der nichts boͤſe macht, ja aus dem boͤſen gutes hervor zu bringen weiß. Die-
ſer glaube ſolle unſere hertzen zur ruhe ſetzen, auch alsdenn wo wir die beſondere
urſachen unſerer und anderer begegnuͤſſen nicht finden koͤnnen, oder gar ſolche zu
finden meinen, die unſeren glauben entgegen waͤren.
II. Was leidende und die es mit ihnen zu thun haben anlanget, moͤchte in
folgenden beſtehen. 1. Daß ſolche perſonen ſich fleißig forſchen, und ihr gewiſ-
ſen unterſuchen, wie ſie bis auf ſolche verhaͤngnuͤſſe und auch unter derſelben ſich
vor GOTT aufgefuͤhret haben: ob ſie bey ſich ein ſolches leben, dieſe und jene
ſuͤnde, deren ſie innerlich oder euſerlich gedienet haͤtten, finden moͤchten, die
nicht nur goͤttlichen zorn gereitzet, ſondern GOTT gleichſam genoͤthiget haͤtte,
ſie eine weile dem Satan zu uͤbergeben zum verderben des fleiſches, damit der
geiſt ſelig werde. Wie es dann der goͤttlichen gnade allerdings gemaͤß iſt, in
gefaͤhrlichen kranckheiten auch beſchwerliche artzneyen zu gebrauchen, und zu
derjenigen ſuͤnden, die man bey guten tagen nicht achtet, noch ihre gefahr erken-
net, erkaͤntnuͤß auf harte art zu bringen. Findet nun eine ſeele dergleichen bey
ſich, und wird einer ſolchen ſuͤnde uͤberzeuget, oder auch, daß ſie ſich ſo bald bey
dem anfang des zugeſandten nicht in goͤttliche ordnung wie ſichs gebuͤhret geſchi-
cket, ſo iſt das erſte, daß ſie ſich druͤber bußfertig vor GOTT demuͤthige, goͤtt-
liche gerechtigkeit uͤber ſich recht ſpreche, und nicht uͤber GOTTES verhaͤng-
nuͤß, ſondern uͤber die eigne ſuͤnde murre, daher auch ſolche nach ihrer ſchwere und
abſcheuligkeit erwege und einen greuel daruͤber faſſe, ja ſie dermaſſen zu haſſen
anfange und fortfahre, alſo daß das uͤbrige gantze leben, wie insgeſamt in
wahrer bußuͤbung, alſo ſonderlich reinigung von der vornehmſten befundenen
ſuͤnde, zugebracht werden moͤge. 2. Dahin gehoͤret auch eine ſo viel ſorgfaͤlti-
gere verwahrung des gewiſſens in allen ſtuͤcken des gantzen lebens. Es iſt zwar die-
ſes ein ſtuͤck des chriſtenthums bey allen wahren chriſten, daß ſie keine ſuͤnde gering,
oder
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[701/0713] ARTIC. VI. SECTIO III. warum ers ſo und ſo angreifft, ſo koͤnnen wir nicht in zweifel ziehen, daß der aller- weiſeſte rath GOttes in keinem ſtuͤck nichts thue, ohne ſolche urſachen, die wichtig und ſeiner weißheit, warheit, gerechtigkeit und guͤtigkeit gemaͤß ſind, und in denen allen er auf befoͤrderung ſeiner ehre, und des menſchen heyl ſeine abſicht hat. 5. Jn- deſſen hat ſeine weißheit nicht nuͤtzlich gefunden, ſolche urſachen, warum er dieſem und jenem, dieſe und nicht eine andere art leidens beſtimmet, uns zu offenbaren, nachdem wir theils, ſolche in dem ſie zum grunde die erkaͤntnuͤß des innerſten des hertzens, ſo dann der kuͤnftigen dinge, haben, doch nicht recht faſſen, theils aber uns derſelben auf ein oder andere art mißbrauchen, u. insgeſamt vielmehr ſchaden als nutzen davon haben wuͤrden. Daher uns nicht zukoͤmmt, die beſondere urſachen zu forſchen, das eine vermeſſenheit waͤre, und wir die warheit doch nicht finden wuͤr- den, ſondern unſere kindliche pflicht erfodert, wie von des liebſten vaters hand al- les mit demuth und glaubigen vertrauen anzunehmen, alſo auch zu glauben, was er an uns und andern thue, und aus ſeinem rath geſchehen laſſe, komme von dem her, der nichts boͤſe macht, ja aus dem boͤſen gutes hervor zu bringen weiß. Die- ſer glaube ſolle unſere hertzen zur ruhe ſetzen, auch alsdenn wo wir die beſondere urſachen unſerer und anderer begegnuͤſſen nicht finden koͤnnen, oder gar ſolche zu finden meinen, die unſeren glauben entgegen waͤren. II. Was leidende und die es mit ihnen zu thun haben anlanget, moͤchte in folgenden beſtehen. 1. Daß ſolche perſonen ſich fleißig forſchen, und ihr gewiſ- ſen unterſuchen, wie ſie bis auf ſolche verhaͤngnuͤſſe und auch unter derſelben ſich vor GOTT aufgefuͤhret haben: ob ſie bey ſich ein ſolches leben, dieſe und jene ſuͤnde, deren ſie innerlich oder euſerlich gedienet haͤtten, finden moͤchten, die nicht nur goͤttlichen zorn gereitzet, ſondern GOTT gleichſam genoͤthiget haͤtte, ſie eine weile dem Satan zu uͤbergeben zum verderben des fleiſches, damit der geiſt ſelig werde. Wie es dann der goͤttlichen gnade allerdings gemaͤß iſt, in gefaͤhrlichen kranckheiten auch beſchwerliche artzneyen zu gebrauchen, und zu derjenigen ſuͤnden, die man bey guten tagen nicht achtet, noch ihre gefahr erken- net, erkaͤntnuͤß auf harte art zu bringen. Findet nun eine ſeele dergleichen bey ſich, und wird einer ſolchen ſuͤnde uͤberzeuget, oder auch, daß ſie ſich ſo bald bey dem anfang des zugeſandten nicht in goͤttliche ordnung wie ſichs gebuͤhret geſchi- cket, ſo iſt das erſte, daß ſie ſich druͤber bußfertig vor GOTT demuͤthige, goͤtt- liche gerechtigkeit uͤber ſich recht ſpreche, und nicht uͤber GOTTES verhaͤng- nuͤß, ſondern uͤber die eigne ſuͤnde murre, daher auch ſolche nach ihrer ſchwere und abſcheuligkeit erwege und einen greuel daruͤber faſſe, ja ſie dermaſſen zu haſſen anfange und fortfahre, alſo daß das uͤbrige gantze leben, wie insgeſamt in wahrer bußuͤbung, alſo ſonderlich reinigung von der vornehmſten befundenen ſuͤnde, zugebracht werden moͤge. 2. Dahin gehoͤret auch eine ſo viel ſorgfaͤlti- gere verwahrung des gewiſſens in allen ſtuͤcken des gantzen lebens. Es iſt zwar die- ſes ein ſtuͤck des chriſtenthums bey allen wahren chriſten, daß ſie keine ſuͤnde gering, oder t t t t 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/713>, abgerufen am 22.11.2024.