einer Anwandlung von Reue, oder aus Caprice, wie Sie wollen, dem Kinde jener seiner Geliebten, gleich¬ viel ob Knabe oder Mädchen, falls es nur bis zu dem und dem bestimmten Datum geboren ist, die beiden herrlichen Güter, der Dirne selbst aber den Nießbrauch des Vermögens auf Lebenszeit vermacht hatte. Wie finden Sie das?"
"Jedenfalls eignet sich die Geschichte mehr zu einer Tragödie, als zu einer Komödie," sagte Oswald. "Und hat man nie eine Spur von Mutter und Kind entdeckt?"
"Nie! obgleich testamentarisch -- es ist wahrhaftig ein wahrer Scandal, und ich bedaure die gnädige Ba¬ ronin von ganzem Herzen -- alljährlich die Verschollene dreimal in sämmtlichen Blättern der Provinz aufge¬ fordert wird, ihre Ansprüche geltend zu machen."
"Wie lange spielt diese Geschichte nun?"
"So ein zwanzig Jahre und darüber."
"Da ist doch wohl kaum denkbar, daß die Arme noch am Leben ist."
"Es denkt auch Niemand mehr daran," lachte der Pastor, "Grenwitzen's würden auch nicht wenig ver¬ wundert sein, wenn plötzlich so ein junger Landstreicher sich als ergebenster Neffe vorstellte und die beiden Güter und die Zinsen seit zwanzig Jahren für sich beanspruchte, um so mehr, als die gnädige Baronin,
einer Anwandlung von Reue, oder aus Caprice, wie Sie wollen, dem Kinde jener ſeiner Geliebten, gleich¬ viel ob Knabe oder Mädchen, falls es nur bis zu dem und dem beſtimmten Datum geboren iſt, die beiden herrlichen Güter, der Dirne ſelbſt aber den Nießbrauch des Vermögens auf Lebenszeit vermacht hatte. Wie finden Sie das?“
„Jedenfalls eignet ſich die Geſchichte mehr zu einer Tragödie, als zu einer Komödie,“ ſagte Oswald. „Und hat man nie eine Spur von Mutter und Kind entdeckt?“
„Nie! obgleich teſtamentariſch — es iſt wahrhaftig ein wahrer Scandal, und ich bedaure die gnädige Ba¬ ronin von ganzem Herzen — alljährlich die Verſchollene dreimal in ſämmtlichen Blättern der Provinz aufge¬ fordert wird, ihre Anſprüche geltend zu machen.“
„Wie lange ſpielt dieſe Geſchichte nun?“
„So ein zwanzig Jahre und darüber.“
„Da iſt doch wohl kaum denkbar, daß die Arme noch am Leben iſt.“
„Es denkt auch Niemand mehr daran,“ lachte der Paſtor, „Grenwitzen's würden auch nicht wenig ver¬ wundert ſein, wenn plötzlich ſo ein junger Landſtreicher ſich als ergebenſter Neffe vorſtellte und die beiden Güter und die Zinſen ſeit zwanzig Jahren für ſich beanſpruchte, um ſo mehr, als die gnädige Baronin,
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einer Anwandlung von Reue, oder aus Caprice, wie
Sie wollen, dem Kinde jener ſeiner Geliebten, gleich¬
viel ob Knabe oder Mädchen, falls es nur bis zu dem
und dem beſtimmten Datum geboren iſt, die beiden
herrlichen Güter, der Dirne ſelbſt aber den Nießbrauch
des Vermögens auf Lebenszeit vermacht hatte. Wie
finden Sie das?“
„Jedenfalls eignet ſich die Geſchichte mehr zu einer
Tragödie, als zu einer Komödie,“ ſagte Oswald. „Und
hat man nie eine Spur von Mutter und Kind entdeckt?“
„Nie! obgleich teſtamentariſch — es iſt wahrhaftig
ein wahrer Scandal, und ich bedaure die gnädige Ba¬
ronin von ganzem Herzen — alljährlich die Verſchollene
dreimal in ſämmtlichen Blättern der Provinz aufge¬
fordert wird, ihre Anſprüche geltend zu machen.“
„Wie lange ſpielt dieſe Geſchichte nun?“
„So ein zwanzig Jahre und darüber.“
„Da iſt doch wohl kaum denkbar, daß die Arme
noch am Leben iſt.“
„Es denkt auch Niemand mehr daran,“ lachte der
Paſtor, „Grenwitzen's würden auch nicht wenig ver¬
wundert ſein, wenn plötzlich ſo ein junger Landſtreicher
ſich als ergebenſter Neffe vorſtellte und die beiden
Güter und die Zinſen ſeit zwanzig Jahren für ſich
beanſpruchte, um ſo mehr, als die gnädige Baronin,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/119>, abgerufen am 17.06.2024.
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