der Schwindsüchtige auf Genesung. Nehmen Sie zum Beispiel eine Gesellschaft, wie die, aus der wir eben kommen. Ich weiß, wie hohl die Freuden dieser Menschen sind, ich weiß wie kummervolle Gesichter, welch' erbärmliche Armensündermienen sich hinter den lachenden Gesellschaftsmasken verstecken -- ich weiß, daß dieses hübsche Mädchen in zehn Jahren eine un¬ glückliche Frau, oder eine Idiotin ist, daß dieser prächtige Junge, der den Kopf so hoch trägt und aussieht, als ob er sämmtliche zwölf Arbeiten des Herkules an einem Tage verrichten könne, ein plumper Landjunker sein wird, der gegen die Bauern das jus primae noctis geltend macht und nebenbei seine Frau womöglich prügelt -- das weiß ich, und weiß noch mehr, und habe es tausend- und aber tausendmal im Leben gesehen, und doch bin ich noch so wenig blasirt, daß diese trügerische Fata Morgana eine zauberische Wirkung auf mich hat, bin so wenig ernüchtert, daß jede hübsche Mädchenblume die Hoffnung in mir er¬ weckt, ich könnte wirklich einmal im Leben lieben oder geliebt werden, daß jede jugendlich schöne männliche Erscheinung mich wieder an Freundschaft glauben macht. Hätten Sie mir solchen Unsinn zugetraut?"
"Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie so denken, so fühlen könnten."
der Schwindſüchtige auf Geneſung. Nehmen Sie zum Beiſpiel eine Geſellſchaft, wie die, aus der wir eben kommen. Ich weiß, wie hohl die Freuden dieſer Menſchen ſind, ich weiß wie kummervolle Geſichter, welch' erbärmliche Armenſündermienen ſich hinter den lachenden Geſellſchaftsmasken verſtecken — ich weiß, daß dieſes hübſche Mädchen in zehn Jahren eine un¬ glückliche Frau, oder eine Idiotin iſt, daß dieſer prächtige Junge, der den Kopf ſo hoch trägt und ausſieht, als ob er ſämmtliche zwölf Arbeiten des Herkules an einem Tage verrichten könne, ein plumper Landjunker ſein wird, der gegen die Bauern das jus primae noctis geltend macht und nebenbei ſeine Frau womöglich prügelt — das weiß ich, und weiß noch mehr, und habe es tauſend- und aber tauſendmal im Leben geſehen, und doch bin ich noch ſo wenig blaſirt, daß dieſe trügeriſche Fata Morgana eine zauberiſche Wirkung auf mich hat, bin ſo wenig ernüchtert, daß jede hübſche Mädchenblume die Hoffnung in mir er¬ weckt, ich könnte wirklich einmal im Leben lieben oder geliebt werden, daß jede jugendlich ſchöne männliche Erſcheinung mich wieder an Freundſchaft glauben macht. Hätten Sie mir ſolchen Unſinn zugetraut?“
„Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie ſo denken, ſo fühlen könnten.“
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der Schwindſüchtige auf Geneſung. Nehmen Sie zum
Beiſpiel eine Geſellſchaft, wie die, aus der wir eben
kommen. Ich weiß, wie hohl die Freuden dieſer
Menſchen ſind, ich weiß wie kummervolle Geſichter,
welch' erbärmliche Armenſündermienen ſich hinter den
lachenden Geſellſchaftsmasken verſtecken — ich weiß,
daß dieſes hübſche Mädchen in zehn Jahren eine un¬
glückliche Frau, oder eine Idiotin iſt, daß dieſer
prächtige Junge, der den Kopf ſo hoch trägt und
ausſieht, als ob er ſämmtliche zwölf Arbeiten des
Herkules an einem Tage verrichten könne, ein plumper
Landjunker ſein wird, der gegen die Bauern das jus
primae noctis geltend macht und nebenbei ſeine Frau
womöglich prügelt — das weiß ich, und weiß noch
mehr, und habe es tauſend- und aber tauſendmal im
Leben geſehen, und doch bin ich noch ſo wenig blaſirt,
daß dieſe trügeriſche Fata Morgana eine zauberiſche
Wirkung auf mich hat, bin ſo wenig ernüchtert, daß
jede hübſche Mädchenblume die Hoffnung in mir er¬
weckt, ich könnte wirklich einmal im Leben lieben oder
geliebt werden, daß jede jugendlich ſchöne männliche
Erſcheinung mich wieder an Freundſchaft glauben macht.
Hätten Sie mir ſolchen Unſinn zugetraut?“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/128>, abgerufen am 16.02.2025.
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