Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.Oswald war beinahe schon acht Tage in Sassitz Oswald war beinahe ſchon acht Tage in Saſſitz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0111" n="101"/> <p>Oswald war beinahe ſchon acht Tage in Saſſitz<lb/> und er bereute es keinen Augenblick, der Einladung<lb/> Mutter Karſten's gefolgt zu ſein. Er ſtand in ſehr<lb/> großer Gunſt bei Mutter Karſten. Er hatte auch<lb/> nicht ein Strichelchen auf die weißgetünchten Wände<lb/> der kleinen Kammer, die er bewohnte, gezeichnet; er<lb/> hatte ſtets ein freundliches Wort für Jeden, ſelbſt für<lb/> den ſteinalten, halb blödſinnigen Vater von Mutter<lb/> Karſten, der den ganzen Tag in ſeinem Lehnſtuhle in<lb/> der Sonne ſaß und unverwandt auf das Meer hin¬<lb/> ausſtarrte, wenn ihm nicht, was freilich oft geſchah,<lb/> die alten noch immer ſcharfen Augen vor Müdigkeit<lb/> zufielen. Mutter Karſten erklärte, daß Oswald ein<lb/> eben ſo „ordentlicher, ehrlicher“ Menſch ſei, wie ſein<lb/> Vorgänger, daß es aber bei ihm hier (mit der be¬<lb/> zeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn)<lb/> noch weniger richtig ſei, als bei jenem. Was Mutter<lb/> Karſten zu dieſem Ausſpruch veranlaßte, war der<lb/> allerdings verdächtige Umſtand, daß der junge Menſch,<lb/> welcher doch nun einmal verrückt genug war, eine in<lb/> ihren Augen ſo überflüſſige Hantierung zu treiben,<lb/> nicht nur nicht die wieder übertünchten Wände ſeiner<lb/> Schlafkammer mit Kohlenſkizzen von Schiffen unter<lb/> vollem Segel, einſamen Klippen, über denen Möven<lb/> flatterten und originellen Matroſengeſichtern bedeckte,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0111]
Oswald war beinahe ſchon acht Tage in Saſſitz
und er bereute es keinen Augenblick, der Einladung
Mutter Karſten's gefolgt zu ſein. Er ſtand in ſehr
großer Gunſt bei Mutter Karſten. Er hatte auch
nicht ein Strichelchen auf die weißgetünchten Wände
der kleinen Kammer, die er bewohnte, gezeichnet; er
hatte ſtets ein freundliches Wort für Jeden, ſelbſt für
den ſteinalten, halb blödſinnigen Vater von Mutter
Karſten, der den ganzen Tag in ſeinem Lehnſtuhle in
der Sonne ſaß und unverwandt auf das Meer hin¬
ausſtarrte, wenn ihm nicht, was freilich oft geſchah,
die alten noch immer ſcharfen Augen vor Müdigkeit
zufielen. Mutter Karſten erklärte, daß Oswald ein
eben ſo „ordentlicher, ehrlicher“ Menſch ſei, wie ſein
Vorgänger, daß es aber bei ihm hier (mit der be¬
zeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn)
noch weniger richtig ſei, als bei jenem. Was Mutter
Karſten zu dieſem Ausſpruch veranlaßte, war der
allerdings verdächtige Umſtand, daß der junge Menſch,
welcher doch nun einmal verrückt genug war, eine in
ihren Augen ſo überflüſſige Hantierung zu treiben,
nicht nur nicht die wieder übertünchten Wände ſeiner
Schlafkammer mit Kohlenſkizzen von Schiffen unter
vollem Segel, einſamen Klippen, über denen Möven
flatterten und originellen Matroſengeſichtern bedeckte,
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