Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.Schleier verhüllt, thronte, Isis, die heilige, keusche "Ich verstehe Dich nicht ganz, Oswald." "Die Welt und das Leben sind voller Räthsel, "Du bist mir nicht böse, Oswald?" "Ich Dir böse, liebes Herz? weshalb?" "Daß ich Dir mit solchen wunderlichen Fragen "Du sollst mich fragen, Bruno; nach Allem fragen, "Du bist stets so gut so unendlich gut gegen mich, "Das thust Du nicht -- und dann: sind wir Schleier verhüllt, thronte, Iſis, die heilige, keuſche „Ich verſtehe Dich nicht ganz, Oswald.“ „Die Welt und das Leben ſind voller Räthſel, „Du biſt mir nicht böſe, Oswald?“ „Ich Dir böſe, liebes Herz? weshalb?“ „Daß ich Dir mit ſolchen wunderlichen Fragen „Du ſollſt mich fragen, Bruno; nach Allem fragen, „Du biſt ſtets ſo gut ſo unendlich gut gegen mich, „Das thuſt Du nicht — und dann: ſind wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0182" n="172"/> Schleier verhüllt, thronte, Iſis, die heilige, keuſche<lb/> Göttin der Natur.“</p><lb/> <p>„Ich verſtehe Dich nicht ganz, Oswald.“</p><lb/> <p>„Die Welt und das Leben ſind voller Räthſel,<lb/> Bruno. Das Leben iſt die Sphinx und wir ſind der<lb/> Oedipus. Und es iſt der Fluch des Oedipus, daß er<lb/> das Räthſel löſen muß, und ihn des Räthſels Löſung<lb/> doch unglücklich macht.“</p><lb/> <p>„Du biſt mir nicht böſe, Oswald?“</p><lb/> <p>„Ich Dir böſe, liebes Herz? weshalb?“</p><lb/> <p>„Daß ich Dir mit ſolchen wunderlichen Fragen<lb/> komme.“</p><lb/> <p>„Du ſollſt mich fragen, Bruno; nach Allem fragen,<lb/> was Dich in Erſtaunen und Verwirrung ſetzt. Deine<lb/> Seele muß offen vor mir liegen, wie ein Buch, in dem<lb/> ich blättern und wieder blättern kann. Wollte Gott,<lb/> ich möchte nur Weiſes und Gutes auf die reinen<lb/> Blätter ſchreiben!“</p><lb/> <p>„Du biſt ſtets ſo gut ſo unendlich gut gegen mich,<lb/> Oswald; und ich vergelte Dir all' Deine Güte nur<lb/> mit Undankbarkeit und Trotz.“</p><lb/> <p>„Das thuſt Du nicht — und dann: ſind wir<lb/> nicht Brüder? Brüder müſſen ſich untereinander lie¬<lb/> ben und tragen und ſtützen, und dürfen nicht rechten<lb/> um Mein und Dein. Sieh' Bruno, wenn der fromme<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [172/0182]
Schleier verhüllt, thronte, Iſis, die heilige, keuſche
Göttin der Natur.“
„Ich verſtehe Dich nicht ganz, Oswald.“
„Die Welt und das Leben ſind voller Räthſel,
Bruno. Das Leben iſt die Sphinx und wir ſind der
Oedipus. Und es iſt der Fluch des Oedipus, daß er
das Räthſel löſen muß, und ihn des Räthſels Löſung
doch unglücklich macht.“
„Du biſt mir nicht böſe, Oswald?“
„Ich Dir böſe, liebes Herz? weshalb?“
„Daß ich Dir mit ſolchen wunderlichen Fragen
komme.“
„Du ſollſt mich fragen, Bruno; nach Allem fragen,
was Dich in Erſtaunen und Verwirrung ſetzt. Deine
Seele muß offen vor mir liegen, wie ein Buch, in dem
ich blättern und wieder blättern kann. Wollte Gott,
ich möchte nur Weiſes und Gutes auf die reinen
Blätter ſchreiben!“
„Du biſt ſtets ſo gut ſo unendlich gut gegen mich,
Oswald; und ich vergelte Dir all' Deine Güte nur
mit Undankbarkeit und Trotz.“
„Das thuſt Du nicht — und dann: ſind wir
nicht Brüder? Brüder müſſen ſich untereinander lie¬
ben und tragen und ſtützen, und dürfen nicht rechten
um Mein und Dein. Sieh' Bruno, wenn der fromme
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