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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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der Tafel Schaugericht. Das süße Feuer, das ihren
Busen höher wallen und ihre schönen Augen in noch
zärtlicherem Lichte strahlen machte, bedurfte zu seiner
Nahrung nicht der Gaben der Ceres. Zum ersten
Male an diesem Nachmittage gerieth das Gespräch
in's Stocken. Von dem, was ihre Herzen bis zum
Zerspringen füllte, wagte Keiner zu sprechen; und
Alles sonst erschien so gleichgültig, so nüchtern! Eine
Verlegenheit, die sie vergebens hinter dem Anschein
der Unbefangenheit zu verbergen sich bemühten, über¬
kam sie. Beide fühlten, wie eine starke, unsichtbare
Hand ihnen die Masken, mit denen wir auf dem Car¬
neval des Lebens unsere wahren Gesichter vor einander
verhüllen, langsam abstreifte. Wenn wir die Stimme
des Gottes der Liebe hören in dem Garten des Pa¬
radieses, so verstecken wir uns vor ihm, und wenn er
spricht: wo bist Du? wagen wir nicht zu antworten...

Aus dieser wunderlichen Lage erlöste sie der alte
Baumann, der jetzt das närrische Kind der Champagne
in seiner silbernen, mit Eis gefüllten Wiege herbei¬
brachte, und vor Oswald auf den Tisch stellte. Wie
er es in den wenigen Minuten bewerkstelligen konnte,
aus dem tiefen Keller und der "nietennagelfesten" Kiste
das Gewünschte herbeizuschaffen, war eines der Räthsel,
in die sich der gute alte Mann zu hüllen liebte, und

der Tafel Schaugericht. Das ſüße Feuer, das ihren
Buſen höher wallen und ihre ſchönen Augen in noch
zärtlicherem Lichte ſtrahlen machte, bedurfte zu ſeiner
Nahrung nicht der Gaben der Ceres. Zum erſten
Male an dieſem Nachmittage gerieth das Geſpräch
in's Stocken. Von dem, was ihre Herzen bis zum
Zerſpringen füllte, wagte Keiner zu ſprechen; und
Alles ſonſt erſchien ſo gleichgültig, ſo nüchtern! Eine
Verlegenheit, die ſie vergebens hinter dem Anſchein
der Unbefangenheit zu verbergen ſich bemühten, über¬
kam ſie. Beide fühlten, wie eine ſtarke, unſichtbare
Hand ihnen die Masken, mit denen wir auf dem Car¬
neval des Lebens unſere wahren Geſichter vor einander
verhüllen, langſam abſtreifte. Wenn wir die Stimme
des Gottes der Liebe hören in dem Garten des Pa¬
radieſes, ſo verſtecken wir uns vor ihm, und wenn er
ſpricht: wo biſt Du? wagen wir nicht zu antworten...

Aus dieſer wunderlichen Lage erlöſte ſie der alte
Baumann, der jetzt das närriſche Kind der Champagne
in ſeiner ſilbernen, mit Eis gefüllten Wiege herbei¬
brachte, und vor Oswald auf den Tiſch ſtellte. Wie
er es in den wenigen Minuten bewerkſtelligen konnte,
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[184/0194] der Tafel Schaugericht. Das ſüße Feuer, das ihren Buſen höher wallen und ihre ſchönen Augen in noch zärtlicherem Lichte ſtrahlen machte, bedurfte zu ſeiner Nahrung nicht der Gaben der Ceres. Zum erſten Male an dieſem Nachmittage gerieth das Geſpräch in's Stocken. Von dem, was ihre Herzen bis zum Zerſpringen füllte, wagte Keiner zu ſprechen; und Alles ſonſt erſchien ſo gleichgültig, ſo nüchtern! Eine Verlegenheit, die ſie vergebens hinter dem Anſchein der Unbefangenheit zu verbergen ſich bemühten, über¬ kam ſie. Beide fühlten, wie eine ſtarke, unſichtbare Hand ihnen die Masken, mit denen wir auf dem Car¬ neval des Lebens unſere wahren Geſichter vor einander verhüllen, langſam abſtreifte. Wenn wir die Stimme des Gottes der Liebe hören in dem Garten des Pa¬ radieſes, ſo verſtecken wir uns vor ihm, und wenn er ſpricht: wo biſt Du? wagen wir nicht zu antworten... Aus dieſer wunderlichen Lage erlöſte ſie der alte Baumann, der jetzt das närriſche Kind der Champagne in ſeiner ſilbernen, mit Eis gefüllten Wiege herbei¬ brachte, und vor Oswald auf den Tiſch ſtellte. Wie er es in den wenigen Minuten bewerkſtelligen konnte, aus dem tiefen Keller und der „nietennagelfeſten“ Kiſte das Gewünſchte herbeizuſchaffen, war eines der Räthſel, in die ſich der gute alte Mann zu hüllen liebte, und

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/194>, abgerufen am 21.11.2024.