gehenden Sonne nach; hoch oben in der rosigen Luft schossen noch immer einzelne Schwalben, als könnten sie sich heute, wo es doch gar so wunderschön sei, gar nicht entschließen, zur Erde zurückzukehren.
Langsam, fast zögernd, schritt Oswald dem Schlosse zu. Er fühlte tief den Zauber dieser Abendstunde und wußte, daß das erste Menschenwort denselben zerstören würde. Aber er begegnete Niemandem. Der ganze Hof war wie ausgestorben. Er stieg die Wendeltreppe hinauf und ging durch die langen Corridore, die von seinem Fußtrit wiederhallten, auf sein Zimmer. Die Fenster waren geöffnet, und der Lehnstuhl in der Nische hatte den rechten Platz, auf dem Tische vor dem Sopha stand eine Vase, angefüllt mit frischen Blumen, der Kopf des Apollo von Belvedere hatte sich eine schmale Krone von Epheu gefallen lassen müssen. Es war aufgeräumt in dem Zimmer, aber so, wie es nur von Jemand geschehen kann, der die Eigenheiten des Be¬ wohners ganz genau kennt. Offenbar hatte hier Bru¬ no's Hand gewaltet.
Oswald fühlte sich durch das stumme und doch so beredte Willkommen auf das angenehmste berührt. Es war wie eine warme Hand, die freundlich die seine drückte, wie ein Hauch, der liebevoll seinen Namen flüsterte. Der Sturm in seiner Seele, welchen die
gehenden Sonne nach; hoch oben in der roſigen Luft ſchoſſen noch immer einzelne Schwalben, als könnten ſie ſich heute, wo es doch gar ſo wunderſchön ſei, gar nicht entſchließen, zur Erde zurückzukehren.
Langſam, faſt zögernd, ſchritt Oswald dem Schloſſe zu. Er fühlte tief den Zauber dieſer Abendſtunde und wußte, daß das erſte Menſchenwort denſelben zerſtören würde. Aber er begegnete Niemandem. Der ganze Hof war wie ausgeſtorben. Er ſtieg die Wendeltreppe hinauf und ging durch die langen Corridore, die von ſeinem Fußtrit wiederhallten, auf ſein Zimmer. Die Fenſter waren geöffnet, und der Lehnſtuhl in der Niſche hatte den rechten Platz, auf dem Tiſche vor dem Sopha ſtand eine Vaſe, angefüllt mit friſchen Blumen, der Kopf des Apollo von Belvedere hatte ſich eine ſchmale Krone von Epheu gefallen laſſen müſſen. Es war aufgeräumt in dem Zimmer, aber ſo, wie es nur von Jemand geſchehen kann, der die Eigenheiten des Be¬ wohners ganz genau kennt. Offenbar hatte hier Bru¬ no's Hand gewaltet.
Oswald fühlte ſich durch das ſtumme und doch ſo beredte Willkommen auf das angenehmſte berührt. Es war wie eine warme Hand, die freundlich die ſeine drückte, wie ein Hauch, der liebevoll ſeinen Namen flüſterte. Der Sturm in ſeiner Seele, welchen die
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gehenden Sonne nach; hoch oben in der roſigen Luft
ſchoſſen noch immer einzelne Schwalben, als könnten
ſie ſich heute, wo es doch gar ſo wunderſchön ſei,
gar nicht entſchließen, zur Erde zurückzukehren.
Langſam, faſt zögernd, ſchritt Oswald dem Schloſſe
zu. Er fühlte tief den Zauber dieſer Abendſtunde und
wußte, daß das erſte Menſchenwort denſelben zerſtören
würde. Aber er begegnete Niemandem. Der ganze
Hof war wie ausgeſtorben. Er ſtieg die Wendeltreppe
hinauf und ging durch die langen Corridore, die von
ſeinem Fußtrit wiederhallten, auf ſein Zimmer. Die
Fenſter waren geöffnet, und der Lehnſtuhl in der Niſche
hatte den rechten Platz, auf dem Tiſche vor dem Sopha
ſtand eine Vaſe, angefüllt mit friſchen Blumen, der
Kopf des Apollo von Belvedere hatte ſich eine ſchmale
Krone von Epheu gefallen laſſen müſſen. Es war
aufgeräumt in dem Zimmer, aber ſo, wie es nur von
Jemand geſchehen kann, der die Eigenheiten des Be¬
wohners ganz genau kennt. Offenbar hatte hier Bru¬
no's Hand gewaltet.
Oswald fühlte ſich durch das ſtumme und doch
ſo beredte Willkommen auf das angenehmſte berührt.
Es war wie eine warme Hand, die freundlich die ſeine
drückte, wie ein Hauch, der liebevoll ſeinen Namen
flüſterte. Der Sturm in ſeiner Seele, welchen die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/131>, abgerufen am 19.07.2024.
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