dieselben öden Sterne, zu denen er, aus dem Theater oder einer Gesellschaft kommend, kaum einmal flüchtig emporgeblickt hatte? Konnte ein Sommermorgen so reich an Glanz und Pracht, ein Sommerabend so weich und wollüstig sein? Hatte er denn den Gesang der Vögel nie vernommen, daß er sich jetzt an ihren ein¬ fachen Liedern nicht satt hören konnte? Hatte er denn nie Blumen gesehen, daß er jetzt nicht müde wurde, ihre schönen Farben und wundersamen Gestalten zu betrachten? Es war ihm zu Muthe, wie Einem, der aus schwerer Krankheit wieder zum Leben erwacht. Die jüngste Vergangenheit lag wie hinter einem dichten Schleier, aber weit Entferntes, im Meer der Ver¬ gessenheit seit langen Jahren Versunkenes tauchte wie eine glänzende, zauberische Spiegelung wieder über den Horizont der Erinnerung empor. "Ei, da ist ja auch Rittersporn," rief er einst in diesen ersten Tagen freudig überrascht, als er, träumend im Garten auf und ab wandelnd, diese Blume häufig auf den Beeten blühen sah.
"Nun freilich," sagte Bruno, der bei ihm war, "haben Sie denn noch nie welchen gesehen?"
"Es ist lange her," murmelte der junge Mann, sich niederbeugend und die phantastische Blume mit Rührung betrachtend. In seines Geistes Aug' sah er sich wieder in einem kleinen lauschigen Garten an der
dieſelben öden Sterne, zu denen er, aus dem Theater oder einer Geſellſchaft kommend, kaum einmal flüchtig emporgeblickt hatte? Konnte ein Sommermorgen ſo reich an Glanz und Pracht, ein Sommerabend ſo weich und wollüſtig ſein? Hatte er denn den Geſang der Vögel nie vernommen, daß er ſich jetzt an ihren ein¬ fachen Liedern nicht ſatt hören konnte? Hatte er denn nie Blumen geſehen, daß er jetzt nicht müde wurde, ihre ſchönen Farben und wunderſamen Geſtalten zu betrachten? Es war ihm zu Muthe, wie Einem, der aus ſchwerer Krankheit wieder zum Leben erwacht. Die jüngſte Vergangenheit lag wie hinter einem dichten Schleier, aber weit Entferntes, im Meer der Ver¬ geſſenheit ſeit langen Jahren Verſunkenes tauchte wie eine glänzende, zauberiſche Spiegelung wieder über den Horizont der Erinnerung empor. „Ei, da iſt ja auch Ritterſporn,“ rief er einſt in dieſen erſten Tagen freudig überraſcht, als er, träumend im Garten auf und ab wandelnd, dieſe Blume häufig auf den Beeten blühen ſah.
„Nun freilich,“ ſagte Bruno, der bei ihm war, „haben Sie denn noch nie welchen geſehen?“
„Es iſt lange her,“ murmelte der junge Mann, ſich niederbeugend und die phantaſtiſche Blume mit Rührung betrachtend. In ſeines Geiſtes Aug' ſah er ſich wieder in einem kleinen lauſchigen Garten an der
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dieſelben öden Sterne, zu denen er, aus dem Theater
oder einer Geſellſchaft kommend, kaum einmal flüchtig
emporgeblickt hatte? Konnte ein Sommermorgen ſo
reich an Glanz und Pracht, ein Sommerabend ſo weich
und wollüſtig ſein? Hatte er denn den Geſang der
Vögel nie vernommen, daß er ſich jetzt an ihren ein¬
fachen Liedern nicht ſatt hören konnte? Hatte er denn
nie Blumen geſehen, daß er jetzt nicht müde wurde,
ihre ſchönen Farben und wunderſamen Geſtalten zu
betrachten? Es war ihm zu Muthe, wie Einem, der
aus ſchwerer Krankheit wieder zum Leben erwacht.
Die jüngſte Vergangenheit lag wie hinter einem dichten
Schleier, aber weit Entferntes, im Meer der Ver¬
geſſenheit ſeit langen Jahren Verſunkenes tauchte wie
eine glänzende, zauberiſche Spiegelung wieder über den
Horizont der Erinnerung empor. „Ei, da iſt ja auch
Ritterſporn,“ rief er einſt in dieſen erſten Tagen freudig
überraſcht, als er, träumend im Garten auf und ab
wandelnd, dieſe Blume häufig auf den Beeten blühen ſah.
„Nun freilich,“ ſagte Bruno, der bei ihm war,
„haben Sie denn noch nie welchen geſehen?“
„Es iſt lange her,“ murmelte der junge Mann,
ſich niederbeugend und die phantaſtiſche Blume mit
Rührung betrachtend. In ſeines Geiſtes Aug' ſah er
ſich wieder in einem kleinen lauſchigen Garten an der
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/40>, abgerufen am 03.12.2024.
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