Cigarre an ihm vorbeifuhr, wandte sich sein Blick auf diesen, der den Hut etwas in den Nacken gesetzt, den Kragen seines Rockes in die Höhe geschlagen, die langen Beine von sich streckend, in Nachdenken ver¬ sunken schien. So mochten sie wol eine Viertelstunde lang schweigend neben einander gesessen haben, als der Baron plötzlich sagte:
"Sie rauchen ja nicht?"
"Nein."
"Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?"
"Ich danke: ich bin kein Raucher!"
"Das ist wunderbar."
"Weshalb?"
"Weil ich nicht begreifen kann, wie es ein Mensch im neunzehnten Jahrhundert aushalten kann, ohne Taback oder Opium zu rauchen, Haschisch zu kauen oder sonst auf irgend eine Weise das katzenjämmerliche Gefühl seiner elenden Existenz in etwas abzuschwächen. Und gerade von Ihnen begreife ich es am wenigsten."
"Warum gerade von mir?
"Weil, wenn mich nicht Alles täuscht, Sie vor Sehnsucht nach der blauen Blume tödtlich erkrankt sind, und in dieser unbefriedigten Sehnsucht auch eines schönen Tages sterben werden. Sie erinnern sich doch der blauen Blume in Novalis' Erzählung?
F. Spielhagen, Problematische Naturen. II. 8
Cigarre an ihm vorbeifuhr, wandte ſich ſein Blick auf dieſen, der den Hut etwas in den Nacken geſetzt, den Kragen ſeines Rockes in die Höhe geſchlagen, die langen Beine von ſich ſtreckend, in Nachdenken ver¬ ſunken ſchien. So mochten ſie wol eine Viertelſtunde lang ſchweigend neben einander geſeſſen haben, als der Baron plötzlich ſagte:
„Sie rauchen ja nicht?“
„Nein.“
„Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?“
„Ich danke: ich bin kein Raucher!“
„Das iſt wunderbar.“
„Weshalb?“
„Weil ich nicht begreifen kann, wie es ein Menſch im neunzehnten Jahrhundert aushalten kann, ohne Taback oder Opium zu rauchen, Haſchiſch zu kauen oder ſonſt auf irgend eine Weiſe das katzenjämmerliche Gefühl ſeiner elenden Exiſtenz in etwas abzuſchwächen. Und gerade von Ihnen begreife ich es am wenigſten.“
„Warum gerade von mir?
„Weil, wenn mich nicht Alles täuſcht, Sie vor Sehnſucht nach der blauen Blume tödtlich erkrankt ſind, und in dieſer unbefriedigten Sehnſucht auch eines ſchönen Tages ſterben werden. Sie erinnern ſich doch der blauen Blume in Novalis' Erzählung?
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 8
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Cigarre an ihm vorbeifuhr, wandte ſich ſein Blick auf
dieſen, der den Hut etwas in den Nacken geſetzt, den
Kragen ſeines Rockes in die Höhe geſchlagen, die
langen Beine von ſich ſtreckend, in Nachdenken ver¬
ſunken ſchien. So mochten ſie wol eine Viertelſtunde
lang ſchweigend neben einander geſeſſen haben, als
der Baron plötzlich ſagte:
„Sie rauchen ja nicht?“
„Nein.“
„Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?“
„Ich danke: ich bin kein Raucher!“
„Das iſt wunderbar.“
„Weshalb?“
„Weil ich nicht begreifen kann, wie es ein Menſch
im neunzehnten Jahrhundert aushalten kann, ohne
Taback oder Opium zu rauchen, Haſchiſch zu kauen
oder ſonſt auf irgend eine Weiſe das katzenjämmerliche
Gefühl ſeiner elenden Exiſtenz in etwas abzuſchwächen.
Und gerade von Ihnen begreife ich es am wenigſten.“
„Warum gerade von mir?
„Weil, wenn mich nicht Alles täuſcht, Sie vor
Sehnſucht nach der blauen Blume tödtlich erkrankt
ſind, und in dieſer unbefriedigten Sehnſucht auch
eines ſchönen Tages ſterben werden. Sie erinnern
ſich doch der blauen Blume in Novalis' Erzählung?
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 8
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/123>, abgerufen am 16.02.2025.
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