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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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Weiter sagte sie nichts, aber es war genug, selbst ein
so wildes Herz wie Harald's zu rühren. Er ließ die
Arme sinken und starrte Marie an, als ob er aus
einem schweren Traum erwachte. Plötzlich fiel er vor
ihr auf die Knie, verbarg sein glühendes Gesicht in
den Falten ihres Kleides und schluchzte: "Vergieb mir,
Marie; vergieb mir!" Dann sprang er auf, und als
er sah, daß sie durch Thränen ihn anlächelte, hob er
sie in seinen Armen empor, wie ein Kind, trug sie
in der Stube auf und ab und herzte und küßte sie.
Dann setzte er sie hier in den Lehnstuhl, auf dem Du
jetzt sitzst, und kniete vor ihr nieder, ihre Hände und
ihre Kleider küssend, und wandte sich zu mir und rief:
"Geh, Alte, und sage dem Karl: er solle die Pferde
für die Herren satteln lassen. Ich sei krank geworden,
oder gesund geworden, oder was sie wollen, aber ich
könnte sie heute nicht mehr sehen und morgen auch
nicht. Ist es so gut, lieb' Herz? nicht wahr, ich bin
nicht so schlecht, wie die Alte sagt?" -- Ich ging, vor
Freude laut weinend, aus der Stube und dachte: es
kann doch vielleicht noch Alles gut werden.

Aber das wurde es nicht. Schon nach wenigen
Tagen war Alles wieder beim Alten. Aehnliche Sce¬
nen kamen noch manchmal vor, aber Harald's gute
Vorsätze hielten immer nur wenige Tage Stand, und

Weiter ſagte ſie nichts, aber es war genug, ſelbſt ein
ſo wildes Herz wie Harald's zu rühren. Er ließ die
Arme ſinken und ſtarrte Marie an, als ob er aus
einem ſchweren Traum erwachte. Plötzlich fiel er vor
ihr auf die Knie, verbarg ſein glühendes Geſicht in
den Falten ihres Kleides und ſchluchzte: „Vergieb mir,
Marie; vergieb mir!“ Dann ſprang er auf, und als
er ſah, daß ſie durch Thränen ihn anlächelte, hob er
ſie in ſeinen Armen empor, wie ein Kind, trug ſie
in der Stube auf und ab und herzte und küßte ſie.
Dann ſetzte er ſie hier in den Lehnſtuhl, auf dem Du
jetzt ſitzſt, und kniete vor ihr nieder, ihre Hände und
ihre Kleider küſſend, und wandte ſich zu mir und rief:
„Geh, Alte, und ſage dem Karl: er ſolle die Pferde
für die Herren ſatteln laſſen. Ich ſei krank geworden,
oder geſund geworden, oder was ſie wollen, aber ich
könnte ſie heute nicht mehr ſehen und morgen auch
nicht. Iſt es ſo gut, lieb' Herz? nicht wahr, ich bin
nicht ſo ſchlecht, wie die Alte ſagt?“ — Ich ging, vor
Freude laut weinend, aus der Stube und dachte: es
kann doch vielleicht noch Alles gut werden.

Aber das wurde es nicht. Schon nach wenigen
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[249/0259] Weiter ſagte ſie nichts, aber es war genug, ſelbſt ein ſo wildes Herz wie Harald's zu rühren. Er ließ die Arme ſinken und ſtarrte Marie an, als ob er aus einem ſchweren Traum erwachte. Plötzlich fiel er vor ihr auf die Knie, verbarg ſein glühendes Geſicht in den Falten ihres Kleides und ſchluchzte: „Vergieb mir, Marie; vergieb mir!“ Dann ſprang er auf, und als er ſah, daß ſie durch Thränen ihn anlächelte, hob er ſie in ſeinen Armen empor, wie ein Kind, trug ſie in der Stube auf und ab und herzte und küßte ſie. Dann ſetzte er ſie hier in den Lehnſtuhl, auf dem Du jetzt ſitzſt, und kniete vor ihr nieder, ihre Hände und ihre Kleider küſſend, und wandte ſich zu mir und rief: „Geh, Alte, und ſage dem Karl: er ſolle die Pferde für die Herren ſatteln laſſen. Ich ſei krank geworden, oder geſund geworden, oder was ſie wollen, aber ich könnte ſie heute nicht mehr ſehen und morgen auch nicht. Iſt es ſo gut, lieb' Herz? nicht wahr, ich bin nicht ſo ſchlecht, wie die Alte ſagt?“ — Ich ging, vor Freude laut weinend, aus der Stube und dachte: es kann doch vielleicht noch Alles gut werden. Aber das wurde es nicht. Schon nach wenigen Tagen war Alles wieder beim Alten. Aehnliche Sce¬ nen kamen noch manchmal vor, aber Harald's gute Vorſätze hielten immer nur wenige Tage Stand, und

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/259>, abgerufen am 24.11.2024.