seine Mutter so grenzenlos elend gewesen ist, das Licht erblicken; es soll nie erfahren, wer sein Vater war. Leben Sie wohl, liebe Mutter! möge der all¬ gütige Gott Sie behüten! und fürchten Sie nichts für mich! Ich gehe nicht allein; es ist Jemand bei mir, der mich beschützen und über mich wachen wird, und der sein Leben für mich lassen würde." -- "Weißt Du das auch gewiß, Kind?" sagte ich; "ich dächte, Du hättest jetzt gelernt, was den Männern ihre Schwüre werth sind. Wer ist es?" -- "Ich darf es nicht sagen," antwortete sie; "und jetzt muß ich fort, es ist die höchste Zeit." -- Sie hatte sich von dem Bett erhoben. "Warte," sagte ich, "ich will Dir we¬ nigstens das Geleit aus dem Schlosse geben."
Sie bat mich inständig, zu bleiben; aber ich kehrte mich nicht daran. Schnell hatte ich ein paar Kleider übergeworfen; ich war fest entschlossen, sie nicht eher fort zu lassen, bis ich mich überzeugt hatte, daß sie wußte, was sie that. Ich fürchtete noch immer, sie wolle sich das Leben nehmen.
Als sie sah, daß ich von meinem Vorsatz nicht ab¬ zubringen war, half sie mir, mich vollends ankleiden und sagte: "So kommen Sie, Mutter Clausen; er sieht dann doch, daß ich auch hier nicht ganz verlassen gewesen bin."
ſeine Mutter ſo grenzenlos elend geweſen iſt, das Licht erblicken; es ſoll nie erfahren, wer ſein Vater war. Leben Sie wohl, liebe Mutter! möge der all¬ gütige Gott Sie behüten! und fürchten Sie nichts für mich! Ich gehe nicht allein; es iſt Jemand bei mir, der mich beſchützen und über mich wachen wird, und der ſein Leben für mich laſſen würde.“ — „Weißt Du das auch gewiß, Kind?“ ſagte ich; „ich dächte, Du hätteſt jetzt gelernt, was den Männern ihre Schwüre werth ſind. Wer iſt es?“ — „Ich darf es nicht ſagen,“ antwortete ſie; „und jetzt muß ich fort, es iſt die höchſte Zeit.“ — Sie hatte ſich von dem Bett erhoben. „Warte,“ ſagte ich, „ich will Dir we¬ nigſtens das Geleit aus dem Schloſſe geben.“
Sie bat mich inſtändig, zu bleiben; aber ich kehrte mich nicht daran. Schnell hatte ich ein paar Kleider übergeworfen; ich war feſt entſchloſſen, ſie nicht eher fort zu laſſen, bis ich mich überzeugt hatte, daß ſie wußte, was ſie that. Ich fürchtete noch immer, ſie wolle ſich das Leben nehmen.
Als ſie ſah, daß ich von meinem Vorſatz nicht ab¬ zubringen war, half ſie mir, mich vollends ankleiden und ſagte: „So kommen Sie, Mutter Clauſen; er ſieht dann doch, daß ich auch hier nicht ganz verlaſſen geweſen bin.“
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ſeine Mutter ſo grenzenlos elend geweſen iſt, das
Licht erblicken; es ſoll nie erfahren, wer ſein Vater
war. Leben Sie wohl, liebe Mutter! möge der all¬
gütige Gott Sie behüten! und fürchten Sie nichts für
mich! Ich gehe nicht allein; es iſt Jemand bei mir,
der mich beſchützen und über mich wachen wird, und
der ſein Leben für mich laſſen würde.“ — „Weißt
Du das auch gewiß, Kind?“ ſagte ich; „ich dächte,
Du hätteſt jetzt gelernt, was den Männern ihre
Schwüre werth ſind. Wer iſt es?“ — „Ich darf es
nicht ſagen,“ antwortete ſie; „und jetzt muß ich fort,
es iſt die höchſte Zeit.“ — Sie hatte ſich von dem
Bett erhoben. „Warte,“ ſagte ich, „ich will Dir we¬
nigſtens das Geleit aus dem Schloſſe geben.“
Sie bat mich inſtändig, zu bleiben; aber ich kehrte
mich nicht daran. Schnell hatte ich ein paar Kleider
übergeworfen; ich war feſt entſchloſſen, ſie nicht eher
fort zu laſſen, bis ich mich überzeugt hatte, daß ſie
wußte, was ſie that. Ich fürchtete noch immer, ſie
wolle ſich das Leben nehmen.
Als ſie ſah, daß ich von meinem Vorſatz nicht ab¬
zubringen war, half ſie mir, mich vollends ankleiden
und ſagte: „So kommen Sie, Mutter Clauſen; er
ſieht dann doch, daß ich auch hier nicht ganz verlaſſen
geweſen bin.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/264>, abgerufen am 16.02.2025.
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