"Ich sehe bei der ohne Zweifel großen Liebens¬ würdigkeit Ihrer Fräulein Schwester nichts Außeror¬ dentliches darin," bemerkte Oswald.
"Nichts Außerordentliches?" rief Herr Bemperlein! "nichts Außerordentliches? Ein solches Kind? Hei¬ rathen! mit achtzehn Jahren! Ich weiß wirklich nicht einmal, ob das überhaupt psychologisch und physiologisch zulässig ist; -- Sie lachen? Mag sein: ich habe mich auf die Weiber nie verstanden, und wüßte auch nicht, wie ich zu dieser Kenntniß gelangt sein sollte, der Herr müßte sie mir denn, von wegen meiner absonderlichen Einfalt, im Traum geschenkt haben. Also ich blieb noch fast zwei Jahre in Grünwald, gab Privatstunden, hielt Repetitorien mit jungen Studenten, die vor dem Examen standen, und im Commersbuche besser Bescheid wußten, als in den Kirchenvätern, und verdiente so viel, daß ich nicht nur selbst sehr gut leben konnte -- den Fast¬ tag hatte ich aus reiner Gewohnheit beibehalten -- sondern auch meinen Bruder pflichtschuldig unterstützte. Dieser Bruder machte mir damals einigermaßen Sorge -- die sich hernach als unnöthig erwiesen hat, denn er ist jetzt in seinem vierundzwanzigsten Jahre schon wohlbestallter Hülfsprediger, aber er lernte etwas schwer, hatte schwache Augen, und war gegen Hunger und Kälte auf eine mir unbegreifliche Weise empfindlich.
„Ich ſehe bei der ohne Zweifel großen Liebens¬ würdigkeit Ihrer Fräulein Schweſter nichts Außeror¬ dentliches darin,“ bemerkte Oswald.
„Nichts Außerordentliches?“ rief Herr Bemperlein! „nichts Außerordentliches? Ein ſolches Kind? Hei¬ rathen! mit achtzehn Jahren! Ich weiß wirklich nicht einmal, ob das überhaupt pſychologiſch und phyſiologiſch zuläſſig iſt; — Sie lachen? Mag ſein: ich habe mich auf die Weiber nie verſtanden, und wüßte auch nicht, wie ich zu dieſer Kenntniß gelangt ſein ſollte, der Herr müßte ſie mir denn, von wegen meiner abſonderlichen Einfalt, im Traum geſchenkt haben. Alſo ich blieb noch faſt zwei Jahre in Grünwald, gab Privatſtunden, hielt Repetitorien mit jungen Studenten, die vor dem Examen ſtanden, und im Commersbuche beſſer Beſcheid wußten, als in den Kirchenvätern, und verdiente ſo viel, daß ich nicht nur ſelbſt ſehr gut leben konnte — den Faſt¬ tag hatte ich aus reiner Gewohnheit beibehalten — ſondern auch meinen Bruder pflichtſchuldig unterſtützte. Dieſer Bruder machte mir damals einigermaßen Sorge — die ſich hernach als unnöthig erwieſen hat, denn er iſt jetzt in ſeinem vierundzwanzigſten Jahre ſchon wohlbeſtallter Hülfsprediger, aber er lernte etwas ſchwer, hatte ſchwache Augen, und war gegen Hunger und Kälte auf eine mir unbegreifliche Weiſe empfindlich.
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„Ich ſehe bei der ohne Zweifel großen Liebens¬
würdigkeit Ihrer Fräulein Schweſter nichts Außeror¬
dentliches darin,“ bemerkte Oswald.
„Nichts Außerordentliches?“ rief Herr Bemperlein!
„nichts Außerordentliches? Ein ſolches Kind? Hei¬
rathen! mit achtzehn Jahren! Ich weiß wirklich nicht
einmal, ob das überhaupt pſychologiſch und phyſiologiſch
zuläſſig iſt; — Sie lachen? Mag ſein: ich habe mich
auf die Weiber nie verſtanden, und wüßte auch nicht,
wie ich zu dieſer Kenntniß gelangt ſein ſollte, der Herr
müßte ſie mir denn, von wegen meiner abſonderlichen
Einfalt, im Traum geſchenkt haben. Alſo ich blieb noch
faſt zwei Jahre in Grünwald, gab Privatſtunden, hielt
Repetitorien mit jungen Studenten, die vor dem Examen
ſtanden, und im Commersbuche beſſer Beſcheid wußten,
als in den Kirchenvätern, und verdiente ſo viel, daß
ich nicht nur ſelbſt ſehr gut leben konnte — den Faſt¬
tag hatte ich aus reiner Gewohnheit beibehalten —
ſondern auch meinen Bruder pflichtſchuldig unterſtützte.
Dieſer Bruder machte mir damals einigermaßen Sorge
— die ſich hernach als unnöthig erwieſen hat, denn
er iſt jetzt in ſeinem vierundzwanzigſten Jahre ſchon
wohlbeſtallter Hülfsprediger, aber er lernte etwas
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und Kälte auf eine mir unbegreifliche Weiſe empfindlich.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/255>, abgerufen am 23.11.2024.
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