Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem narbenvollen Gesicht, die noch immer starken
Arme über der treuen Brust verschränkt und die klugen,
treuen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet --
der mochte wohl denken, daß ein besserer Wächter nicht
könnte gefunden werden. Aber ach! das Haus war
leer; die geliebte Herrin war davon geeilt, hinein in
den gewitterschwülen Abend mit dem Fremden, dem
Manne, den sie seit gestern kannte. Und er, der treue
Diener, seufzte tief, während er mit gesenktem Haupte
durch den Saal in das Eßzimmer zurückschritt und
langsam den Tisch abzuräumen begann. "Die guten
Gottesgaben kaum berührt," murmelte er, "das ge¬
fällt mir nicht. Wenn junges Volk keinen Hunger im
Magen hat, hat es Narrenspoffen im Kopf. Und an
dem Wein haben sie auch nur genippt. Da steht die
Flasche noch halb voll -- und morgen ist er nicht
mehr zu trinken ... morgen ..." Der alte Mann
setzte sich an den Tisch und stützte sein sorgenvolles,
graues Haupt auf die runzlige Hand. "Aber an
Morgen denkt das junge Volk nicht. Morgen ist der
junge Herr mit seiner weichen Stimme und seinen
großen blauen Augen wieder drüben in Grenwitz, und
wer weiß, wo er übermorgen ist. Aber der alte Bau¬
mann ist hier -- morgen und übermorgen; und wenn
die Gäste fort sind, sieht das Haus ganz anders aus,

und dem narbenvollen Geſicht, die noch immer ſtarken
Arme über der treuen Bruſt verſchränkt und die klugen,
treuen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet —
der mochte wohl denken, daß ein beſſerer Wächter nicht
könnte gefunden werden. Aber ach! das Haus war
leer; die geliebte Herrin war davon geeilt, hinein in
den gewitterſchwülen Abend mit dem Fremden, dem
Manne, den ſie ſeit geſtern kannte. Und er, der treue
Diener, ſeufzte tief, während er mit geſenktem Haupte
durch den Saal in das Eßzimmer zurückſchritt und
langſam den Tiſch abzuräumen begann. „Die guten
Gottesgaben kaum berührt,“ murmelte er, „das ge¬
fällt mir nicht. Wenn junges Volk keinen Hunger im
Magen hat, hat es Narrenſpoffen im Kopf. Und an
dem Wein haben ſie auch nur genippt. Da ſteht die
Flaſche noch halb voll — und morgen iſt er nicht
mehr zu trinken ... morgen ...“ Der alte Mann
ſetzte ſich an den Tiſch und ſtützte ſein ſorgenvolles,
graues Haupt auf die runzlige Hand. „Aber an
Morgen denkt das junge Volk nicht. Morgen iſt der
junge Herr mit ſeiner weichen Stimme und ſeinen
großen blauen Augen wieder drüben in Grenwitz, und
wer weiß, wo er übermorgen iſt. Aber der alte Bau¬
mann iſt hier — morgen und übermorgen; und wenn
die Gäſte fort ſind, ſieht das Haus ganz anders aus,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0199" n="189"/>
und dem narbenvollen Ge&#x017F;icht, die noch immer &#x017F;tarken<lb/>
Arme über der treuen Bru&#x017F;t ver&#x017F;chränkt und die klugen,<lb/>
treuen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet &#x2014;<lb/>
der mochte wohl denken, daß ein be&#x017F;&#x017F;erer Wächter nicht<lb/>
könnte gefunden werden. Aber ach! das Haus war<lb/>
leer; die geliebte Herrin war davon geeilt, hinein in<lb/>
den gewitter&#x017F;chwülen Abend mit dem Fremden, dem<lb/>
Manne, den &#x017F;ie &#x017F;eit ge&#x017F;tern kannte. Und er, der treue<lb/>
Diener, &#x017F;eufzte tief, während er mit ge&#x017F;enktem Haupte<lb/>
durch den Saal in das Eßzimmer zurück&#x017F;chritt und<lb/>
lang&#x017F;am den Ti&#x017F;ch abzuräumen begann. &#x201E;Die guten<lb/>
Gottesgaben kaum berührt,&#x201C; murmelte er, &#x201E;das ge¬<lb/>
fällt mir nicht. Wenn junges Volk keinen Hunger im<lb/>
Magen hat, hat es Narren&#x017F;poffen im Kopf. Und an<lb/>
dem Wein haben &#x017F;ie auch nur genippt. Da &#x017F;teht die<lb/>
Fla&#x017F;che noch halb voll &#x2014; und morgen i&#x017F;t er nicht<lb/>
mehr zu trinken ... morgen ...&#x201C; Der alte Mann<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich an den Ti&#x017F;ch und &#x017F;tützte &#x017F;ein &#x017F;orgenvolles,<lb/>
graues Haupt auf die runzlige Hand. &#x201E;Aber an<lb/>
Morgen denkt das junge Volk nicht. Morgen i&#x017F;t der<lb/>
junge Herr mit &#x017F;einer weichen Stimme und &#x017F;einen<lb/>
großen blauen Augen wieder drüben in Grenwitz, und<lb/>
wer weiß, wo er übermorgen i&#x017F;t. Aber der alte Bau¬<lb/>
mann i&#x017F;t hier &#x2014; morgen und übermorgen; und wenn<lb/>
die Gä&#x017F;te fort &#x017F;ind, &#x017F;ieht das Haus ganz anders aus,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0199] und dem narbenvollen Geſicht, die noch immer ſtarken Arme über der treuen Bruſt verſchränkt und die klugen, treuen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet — der mochte wohl denken, daß ein beſſerer Wächter nicht könnte gefunden werden. Aber ach! das Haus war leer; die geliebte Herrin war davon geeilt, hinein in den gewitterſchwülen Abend mit dem Fremden, dem Manne, den ſie ſeit geſtern kannte. Und er, der treue Diener, ſeufzte tief, während er mit geſenktem Haupte durch den Saal in das Eßzimmer zurückſchritt und langſam den Tiſch abzuräumen begann. „Die guten Gottesgaben kaum berührt,“ murmelte er, „das ge¬ fällt mir nicht. Wenn junges Volk keinen Hunger im Magen hat, hat es Narrenſpoffen im Kopf. Und an dem Wein haben ſie auch nur genippt. Da ſteht die Flaſche noch halb voll — und morgen iſt er nicht mehr zu trinken ... morgen ...“ Der alte Mann ſetzte ſich an den Tiſch und ſtützte ſein ſorgenvolles, graues Haupt auf die runzlige Hand. „Aber an Morgen denkt das junge Volk nicht. Morgen iſt der junge Herr mit ſeiner weichen Stimme und ſeinen großen blauen Augen wieder drüben in Grenwitz, und wer weiß, wo er übermorgen iſt. Aber der alte Bau¬ mann iſt hier — morgen und übermorgen; und wenn die Gäſte fort ſind, ſieht das Haus ganz anders aus,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/199
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/199>, abgerufen am 24.11.2024.