Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.Das siebende Capitel. grund der pharisäischen falschen auslegung Matth. V. 21. daß die pharisäer, weildie leibliche todes-straffe alleine denen zuerkant wurde, die einen euserlichen mord be- giengen, daraus schlossen, daß auch das fünffte gebot nicht weiter gienge, oder das gesetze GOttes die innerliche liebe des hertzens erforderte. Also auch bleibet es da- bey, daß auch vor GOtt ein ehe-bruch ist, der mit den augen und hertzen geschiehet Matth. V. v. 28. Wie aber jeder leicht zugeben wird, daß dergleichen die den ehe- brechern vom gesetz dictirte strafe der steinigung nicht nach sich ziehe, so scheidet auch solche art des ehe-bruchs die ehe nicht, die sonsten Matth. V, 32. XIX. v. 9. als ein effect des ehe-bruchs angeführet wird. Welches alles zeigen kan, daß ein unter- schied seye, unter dem, wie GOtt in seinem gerichte eine sünde ansehe, in absicht auf seine gnade und ungnade über den menschen, und was er einer sünde vor wirckungen zuerkant, wegen der eusserlichen straffen oder dergleichen folgen: unter welchen auch diese ist, daß nicht eine andere sondern alleine die eusserliche art der unzucht der grund werden könne des verbots derselben person hlutsfreunde zu heurathen. Ja wo man anders halten wolte, so würden die ungereimteste dinge folgen: zum exempel, so offte ein mann seines weibes nächste angehörige, oder ein weib ih- res mannes bluts-freund also angesehen, daß unzüchtige gelüste dabey aufgestie- gen, welches in dieser menschlichen verderbnüß eine sehr gemeine sache, würde sol- ches eine ursache seyn, die ihm den gebrauch seines ehegatten unrecht oder zweiffel- hafft machte. Welches nichts anders wäre, als die gewissen verwirren und den ehestand mit angsthafften sorgen und zweifel erfüllen, auch zu steter widerwärtig- keit und verdacht unter eheleuten ursach geben. §. VI. Dem besagten möchte sonderlich entgegenstehen, daß der H. Geist stenthum
Das ſiebende Capitel. grund der phariſaͤiſchen falſchen auslegung Matth. V. 21. daß die phariſaͤer, weildie leibliche todes-ſtraffe alleine denen zuerkant wurde, die einen euſerlichen mord be- giengen, daraus ſchloſſen, daß auch das fuͤnffte gebot nicht weiter gienge, oder das geſetze GOttes die innerliche liebe des hertzens erforderte. Alſo auch bleibet es da- bey, daß auch vor GOtt ein ehe-bruch iſt, der mit den augen und hertzen geſchiehet Matth. V. v. 28. Wie aber jeder leicht zugeben wird, daß dergleichen die den ehe- brechern vom geſetz dictiꝛte ſtrafe der ſteinigung nicht nach ſich ziehe, ſo ſcheidet auch ſolche art des ehe-bruchs die ehe nicht, die ſonſten Matth. V, 32. XIX. v. 9. als ein effect des ehe-bruchs angefuͤhret wird. Welches alles zeigen kan, daß ein unter- ſchied ſeye, unter dem, wie GOtt in ſeinem gerichte eine ſuͤnde anſehe, in abſicht auf ſeine gnade und ungnade uͤber den menſchen, und was er einer ſuͤnde vor wirckungen zuerkant, wegen der euſſerlichen ſtraffen oder dergleichen folgen: unter welchen auch dieſe iſt, daß nicht eine andere ſondern alleine die euſſerliche art der unzucht der grund werden koͤnne des verbots derſelben perſon hlutsfreunde zu heurathen. Ja wo man anders halten wolte, ſo wuͤrden die ungereimteſte dinge folgen: zum exempel, ſo offte ein mann ſeines weibes naͤchſte angehoͤrige, oder ein weib ih- res mannes bluts-freund alſo angeſehen, daß unzuͤchtige geluͤſte dabey aufgeſtie- gen, welches in dieſer menſchlichen verderbnuͤß eine ſehr gemeine ſache, wuͤrde ſol- ches eine urſache ſeyn, die ihm den gebrauch ſeines ehegatten unrecht oder zweiffel- hafft machte. Welches nichts anders waͤre, als die gewiſſen verwirren und den eheſtand mit angſthafften ſorgen und zweifel erfuͤllen, auch zu ſteter widerwaͤrtig- keit und verdacht unter eheleuten urſach geben. §. VI. Dem beſagten moͤchte ſonderlich entgegenſtehen, daß der H. Geiſt ſtenthum
