Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

hinauftragen; Sie können sich da wenigstens im Schatten
ausruhen."

Melitta lächelte. "Ich bin nicht so leicht wie eine
Puppe."

"Und nicht so schwach wie ein zehnjähriges Mäd¬
chen," rief Oswald, umfaßte Melittas schlanken Leib
und sie emporhebend, trug er sie sicher, wie die Mutter
ihr Kind, über die letzten Steine hinauf bis an den
Waldrand, wo die breiten Kronen der Buchen Schatten
und Kühlung spendeten. Dort ließ er sie sanft aus
seinen Armen auf das dichte Moos gleiten, indem er
selbst vor ihr stehen blieb. Melitta hatte sich von dem
Augenblicke an, wo der kühne junge Mann sie empor¬
hob, nicht weiter gesträubt; sie fühlte alsbald, daß er
stark genug sei, sie zu tragen; aber sie hielt es für
thörigt, ihm die Last nicht so viel wie möglich zu er¬
leichtern, und hatte sich dicht in seine Arme geschmiegt.

"Wie stark Sie sind!" sagte sie jetzt, bewundernd
zu ihm aufschauend.

"Oswalds Herz hämmerte und seine Brust wogte,
mehr vor innerer Erregung, als in Folge der An¬
strengung. Er fühlte noch immer die elastischen Glieder,
die er in seine Arme gepreßt, das weiche Haar, das
sein Gesicht umspielt, den süßen Athem, der seine Stirn
umweht hatte.

hinauftragen; Sie können ſich da wenigſtens im Schatten
ausruhen.“

Melitta lächelte. „Ich bin nicht ſo leicht wie eine
Puppe.“

„Und nicht ſo ſchwach wie ein zehnjähriges Mäd¬
chen,“ rief Oswald, umfaßte Melittas ſchlanken Leib
und ſie emporhebend, trug er ſie ſicher, wie die Mutter
ihr Kind, über die letzten Steine hinauf bis an den
Waldrand, wo die breiten Kronen der Buchen Schatten
und Kühlung ſpendeten. Dort ließ er ſie ſanft aus
ſeinen Armen auf das dichte Moos gleiten, indem er
ſelbſt vor ihr ſtehen blieb. Melitta hatte ſich von dem
Augenblicke an, wo der kühne junge Mann ſie empor¬
hob, nicht weiter geſträubt; ſie fühlte alsbald, daß er
ſtark genug ſei, ſie zu tragen; aber ſie hielt es für
thörigt, ihm die Laſt nicht ſo viel wie möglich zu er¬
leichtern, und hatte ſich dicht in ſeine Arme geſchmiegt.

„Wie ſtark Sie ſind!“ ſagte ſie jetzt, bewundernd
zu ihm aufſchauend.

„Oswalds Herz hämmerte und ſeine Bruſt wogte,
mehr vor innerer Erregung, als in Folge der An¬
ſtrengung. Er fühlte noch immer die elaſtiſchen Glieder,
die er in ſeine Arme gepreßt, das weiche Haar, das
ſein Geſicht umſpielt, den ſüßen Athem, der ſeine Stirn
umweht hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="194"/>
hinauftragen; Sie können &#x017F;ich da wenig&#x017F;tens im Schatten<lb/>
ausruhen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Melitta lächelte. &#x201E;Ich bin nicht &#x017F;o leicht wie eine<lb/>
Puppe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und nicht &#x017F;o &#x017F;chwach wie ein zehnjähriges Mäd¬<lb/>
chen,&#x201C; rief Oswald, umfaßte Melittas &#x017F;chlanken Leib<lb/>
und &#x017F;ie emporhebend, trug er &#x017F;ie &#x017F;icher, wie die Mutter<lb/>
ihr Kind, über die letzten Steine hinauf bis an den<lb/>
Waldrand, wo die breiten Kronen der Buchen Schatten<lb/>
und Kühlung &#x017F;pendeten. Dort ließ er &#x017F;ie &#x017F;anft aus<lb/>
&#x017F;einen Armen auf das dichte Moos gleiten, indem er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vor ihr &#x017F;tehen blieb. Melitta hatte &#x017F;ich von dem<lb/>
Augenblicke an, wo der kühne junge Mann &#x017F;ie empor¬<lb/>
hob, nicht weiter ge&#x017F;träubt; &#x017F;ie fühlte alsbald, daß er<lb/>
&#x017F;tark genug &#x017F;ei, &#x017F;ie zu tragen; aber &#x017F;ie hielt es für<lb/>
thörigt, ihm die La&#x017F;t nicht &#x017F;o viel wie möglich zu er¬<lb/>
leichtern, und hatte &#x017F;ich dicht in &#x017F;eine Arme ge&#x017F;chmiegt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie &#x017F;tark Sie &#x017F;ind!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie jetzt, bewundernd<lb/>
zu ihm auf&#x017F;chauend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oswalds Herz hämmerte und &#x017F;eine Bru&#x017F;t wogte,<lb/>
mehr vor innerer Erregung, als in Folge der An¬<lb/>
&#x017F;trengung. Er fühlte noch immer die ela&#x017F;ti&#x017F;chen Glieder,<lb/>
die er in &#x017F;eine Arme gepreßt, das weiche Haar, das<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;icht um&#x017F;pielt, den &#x017F;üßen Athem, der &#x017F;eine Stirn<lb/>
umweht hatte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0204] hinauftragen; Sie können ſich da wenigſtens im Schatten ausruhen.“ Melitta lächelte. „Ich bin nicht ſo leicht wie eine Puppe.“ „Und nicht ſo ſchwach wie ein zehnjähriges Mäd¬ chen,“ rief Oswald, umfaßte Melittas ſchlanken Leib und ſie emporhebend, trug er ſie ſicher, wie die Mutter ihr Kind, über die letzten Steine hinauf bis an den Waldrand, wo die breiten Kronen der Buchen Schatten und Kühlung ſpendeten. Dort ließ er ſie ſanft aus ſeinen Armen auf das dichte Moos gleiten, indem er ſelbſt vor ihr ſtehen blieb. Melitta hatte ſich von dem Augenblicke an, wo der kühne junge Mann ſie empor¬ hob, nicht weiter geſträubt; ſie fühlte alsbald, daß er ſtark genug ſei, ſie zu tragen; aber ſie hielt es für thörigt, ihm die Laſt nicht ſo viel wie möglich zu er¬ leichtern, und hatte ſich dicht in ſeine Arme geſchmiegt. „Wie ſtark Sie ſind!“ ſagte ſie jetzt, bewundernd zu ihm aufſchauend. „Oswalds Herz hämmerte und ſeine Bruſt wogte, mehr vor innerer Erregung, als in Folge der An¬ ſtrengung. Er fühlte noch immer die elaſtiſchen Glieder, die er in ſeine Arme gepreßt, das weiche Haar, das ſein Geſicht umſpielt, den ſüßen Athem, der ſeine Stirn umweht hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/204
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/204>, abgerufen am 24.11.2024.