Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ei, mein lieber Freund," rief der Pastor im Tone
sanften Vorwurfs, daß Oswald eine so beklagenswerthe
Unwissenheit in Betreff so hochwichtiger Dinge an den
Tag legen konnte; ob es bedeutend ist! Da sind in
dieser Nachbarschaft allein fünf, nein -- mit Stantow
und Bärwalde, die allerdings nicht zum Majorat ge¬
hören, sind es sieben Güter. Und in den andern Theilen
der Insel -- lassen Sie mich sehen -- liegen noch
ein, zwei, drei Güter. Das ist ein Kapital von min¬
destens anderthalb Millionen. Anderthalb Millionen!"
wiederholte er, als könne sich sein Geist von einer so
erhabenen Vorstellung nicht gleich wieder losmachen.

"Und das Vermögen ist ein Majorat?"

"Ei gewiß! Mit Ausnahme, wie gesagt, von zwei
der schönsten Güter, welche dem verstorbenen Baron,
dem Vetter des jetzigen, durch Erbschaft von der Mutter
Seite zufielen, und in dem Testamente auf eine gar
besondere Weise verclausulirt sind. Denken Sie sich
nur, lieber Freund, daß der verstorbene Baron, der,
ganz unter uns gesagt, eine überaus wüste, unbändige
Natur war, diese Güter dem Sohne einer seiner Mai¬
tressen vermacht hat."

"Aber Sie rechneten doch vorhin die beiden Güter
mit zu dem Vermögen der Familie," sagte Oswald.

"Nun, unter uns kann man es immerhin," sagte

„Ei, mein lieber Freund,“ rief der Paſtor im Tone
ſanften Vorwurfs, daß Oswald eine ſo beklagenswerthe
Unwiſſenheit in Betreff ſo hochwichtiger Dinge an den
Tag legen konnte; ob es bedeutend iſt! Da ſind in
dieſer Nachbarſchaft allein fünf, nein — mit Stantow
und Bärwalde, die allerdings nicht zum Majorat ge¬
hören, ſind es ſieben Güter. Und in den andern Theilen
der Inſel — laſſen Sie mich ſehen — liegen noch
ein, zwei, drei Güter. Das iſt ein Kapital von min¬
deſtens anderthalb Millionen. Anderthalb Millionen!“
wiederholte er, als könne ſich ſein Geiſt von einer ſo
erhabenen Vorſtellung nicht gleich wieder losmachen.

„Und das Vermögen iſt ein Majorat?“

„Ei gewiß! Mit Ausnahme, wie geſagt, von zwei
der ſchönſten Güter, welche dem verſtorbenen Baron,
dem Vetter des jetzigen, durch Erbſchaft von der Mutter
Seite zufielen, und in dem Teſtamente auf eine gar
beſondere Weiſe verclauſulirt ſind. Denken Sie ſich
nur, lieber Freund, daß der verſtorbene Baron, der,
ganz unter uns geſagt, eine überaus wüſte, unbändige
Natur war, dieſe Güter dem Sohne einer ſeiner Mai¬
treſſen vermacht hat.“

„Aber Sie rechneten doch vorhin die beiden Güter
mit zu dem Vermögen der Familie,“ ſagte Oswald.

„Nun, unter uns kann man es immerhin,“ ſagte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0117" n="107"/>
        <p>&#x201E;Ei, mein lieber Freund,&#x201C; rief der Pa&#x017F;tor im Tone<lb/>
&#x017F;anften Vorwurfs, daß Oswald eine &#x017F;o beklagenswerthe<lb/>
Unwi&#x017F;&#x017F;enheit in Betreff &#x017F;o hochwichtiger Dinge an den<lb/>
Tag legen konnte; ob es bedeutend i&#x017F;t! Da &#x017F;ind in<lb/>
die&#x017F;er Nachbar&#x017F;chaft allein fünf, nein &#x2014; mit Stantow<lb/>
und Bärwalde, die allerdings nicht zum Majorat ge¬<lb/>
hören, &#x017F;ind es &#x017F;ieben Güter. Und in den andern Theilen<lb/>
der In&#x017F;el &#x2014; la&#x017F;&#x017F;en Sie mich &#x017F;ehen &#x2014; liegen noch<lb/>
ein, zwei, drei Güter. Das i&#x017F;t ein Kapital von min¬<lb/>
de&#x017F;tens anderthalb Millionen. Anderthalb Millionen!&#x201C;<lb/>
wiederholte er, als könne &#x017F;ich &#x017F;ein Gei&#x017F;t von einer &#x017F;o<lb/>
erhabenen Vor&#x017F;tellung nicht gleich wieder losmachen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und das Vermögen i&#x017F;t ein Majorat?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ei gewiß! Mit Ausnahme, wie ge&#x017F;agt, von zwei<lb/>
der &#x017F;chön&#x017F;ten Güter, welche dem ver&#x017F;torbenen Baron,<lb/>
dem Vetter des jetzigen, durch Erb&#x017F;chaft von der Mutter<lb/>
Seite zufielen, und in dem Te&#x017F;tamente auf eine gar<lb/>
be&#x017F;ondere Wei&#x017F;e verclau&#x017F;ulirt &#x017F;ind. Denken Sie &#x017F;ich<lb/>
nur, lieber Freund, daß der ver&#x017F;torbene Baron, der,<lb/>
ganz unter uns ge&#x017F;agt, eine überaus wü&#x017F;te, unbändige<lb/>
Natur war, die&#x017F;e Güter dem Sohne einer &#x017F;einer Mai¬<lb/>
tre&#x017F;&#x017F;en vermacht hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber Sie rechneten doch vorhin die beiden Güter<lb/>
mit zu dem Vermögen der Familie,&#x201C; &#x017F;agte Oswald.<lb/></p>
        <p>&#x201E;Nun, unter uns kann man es immerhin,&#x201C; &#x017F;agte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0117] „Ei, mein lieber Freund,“ rief der Paſtor im Tone ſanften Vorwurfs, daß Oswald eine ſo beklagenswerthe Unwiſſenheit in Betreff ſo hochwichtiger Dinge an den Tag legen konnte; ob es bedeutend iſt! Da ſind in dieſer Nachbarſchaft allein fünf, nein — mit Stantow und Bärwalde, die allerdings nicht zum Majorat ge¬ hören, ſind es ſieben Güter. Und in den andern Theilen der Inſel — laſſen Sie mich ſehen — liegen noch ein, zwei, drei Güter. Das iſt ein Kapital von min¬ deſtens anderthalb Millionen. Anderthalb Millionen!“ wiederholte er, als könne ſich ſein Geiſt von einer ſo erhabenen Vorſtellung nicht gleich wieder losmachen. „Und das Vermögen iſt ein Majorat?“ „Ei gewiß! Mit Ausnahme, wie geſagt, von zwei der ſchönſten Güter, welche dem verſtorbenen Baron, dem Vetter des jetzigen, durch Erbſchaft von der Mutter Seite zufielen, und in dem Teſtamente auf eine gar beſondere Weiſe verclauſulirt ſind. Denken Sie ſich nur, lieber Freund, daß der verſtorbene Baron, der, ganz unter uns geſagt, eine überaus wüſte, unbändige Natur war, dieſe Güter dem Sohne einer ſeiner Mai¬ treſſen vermacht hat.“ „Aber Sie rechneten doch vorhin die beiden Güter mit zu dem Vermögen der Familie,“ ſagte Oswald. „Nun, unter uns kann man es immerhin,“ ſagte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/117
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/117>, abgerufen am 04.12.2024.