aus dem Schlot eines Dampfers, der seine einsame Bahn, wer weiß woher? und wohin? rastlos verfolgte. -- Ueber der schäumenden Brandung unter ihm flat¬ terten weiße Möven und stürzten sich kreischend in die Salzfluth und schwangen sich wieder auf und flatterten wieder hierhin und dorthin. Hoch oben in der blauen Luft zog ein Seeadler seine majestätischen Kreise, höher und immer höher, bis er Oswalds Blicken nur noch als ein schwarzer beweglicher Punkt erschien. -- Aber selbst das erhabene Schauspiel des Meeres vermochte heute nicht seine Seele auszufüllen. Der Ocean ist nicht so groß und so tief wie das menschliche Herz, und wie köstlich sie auch Oswald sonst dünkte, die Musik der Wogen, er hatte vor wenigen Stunden eine köstlichere Musik gehört. Nur den Adler droben be¬ neidete er. "Ein Schlag deiner mächtigen Schwingen, und du schwebst über Wälder und Felder fort bis zu Melitta's Haus!"
Er sprang empor, er eilte zurück in's Schloß, hinauf auf die Zinne des Thurmes; vielleicht konnte er von dort Melitta's Wohnung sehen; und er jauchzte laut auf vor freudiger Ueberraschung, als er wirklick, den spähenden Blick nach jener Seite richtend, den obersten Giebel ihres Hauses eben noch über den Rand des Waldes emporragen sah. Ein wonnevoller Schauer
aus dem Schlot eines Dampfers, der ſeine einſame Bahn, wer weiß woher? und wohin? raſtlos verfolgte. — Ueber der ſchäumenden Brandung unter ihm flat¬ terten weiße Möven und ſtürzten ſich kreiſchend in die Salzfluth und ſchwangen ſich wieder auf und flatterten wieder hierhin und dorthin. Hoch oben in der blauen Luft zog ein Seeadler ſeine majeſtätiſchen Kreiſe, höher und immer höher, bis er Oswalds Blicken nur noch als ein ſchwarzer beweglicher Punkt erſchien. — Aber ſelbſt das erhabene Schauſpiel des Meeres vermochte heute nicht ſeine Seele auszufüllen. Der Ocean iſt nicht ſo groß und ſo tief wie das menſchliche Herz, und wie köſtlich ſie auch Oswald ſonſt dünkte, die Muſik der Wogen, er hatte vor wenigen Stunden eine köſtlichere Muſik gehört. Nur den Adler droben be¬ neidete er. „Ein Schlag deiner mächtigen Schwingen, und du ſchwebſt über Wälder und Felder fort bis zu Melitta's Haus!“
Er ſprang empor, er eilte zurück in's Schloß, hinauf auf die Zinne des Thurmes; vielleicht konnte er von dort Melitta's Wohnung ſehen; und er jauchzte laut auf vor freudiger Ueberraſchung, als er wirklick, den ſpähenden Blick nach jener Seite richtend, den oberſten Giebel ihres Hauſes eben noch über den Rand des Waldes emporragen ſah. Ein wonnevoller Schauer
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[210/0220]
aus dem Schlot eines Dampfers, der ſeine einſame
Bahn, wer weiß woher? und wohin? raſtlos verfolgte.
— Ueber der ſchäumenden Brandung unter ihm flat¬
terten weiße Möven und ſtürzten ſich kreiſchend in die
Salzfluth und ſchwangen ſich wieder auf und flatterten
wieder hierhin und dorthin. Hoch oben in der blauen
Luft zog ein Seeadler ſeine majeſtätiſchen Kreiſe, höher
und immer höher, bis er Oswalds Blicken nur noch
als ein ſchwarzer beweglicher Punkt erſchien. — Aber
ſelbſt das erhabene Schauſpiel des Meeres vermochte
heute nicht ſeine Seele auszufüllen. Der Ocean iſt
nicht ſo groß und ſo tief wie das menſchliche Herz,
und wie köſtlich ſie auch Oswald ſonſt dünkte, die
Muſik der Wogen, er hatte vor wenigen Stunden eine
köſtlichere Muſik gehört. Nur den Adler droben be¬
neidete er. „Ein Schlag deiner mächtigen Schwingen,
und du ſchwebſt über Wälder und Felder fort bis zu
Melitta's Haus!“
Er ſprang empor, er eilte zurück in's Schloß,
hinauf auf die Zinne des Thurmes; vielleicht konnte
er von dort Melitta's Wohnung ſehen; und er jauchzte
laut auf vor freudiger Ueberraſchung, als er wirklick,
den ſpähenden Blick nach jener Seite richtend, den
oberſten Giebel ihres Hauſes eben noch über den Rand
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/220>, abgerufen am 21.11.2024.
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