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0724" n="712"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das ſiebende Capitel.</hi></fw><lb/> grund der phariſaͤiſchen falſchen auslegung <hi rendition="#aq">Matth. V. 21.</hi> daß die phariſaͤer, weil<lb/> die leibliche todes-ſtraffe alleine denen zuerkant wurde, die einen euſerlichen mord be-<lb/> giengen, daraus ſchloſſen, daß auch das fuͤnffte gebot nicht weiter gienge, oder das<lb/> geſetze GOttes die innerliche liebe des hertzens erforderte. Alſo auch bleibet es da-<lb/> bey, daß auch vor GOtt ein ehe-bruch iſt, der mit den augen und hertzen geſchiehet<lb/><hi rendition="#aq">Matth. V. v. 28.</hi> Wie aber jeder leicht zugeben wird, daß dergleichen die den ehe-<lb/> brechern vom geſetz <hi rendition="#aq">dicti</hi>ꝛte ſtrafe der ſteinigung nicht nach ſich ziehe, ſo ſcheidet auch<lb/> ſolche art des ehe-bruchs die ehe nicht, die ſonſten <hi rendition="#aq">Matth. V, 32. XIX. v. 9.</hi> als ein<lb/><hi rendition="#aq">effect</hi> des ehe-bruchs angefuͤhret wird. Welches alles zeigen kan, daß ein unter-<lb/> ſchied ſeye, unter dem, wie GOtt in ſeinem gerichte eine ſuͤnde anſehe, in abſicht auf<lb/> ſeine gnade und ungnade uͤber den menſchen, und was er einer ſuͤnde vor wirckungen<lb/> zuerkant, wegen der euſſerlichen ſtraffen oder dergleichen folgen: unter welchen auch<lb/> dieſe iſt, daß nicht eine andere ſondern alleine die euſſerliche art der unzucht der<lb/> grund werden koͤnne des verbots derſelben perſon hlutsfreunde zu heurathen. Ja<lb/> wo man anders halten wolte, ſo wuͤrden die ungereimteſte dinge folgen: zum<lb/> exempel, ſo offte ein mann ſeines weibes naͤchſte angehoͤrige, oder ein weib ih-<lb/> res mannes bluts-freund alſo angeſehen, daß unzuͤchtige geluͤſte dabey aufgeſtie-<lb/> gen, welches in dieſer menſchlichen verderbnuͤß eine ſehr gemeine ſache, wuͤrde ſol-<lb/> ches eine urſache ſeyn, die ihm den gebrauch ſeines ehegatten unrecht oder zweiffel-<lb/> hafft machte. Welches nichts anders waͤre, als die gewiſſen verwirren und den<lb/> eheſtand mit angſthafften ſorgen und zweifel erfuͤllen, auch zu ſteter widerwaͤrtig-<lb/> keit und verdacht unter eheleuten urſach geben.</p><lb/> <p>§. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Dem beſagten moͤchte ſonderlich entgegenſtehen, daß der H. Geiſt<lb/> das wort brauche der bloͤſſung oder entbloͤſſung der ſchaam, damit auf das zuͤchtig-<lb/> ſte die fleiſchliche beywohnung anzudeuten, dabey nothwendig einige bloͤſſung der<lb/> glieder gegen einander geſchehen muß: indeſſen iſt die ſuͤnde damit noch nicht voll-<lb/> bracht, ſondern dieſe beſtehet vielmehr in dem darauf folgenden, das die ſchrifft ver-<lb/> ſchweiget. Wie es auch von <hi rendition="#aq">Dauid</hi> heiſſet <hi rendition="#aq">Pſ. LI. v. 2.</hi> daß er <hi rendition="#fr">zur Bathſeba einge-<lb/> gangen</hi> odeꝛ <hi rendition="#fr">gekommen,</hi> alſo auch da in unſeꝛer bibel ſtehet: <hi rendition="#fr">Abraham legte ſich<lb/> zu Hagar</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#fr">B.</hi> <hi rendition="#aq">Moſ. XVI. v. 4.</hi> Jacob zu Bilha <hi rendition="#aq">C. XXX. 4.</hi> heiſſet es beyderſeits, ſie<lb/> ſeyen zu ihnen <hi rendition="#fr">gekommen,</hi> und beſtund doch, was die ſchrift ſagen will, nicht in dem<lb/> kommen ſelbs ſondern was drauf erfolget. So nennet <hi rendition="#aq">Paulus 1. Cor. VII. 3.</hi> <hi rendition="#fr">die<lb/> ſchuldige fꝛeundſchaft</hi> odeꝛ gewogenheit, was ein ehemann ſeineꝛ ehefꝛauen leiſtet,<lb/> das aus deꝛ hertzlichen liebe und gewo genheit heꝛkommet. Wolte man nun aus jeneꝛ<lb/> redens-art des H. Geiſtes folgern, weil die fleiſchliche vermiſchung unter der redens-<lb/> aꝛt deꝛ bloͤſſung deꝛ ſchaam angedeutet weꝛde, ſo weꝛde auch alle bloͤſſung deꝛ ſchaam,<lb/> ob es wol nicht zu der that komme, vor Gott und zwar auch zu der folge eines ehelich-<lb/> en verbots der fleiſchlichen vermiſchung gleich gehalten; ſo muͤſte man auch ſagen,<lb/> wo eineꝛ auch nur zu einem andeꝛn weibe komme, oder ihꝛ eine gemeine aus dem chꝛi-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſtenthum</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [712/0724]
Das ſiebende Capitel.
