Oswald war beinahe schon acht Tage in Sassitz und er bereute es keinen Augenblick, der Einladung Mutter Karsten's gefolgt zu sein. Er stand in sehr großer Gunst bei Mutter Karsten. Er hatte auch nicht ein Strichelchen auf die weißgetünchten Wände der kleinen Kammer, die er bewohnte, gezeichnet; er hatte stets ein freundliches Wort für Jeden, selbst für den steinalten, halb blödsinnigen Vater von Mutter Karsten, der den ganzen Tag in seinem Lehnstuhle in der Sonne saß und unverwandt auf das Meer hin¬ ausstarrte, wenn ihm nicht, was freilich oft geschah, die alten noch immer scharfen Augen vor Müdigkeit zufielen. Mutter Karsten erklärte, daß Oswald ein eben so "ordentlicher, ehrlicher" Mensch sei, wie sein Vorgänger, daß es aber bei ihm hier (mit der be¬ zeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn) noch weniger richtig sei, als bei jenem. Was Mutter Karsten zu diesem Ausspruch veranlaßte, war der allerdings verdächtige Umstand, daß der junge Mensch, welcher doch nun einmal verrückt genug war, eine in ihren Augen so überflüssige Hantierung zu treiben, nicht nur nicht die wieder übertünchten Wände seiner Schlafkammer mit Kohlenskizzen von Schiffen unter vollem Segel, einsamen Klippen, über denen Möven flatterten und originellen Matrosengesichtern bedeckte,
Oswald war beinahe ſchon acht Tage in Saſſitz und er bereute es keinen Augenblick, der Einladung Mutter Karſten's gefolgt zu ſein. Er ſtand in ſehr großer Gunſt bei Mutter Karſten. Er hatte auch nicht ein Strichelchen auf die weißgetünchten Wände der kleinen Kammer, die er bewohnte, gezeichnet; er hatte ſtets ein freundliches Wort für Jeden, ſelbſt für den ſteinalten, halb blödſinnigen Vater von Mutter Karſten, der den ganzen Tag in ſeinem Lehnſtuhle in der Sonne ſaß und unverwandt auf das Meer hin¬ ausſtarrte, wenn ihm nicht, was freilich oft geſchah, die alten noch immer ſcharfen Augen vor Müdigkeit zufielen. Mutter Karſten erklärte, daß Oswald ein eben ſo „ordentlicher, ehrlicher“ Menſch ſei, wie ſein Vorgänger, daß es aber bei ihm hier (mit der be¬ zeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn) noch weniger richtig ſei, als bei jenem. Was Mutter Karſten zu dieſem Ausſpruch veranlaßte, war der allerdings verdächtige Umſtand, daß der junge Menſch, welcher doch nun einmal verrückt genug war, eine in ihren Augen ſo überflüſſige Hantierung zu treiben, nicht nur nicht die wieder übertünchten Wände ſeiner Schlafkammer mit Kohlenſkizzen von Schiffen unter vollem Segel, einſamen Klippen, über denen Möven flatterten und originellen Matroſengeſichtern bedeckte,
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Oswald war beinahe ſchon acht Tage in Saſſitz
und er bereute es keinen Augenblick, der Einladung
Mutter Karſten's gefolgt zu ſein. Er ſtand in ſehr
großer Gunſt bei Mutter Karſten. Er hatte auch
nicht ein Strichelchen auf die weißgetünchten Wände
der kleinen Kammer, die er bewohnte, gezeichnet; er
hatte ſtets ein freundliches Wort für Jeden, ſelbſt für
den ſteinalten, halb blödſinnigen Vater von Mutter
Karſten, der den ganzen Tag in ſeinem Lehnſtuhle in
der Sonne ſaß und unverwandt auf das Meer hin¬
ausſtarrte, wenn ihm nicht, was freilich oft geſchah,
die alten noch immer ſcharfen Augen vor Müdigkeit
zufielen. Mutter Karſten erklärte, daß Oswald ein
eben ſo „ordentlicher, ehrlicher“ Menſch ſei, wie ſein
Vorgänger, daß es aber bei ihm hier (mit der be¬
zeichnenden Bewegung des Fingers nach der Stirn)
noch weniger richtig ſei, als bei jenem. Was Mutter
Karſten zu dieſem Ausſpruch veranlaßte, war der
allerdings verdächtige Umſtand, daß der junge Menſch,
welcher doch nun einmal verrückt genug war, eine in
ihren Augen ſo überflüſſige Hantierung zu treiben,
nicht nur nicht die wieder übertünchten Wände ſeiner
Schlafkammer mit Kohlenſkizzen von Schiffen unter
vollem Segel, einſamen Klippen, über denen Möven
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/111>, abgerufen am 17.07.2024.
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