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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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dem Paar am Tisch den Rücken zukehrend, wie um
ihre Unterhaltung nicht weiter zu stören.

Die Gegenwart des alten Dieners und der bele¬
bende Wein hatten ihre Zungen wieder gelöst und
ihre Blicke kühner gemacht. Sie schwatzten, scheinbar
unbefangen, über allerlei gleichgültige Dinge, bis Os¬
wald Melitta an ihr Versprechen, ihn noch heute nach
dem Häuschen im Walde zu führen erinnerte.

"Habe ich Ihnen das versprochen?" sagte Melitta.
"Nun so muß ich es auch wohl thun, obgleich es mir
jetzt beinahe leid ist, denn Sie glauben nicht an meine
Heilige, und sind deshalb nicht würdig ihre Kapelle
zu betreten."

"Ihre Heilige?"

"Die hohe Frau von Milo. Ich muß Ihnen
jetzt auch nur erzählen, wie weit meine Schwärmerei
für die Göttliche ging. Nach meiner Rückkehr ver¬
folgte mich die Erinnerung an das schöne Bild im
Louvre so, daß ich nicht ruhte, bis ich mir von Paris
mit nicht geringen Kosten eine ausgezeichnete Gyps¬
copie verschafft hatte. Weil ich aber nicht wagte,
meine Heilige hier im Hause aufzustellen, brachte ich
sie nach dem Häuschen im Walde, das so eine Wald¬
kapelle wurde, zu der ich jedes Mal, wenn Besuch in
Berkow ist, den Schlüssel verloren habe; und wo ich

dem Paar am Tiſch den Rücken zukehrend, wie um
ihre Unterhaltung nicht weiter zu ſtören.

Die Gegenwart des alten Dieners und der bele¬
bende Wein hatten ihre Zungen wieder gelöſt und
ihre Blicke kühner gemacht. Sie ſchwatzten, ſcheinbar
unbefangen, über allerlei gleichgültige Dinge, bis Os¬
wald Melitta an ihr Verſprechen, ihn noch heute nach
dem Häuschen im Walde zu führen erinnerte.

„Habe ich Ihnen das verſprochen?“ ſagte Melitta.
„Nun ſo muß ich es auch wohl thun, obgleich es mir
jetzt beinahe leid iſt, denn Sie glauben nicht an meine
Heilige, und ſind deshalb nicht würdig ihre Kapelle
zu betreten.“

„Ihre Heilige?“

„Die hohe Frau von Milo. Ich muß Ihnen
jetzt auch nur erzählen, wie weit meine Schwärmerei
für die Göttliche ging. Nach meiner Rückkehr ver¬
folgte mich die Erinnerung an das ſchöne Bild im
Louvre ſo, daß ich nicht ruhte, bis ich mir von Paris
mit nicht geringen Koſten eine ausgezeichnete Gyps¬
copie verſchafft hatte. Weil ich aber nicht wagte,
meine Heilige hier im Hauſe aufzuſtellen, brachte ich
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[186/0196] dem Paar am Tiſch den Rücken zukehrend, wie um ihre Unterhaltung nicht weiter zu ſtören. Die Gegenwart des alten Dieners und der bele¬ bende Wein hatten ihre Zungen wieder gelöſt und ihre Blicke kühner gemacht. Sie ſchwatzten, ſcheinbar unbefangen, über allerlei gleichgültige Dinge, bis Os¬ wald Melitta an ihr Verſprechen, ihn noch heute nach dem Häuschen im Walde zu führen erinnerte. „Habe ich Ihnen das verſprochen?“ ſagte Melitta. „Nun ſo muß ich es auch wohl thun, obgleich es mir jetzt beinahe leid iſt, denn Sie glauben nicht an meine Heilige, und ſind deshalb nicht würdig ihre Kapelle zu betreten.“ „Ihre Heilige?“ „Die hohe Frau von Milo. Ich muß Ihnen jetzt auch nur erzählen, wie weit meine Schwärmerei für die Göttliche ging. Nach meiner Rückkehr ver¬ folgte mich die Erinnerung an das ſchöne Bild im Louvre ſo, daß ich nicht ruhte, bis ich mir von Paris mit nicht geringen Koſten eine ausgezeichnete Gyps¬ copie verſchafft hatte. Weil ich aber nicht wagte, meine Heilige hier im Hauſe aufzuſtellen, brachte ich ſie nach dem Häuschen im Walde, das ſo eine Wald¬ kapelle wurde, zu der ich jedes Mal, wenn Beſuch in Berkow iſt, den Schlüſſel verloren habe; und wo ich

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/196>, abgerufen am 17.06.2024.