grund der phariſaͤiſchen falſchen auslegung Matth. V. 21. daß die phariſaͤer, weil
die leibliche todes-ſtraffe alleine denen zuerkant wurde, die einen euſerlichen mord be-
giengen, daraus ſchloſſen, daß auch das fuͤnffte gebot nicht weiter gienge, oder das
geſetze GOttes die innerliche liebe des hertzens erforderte. Alſo auch bleibet es da-
bey, daß auch vor GOtt ein ehe-bruch iſt, der mit den augen und hertzen geſchiehet
Matth. V. v. 28. Wie aber jeder leicht zugeben wird, daß dergleichen die den ehe-
brechern vom geſetz dictiꝛte ſtrafe der ſteinigung nicht nach ſich ziehe, ſo ſcheidet auch
ſolche art des ehe-bruchs die ehe nicht, die ſonſten Matth. V, 32. XIX. v. 9. als ein
effect des ehe-bruchs angefuͤhret wird. Welches alles zeigen kan, daß ein unter-
ſchied ſeye, unter dem, wie GOtt in ſeinem gerichte eine ſuͤnde anſehe, in abſicht auf
ſeine gnade und ungnade uͤber den menſchen, und was er einer ſuͤnde vor wirckungen
zuerkant, wegen der euſſerlichen ſtraffen oder dergleichen folgen: unter welchen auch
dieſe iſt, daß nicht eine andere ſondern alleine die euſſerliche art der unzucht der
grund werden koͤnne des verbots derſelben perſon hlutsfreunde zu heurathen. Ja
wo man anders halten wolte, ſo wuͤrden die ungereimteſte dinge folgen: zum
exempel, ſo offte ein mann ſeines weibes naͤchſte angehoͤrige, oder ein weib ih-
res mannes bluts-freund alſo angeſehen, daß unzuͤchtige geluͤſte dabey aufgeſtie-
gen, welches in dieſer menſchlichen verderbnuͤß eine ſehr gemeine ſache, wuͤrde ſol-
ches eine urſache ſeyn, die ihm den gebrauch ſeines ehegatten unrecht oder zweiffel-
hafft machte. Welches nichts anders waͤre, als die gewiſſen verwirren und den
eheſtand mit angſthafften ſorgen und zweifel erfuͤllen, auch zu ſteter widerwaͤrtig-
keit und verdacht unter eheleuten urſach geben.
§. VI. Dem beſagten moͤchte ſonderlich entgegenſtehen, daß der H. Geiſt
das wort brauche der bloͤſſung oder entbloͤſſung der ſchaam, damit auf das zuͤchtig-
ſte die fleiſchliche beywohnung anzudeuten, dabey nothwendig einige bloͤſſung der
glieder gegen einander geſchehen muß: indeſſen iſt die ſuͤnde damit noch nicht voll-
bracht, ſondern dieſe beſtehet vielmehr in dem darauf folgenden, das die ſchrifft ver-
ſchweiget. Wie es auch von Dauid heiſſet Pſ. LI. v. 2. daß er zur Bathſeba einge-
gangen odeꝛ gekommen, alſo auch da in unſeꝛer bibel ſtehet: Abraham legte ſich
zu Hagar I. B. Moſ. XVI. v. 4. Jacob zu Bilha C. XXX. 4. heiſſet es beyderſeits, ſie
ſeyen zu ihnen gekommen, und beſtund doch, was die ſchrift ſagen will, nicht in dem
kommen ſelbs ſondern was drauf erfolget. So nennet Paulus 1. Cor. VII. 3. die
ſchuldige fꝛeundſchaft odeꝛ gewogenheit, was ein ehemann ſeineꝛ ehefꝛauen leiſtet,
das aus deꝛ hertzlichen liebe und gewo genheit heꝛkommet. Wolte man nun aus jeneꝛ
redens-art des H. Geiſtes folgern, weil die fleiſchliche vermiſchung unter der redens-
aꝛt deꝛ bloͤſſung deꝛ ſchaam angedeutet weꝛde, ſo weꝛde auch alle bloͤſſung deꝛ ſchaam,
ob es wol nicht zu der that komme, vor Gott und zwar auch zu der folge eines ehelich-
en verbots der fleiſchlichen vermiſchung gleich gehalten; ſo muͤſte man auch ſagen,
wo eineꝛ auch nur zu einem andeꝛn weibe komme, oder ihꝛ eine gemeine aus dem chꝛi-
ſtenthum
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |