Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Esel herab, laufe, was ich kann, nach der Stelle zu¬
rück. -- Die Nische war leer. Die Thür zum Hofe
der Moschee stand, wie gesagt, offen. Der Hof hatte
auf der anderen Seite eine zweite, ebenfalls nicht ver¬
schlossene Thür, die auf eine der Hauptstraßen führte,
in der sich um diese Stunde, -- es war in der Abend¬
dämmerung -- Menschen, Kameele und Esel durch¬
einander drängten. Das Kind war und blieb ver¬
schwunden, und mit schwerem Herzen kehrte ich zu
meiner Gesellschaft zurück, die sich mein Davonlaufen
menschenfreundlichst durch die Annahme, ich sei ur¬
plötzlich toll geworden, erklärt hatte. -- Halten Sie
es für möglich, daß dieses Kind, das ich zuerst im
englischen Nebel und das zweite Mal unter dem warmen
Himmel Aegytens gesehen habe, mir jetzt in dem deutschen
Buchenwalde zum dritten Male begegnet?"

"Und wäre es nicht dasselbe Kind, und -- offen
gestanden, ich halte es für äußerst unwahrscheinlich,
daß es dasselbe ist;" antwortete Oswald; "es müßte
Ihnen dasselbe sein. Ich glaube an den Weltgeist,
den ewig gleichen, der sich hinter den Dingen verbirgt,
den ewig wechselnden; ich glaube, daß jene Lerche, die
dort aus dem Haidekraut aufsteigt, und singend zum
Himmel schwebt, dieselbe Lerche ist, zu der ich als Kind
entzückt emporschaute, bis sie den scharfen Augen im

F. Spielhagen, Problematische Naturen. II. 9

Eſel herab, laufe, was ich kann, nach der Stelle zu¬
rück. — Die Niſche war leer. Die Thür zum Hofe
der Moſchee ſtand, wie geſagt, offen. Der Hof hatte
auf der anderen Seite eine zweite, ebenfalls nicht ver¬
ſchloſſene Thür, die auf eine der Hauptſtraßen führte,
in der ſich um dieſe Stunde, — es war in der Abend¬
dämmerung — Menſchen, Kameele und Eſel durch¬
einander drängten. Das Kind war und blieb ver¬
ſchwunden, und mit ſchwerem Herzen kehrte ich zu
meiner Geſellſchaft zurück, die ſich mein Davonlaufen
menſchenfreundlichſt durch die Annahme, ich ſei ur¬
plötzlich toll geworden, erklärt hatte. — Halten Sie
es für möglich, daß dieſes Kind, das ich zuerſt im
engliſchen Nebel und das zweite Mal unter dem warmen
Himmel Aegytens geſehen habe, mir jetzt in dem deutſchen
Buchenwalde zum dritten Male begegnet?“

„Und wäre es nicht dasſelbe Kind, und — offen
geſtanden, ich halte es für äußerſt unwahrſcheinlich,
daß es dasſelbe iſt;“ antwortete Oswald; „es müßte
Ihnen dasſelbe ſein. Ich glaube an den Weltgeiſt,
den ewig gleichen, der ſich hinter den Dingen verbirgt,
den ewig wechſelnden; ich glaube, daß jene Lerche, die
dort aus dem Haidekraut aufſteigt, und ſingend zum
Himmel ſchwebt, dieſelbe Lerche iſt, zu der ich als Kind
entzückt emporſchaute, bis ſie den ſcharfen Augen im

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="129"/>
E&#x017F;el herab, laufe, was ich kann, nach der Stelle zu¬<lb/>
rück. &#x2014; Die Ni&#x017F;che war leer. Die Thür zum Hofe<lb/>
der Mo&#x017F;chee &#x017F;tand, wie ge&#x017F;agt, offen. Der Hof hatte<lb/>
auf der anderen Seite eine zweite, ebenfalls nicht ver¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Thür, die auf eine der Haupt&#x017F;traßen führte,<lb/>
in der &#x017F;ich um die&#x017F;e Stunde, &#x2014; es war in der Abend¬<lb/>
dämmerung &#x2014; Men&#x017F;chen, Kameele und E&#x017F;el durch¬<lb/>
einander drängten. Das Kind war und blieb ver¬<lb/>
&#x017F;chwunden, und mit &#x017F;chwerem Herzen kehrte ich zu<lb/>
meiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zurück, die &#x017F;ich mein Davonlaufen<lb/>
men&#x017F;chenfreundlich&#x017F;t durch die Annahme, ich &#x017F;ei ur¬<lb/>
plötzlich toll geworden, erklärt hatte. &#x2014; Halten Sie<lb/>
es für möglich, daß die&#x017F;es Kind, das ich zuer&#x017F;t im<lb/>
engli&#x017F;chen Nebel und das zweite Mal unter dem warmen<lb/>
Himmel Aegytens ge&#x017F;ehen habe, mir jetzt in dem deut&#x017F;chen<lb/>
Buchenwalde zum dritten Male begegnet?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wäre es nicht das&#x017F;elbe Kind, und &#x2014; offen<lb/>
ge&#x017F;tanden, ich halte es für äußer&#x017F;t unwahr&#x017F;cheinlich,<lb/>
daß es das&#x017F;elbe i&#x017F;t;&#x201C; antwortete Oswald; &#x201E;es müßte<lb/>
Ihnen das&#x017F;elbe &#x017F;ein. Ich glaube an den Weltgei&#x017F;t,<lb/>
den ewig gleichen, der &#x017F;ich hinter den Dingen verbirgt,<lb/>
den ewig wech&#x017F;elnden; ich glaube, daß jene Lerche, die<lb/>
dort aus dem Haidekraut auf&#x017F;teigt, und &#x017F;ingend zum<lb/>
Himmel &#x017F;chwebt, die&#x017F;elbe Lerche i&#x017F;t, zu der ich als Kind<lb/>
entzückt empor&#x017F;chaute, bis &#x017F;ie den &#x017F;charfen Augen im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F. Spielhagen, Problemati&#x017F;che Naturen. II. 9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0139] Eſel herab, laufe, was ich kann, nach der Stelle zu¬ rück. — Die Niſche war leer. Die Thür zum Hofe der Moſchee ſtand, wie geſagt, offen. Der Hof hatte auf der anderen Seite eine zweite, ebenfalls nicht ver¬ ſchloſſene Thür, die auf eine der Hauptſtraßen führte, in der ſich um dieſe Stunde, — es war in der Abend¬ dämmerung — Menſchen, Kameele und Eſel durch¬ einander drängten. Das Kind war und blieb ver¬ ſchwunden, und mit ſchwerem Herzen kehrte ich zu meiner Geſellſchaft zurück, die ſich mein Davonlaufen menſchenfreundlichſt durch die Annahme, ich ſei ur¬ plötzlich toll geworden, erklärt hatte. — Halten Sie es für möglich, daß dieſes Kind, das ich zuerſt im engliſchen Nebel und das zweite Mal unter dem warmen Himmel Aegytens geſehen habe, mir jetzt in dem deutſchen Buchenwalde zum dritten Male begegnet?“ „Und wäre es nicht dasſelbe Kind, und — offen geſtanden, ich halte es für äußerſt unwahrſcheinlich, daß es dasſelbe iſt;“ antwortete Oswald; „es müßte Ihnen dasſelbe ſein. Ich glaube an den Weltgeiſt, den ewig gleichen, der ſich hinter den Dingen verbirgt, den ewig wechſelnden; ich glaube, daß jene Lerche, die dort aus dem Haidekraut aufſteigt, und ſingend zum Himmel ſchwebt, dieſelbe Lerche iſt, zu der ich als Kind entzückt emporſchaute, bis ſie den ſcharfen Augen im F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/139
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/139>, abgerufen am 21.11.2024.