Wir gingen, uns an den Händen haltend, auf den Zehen durch die Corridore, dann die Treppen hinab, die aus dem alten Schlosse in den Garten führt. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Mond schien auf Augenblicke durch die schwarzen, treibenden Wol¬ ken. Ich hatte noch immer Mariens Hand in der meinigen; sie eilte, mich mit sich ziehend, durch die wohlbekannten Wege. Als wir an einer Bank vor¬ überkamen in einem der dichteren Baumgänge, wo ich sie oft mit Harald hatte sitzen sehen, blieb sie einen Augenblick stehen, und ich fühlte, wie ihre Hand zuckte. Aber sogleich raffte sie sich wieder auf: "Nein, nein! murmelte sie, er hat Recht; Harald hat mich nie geliebt, und darum darf ich auch nicht länger bleiben."
Wir gingen aus dem Garten in den Hof, aus dem Hof durch das große Thor in den Wald hinein, die Straße nach Berkow. Als wir ein paar hundert Schritte gegangen waren, kam uns ein Mann entge¬ gen. "Er ist es;" sagte Marie; "Sie müssen mich jetzt verlassen, Mutter Clausen; ich habe ihm ver¬ sprochen, allein zu kommen, und keinem zu sagen, daß ich fortgehe." "Du hättest das nicht versprechen sollen, Kind, sagte ich; ich glaube, ich habe das Recht, zu wissen, wo Du bleibst." --
Wir gingen, uns an den Händen haltend, auf den Zehen durch die Corridore, dann die Treppen hinab, die aus dem alten Schloſſe in den Garten führt. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Mond ſchien auf Augenblicke durch die ſchwarzen, treibenden Wol¬ ken. Ich hatte noch immer Mariens Hand in der meinigen; ſie eilte, mich mit ſich ziehend, durch die wohlbekannten Wege. Als wir an einer Bank vor¬ überkamen in einem der dichteren Baumgänge, wo ich ſie oft mit Harald hatte ſitzen ſehen, blieb ſie einen Augenblick ſtehen, und ich fühlte, wie ihre Hand zuckte. Aber ſogleich raffte ſie ſich wieder auf: „Nein, nein! murmelte ſie, er hat Recht; Harald hat mich nie geliebt, und darum darf ich auch nicht länger bleiben.“
Wir gingen aus dem Garten in den Hof, aus dem Hof durch das große Thor in den Wald hinein, die Straße nach Berkow. Als wir ein paar hundert Schritte gegangen waren, kam uns ein Mann entge¬ gen. „Er iſt es;“ ſagte Marie; „Sie müſſen mich jetzt verlaſſen, Mutter Clauſen; ich habe ihm ver¬ ſprochen, allein zu kommen, und keinem zu ſagen, daß ich fortgehe.“ „Du hätteſt das nicht verſprechen ſollen, Kind, ſagte ich; ich glaube, ich habe das Recht, zu wiſſen, wo Du bleibſt.“ —
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Wir gingen, uns an den Händen haltend, auf den
Zehen durch die Corridore, dann die Treppen hinab,
die aus dem alten Schloſſe in den Garten führt.
Es hatte aufgehört zu regnen, und der Mond ſchien
auf Augenblicke durch die ſchwarzen, treibenden Wol¬
ken. Ich hatte noch immer Mariens Hand in der
meinigen; ſie eilte, mich mit ſich ziehend, durch die
wohlbekannten Wege. Als wir an einer Bank vor¬
überkamen in einem der dichteren Baumgänge, wo ich
ſie oft mit Harald hatte ſitzen ſehen, blieb ſie einen
Augenblick ſtehen, und ich fühlte, wie ihre Hand
zuckte. Aber ſogleich raffte ſie ſich wieder auf: „Nein,
nein! murmelte ſie, er hat Recht; Harald hat mich
nie geliebt, und darum darf ich auch nicht länger
bleiben.“
Wir gingen aus dem Garten in den Hof, aus
dem Hof durch das große Thor in den Wald hinein,
die Straße nach Berkow. Als wir ein paar hundert
Schritte gegangen waren, kam uns ein Mann entge¬
gen. „Er iſt es;“ ſagte Marie; „Sie müſſen mich
jetzt verlaſſen, Mutter Clauſen; ich habe ihm ver¬
ſprochen, allein zu kommen, und keinem zu ſagen, daß
ich fortgehe.“ „Du hätteſt das nicht verſprechen
ſollen, Kind, ſagte ich; ich glaube, ich habe das Recht,
zu wiſſen, wo Du bleibſt.“ —
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/265>, abgerufen am 21.11.2024.
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