Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.Marie war bei diesen Worten bleich wie der Tod "Schämst Du Dich nicht, Harald," sagte ich, "das Marie war bei dieſen Worten bleich wie der Tod „Schämſt Du Dich nicht, Harald,“ ſagte ich, „das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0258" n="248"/> <p>Marie war bei dieſen Worten bleich wie der Tod<lb/> geworden und zitterte an allen Gliedern; ich ſah, wie<lb/> ſie die Lippen bewegte, um etwas zu erwiedern, aber<lb/> ſie brachte keinen Laut hervor. Ich konnte es nicht<lb/> länger mehr mit anſehen.</p><lb/> <p>„Schämſt Du Dich nicht, Harald,“ ſagte ich, „das<lb/> arme, unſchuldige Lamm ſo zu quälen. Pfui, Ha¬<lb/> rald, — daß Du ſchlecht warſt, habe ich immer ge¬<lb/> wußt, aber für ſo ſchlecht hätte ich Dich nicht ge¬<lb/> halten!“ — Er ſprang mit einem Satze auf mich zu<lb/> und packte mich mit ſeinen Eiſenhänden an der Kehle. —<lb/> „Sprich noch ein Wort,“ knirſchte er zwiſchen den<lb/> Zähnen, „und ich breche Dir das Genick, verdammte<lb/> Hexe!“ — Ich wußte, daß er ſeine Drohung aus¬<lb/> führen könnte, aber ich fürchtete mich nicht vor dem<lb/> Tode. — „Thu', was Du willſt,“ ſagte ich ruhig,<lb/> „aber ſo lange ich noch einen Athemzug habe, will<lb/> ich Dir's in's Geſicht ſagen: Du biſt ein Elender.“ —<lb/> Ich ſah ihm feſt in's Auge; ich ſah, wie der Zorn<lb/> immer wüthender in ihm aufkochte, und fühlte, daß<lb/> ſeine Finger ſich wie eiſerne Klammern um meine<lb/> Kehle ſchloſſen. Ich glaubte meine letzte Stunde ge¬<lb/> kommen. — Da ſtand Marie plötzlich neben uns; ſie<lb/> legte ihre Hand auf Harald's Arm und ſagte ganz<lb/> leiſe: „laß ſie los, Harald; ich will mit Dir gehen.“ —<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [248/0258]
Marie war bei dieſen Worten bleich wie der Tod
geworden und zitterte an allen Gliedern; ich ſah, wie
ſie die Lippen bewegte, um etwas zu erwiedern, aber
ſie brachte keinen Laut hervor. Ich konnte es nicht
länger mehr mit anſehen.
„Schämſt Du Dich nicht, Harald,“ ſagte ich, „das
arme, unſchuldige Lamm ſo zu quälen. Pfui, Ha¬
rald, — daß Du ſchlecht warſt, habe ich immer ge¬
wußt, aber für ſo ſchlecht hätte ich Dich nicht ge¬
halten!“ — Er ſprang mit einem Satze auf mich zu
und packte mich mit ſeinen Eiſenhänden an der Kehle. —
„Sprich noch ein Wort,“ knirſchte er zwiſchen den
Zähnen, „und ich breche Dir das Genick, verdammte
Hexe!“ — Ich wußte, daß er ſeine Drohung aus¬
führen könnte, aber ich fürchtete mich nicht vor dem
Tode. — „Thu', was Du willſt,“ ſagte ich ruhig,
„aber ſo lange ich noch einen Athemzug habe, will
ich Dir's in's Geſicht ſagen: Du biſt ein Elender.“ —
Ich ſah ihm feſt in's Auge; ich ſah, wie der Zorn
immer wüthender in ihm aufkochte, und fühlte, daß
ſeine Finger ſich wie eiſerne Klammern um meine
Kehle ſchloſſen. Ich glaubte meine letzte Stunde ge¬
kommen. — Da ſtand Marie plötzlich neben uns; ſie
legte ihre Hand auf Harald's Arm und ſagte ganz
leiſe: „laß ſie los, Harald; ich will mit Dir gehen.“ —
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