Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.mende Briefe nachzusenden), und einen Tag später Es ist die Klage aller auf das Ideale gerichteten Das hatte Oswald nun schon so oft in seinem mende Briefe nachzuſenden), und einen Tag ſpäter Es iſt die Klage aller auf das Ideale gerichteten Das hatte Oswald nun ſchon ſo oft in ſeinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="103"/> mende Briefe nachzuſenden), und einen Tag ſpäter<lb/> konnte die treue Seele ſchon einen Brief der vielge¬<lb/> liebten Herrin in Oswald's Hände legen. Es waren<lb/> wenige Worte nur, auf der Reiſe, in einer Stadt<lb/> Mitteldeutſchlands, kurz vor dem Schlafengehen in<lb/> einem Hotel geſchrieben — wenige Worte, verwirrt<lb/> und traurig, aber ſüß und köſtlich, wie Küſſe von ge¬<lb/> liebten Lippen in dem Augenblicke der Trauung . . .<lb/> Er hatte Baumann ſeine Antwort mitgegeben und<lb/> erwartete nun täglich einen zweiten ausführlicheren<lb/> Brief mit einer Ungeduld, die keineswegs eine durch¬<lb/> aus freudige war.</p><lb/> <p>Es iſt die Klage aller auf das Ideale gerichteten<lb/> Geiſter, daß nichts auf Erden reinlich ſei, und daß,<lb/> ſo oft wir auch verſuchen, in lichtere Regionen aufzu¬<lb/> ſteigen, uns ein peinlicher Erdenreſt zu tragen bleibt,<lb/> der uns ſehr bald wieder auf das Niveau des ewig<lb/> Geſtrigen herabzieht.</p><lb/> <p>Das hatte Oswald nun ſchon ſo oft in ſeinem<lb/> Leben erfahren; es hatte ihn ſchon ſo viel Freuden<lb/> vergällt, ſo viel gute Menſchen und ſchlechte Muſi¬<lb/> kanten verleidet, es drohte jetzt auch ſeiner Liebe ver¬<lb/> derblich zu werden. Erſt hatte er an ſich ſelbſt die<lb/> ſchlimme Entdeckung machen müſſen, wie tief verbor¬<lb/> gen der Verrath in einem Herzen lauert, das ſich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0113]
mende Briefe nachzuſenden), und einen Tag ſpäter
konnte die treue Seele ſchon einen Brief der vielge¬
liebten Herrin in Oswald's Hände legen. Es waren
wenige Worte nur, auf der Reiſe, in einer Stadt
Mitteldeutſchlands, kurz vor dem Schlafengehen in
einem Hotel geſchrieben — wenige Worte, verwirrt
und traurig, aber ſüß und köſtlich, wie Küſſe von ge¬
liebten Lippen in dem Augenblicke der Trauung . . .
Er hatte Baumann ſeine Antwort mitgegeben und
erwartete nun täglich einen zweiten ausführlicheren
Brief mit einer Ungeduld, die keineswegs eine durch¬
aus freudige war.
Es iſt die Klage aller auf das Ideale gerichteten
Geiſter, daß nichts auf Erden reinlich ſei, und daß,
ſo oft wir auch verſuchen, in lichtere Regionen aufzu¬
ſteigen, uns ein peinlicher Erdenreſt zu tragen bleibt,
der uns ſehr bald wieder auf das Niveau des ewig
Geſtrigen herabzieht.
Das hatte Oswald nun ſchon ſo oft in ſeinem
Leben erfahren; es hatte ihn ſchon ſo viel Freuden
vergällt, ſo viel gute Menſchen und ſchlechte Muſi¬
kanten verleidet, es drohte jetzt auch ſeiner Liebe ver¬
derblich zu werden. Erſt hatte er an ſich ſelbſt die
ſchlimme Entdeckung machen müſſen, wie tief verbor¬
gen der Verrath in einem Herzen lauert, das ſich
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