Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz Es war eins der Gesichter, die man nie wieder Oswald stand in Bewunderung verloren, wie man und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz Es war eins der Geſichter, die man nie wieder Oswald ſtand in Bewunderung verloren, wie man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0134" n="124"/> und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz<lb/> ſehen ...</p><lb/> <p>Es war eins der Geſichter, die man nie wieder<lb/> vergißt, wenn man einmal mit fühlenden Augen hin¬<lb/> eingeſchaut, an die ſich noch der Greis über ein halbes<lb/> Jahrhundert weg mit wehmüthiger Freude erinnert,<lb/> wie er ſich an einen warmen Sommerabend erinnert,<lb/> als er — ein kleiner Schulknabe — mit den Brüdern<lb/> im Garten ſpielte und aus der Laube das Lachen der<lb/> großen Mädchen klang; eins der Geſichter, die uns,<lb/> wenn wir noch ſo traurig ſind, anlächeln, wie ein<lb/> Sonnenblick an einem düſtern Herbſttage, die, wenn<lb/> es in unſerm Herzen noch ſo öde iſt, uns wieder an<lb/> Poeſie und Alles, was ſchön und göttlich iſt, glauben<lb/> machen.</p><lb/> <p>Oswald ſtand in Bewunderung verloren, wie man<lb/> vor einem wunderherrlichen Gemälde anbetend ſtehen<lb/> bleibt. Es war nicht das liebliche Oval des reizenden<lb/> Geſichtes; es waren nicht die großen, dunkeln, träu¬<lb/> meriſchen Augen, die aus den langen ſchwarzen Wim¬<lb/> pern mit einem ſo zauberiſchen Lichte leuchteten; es<lb/> waren nicht die vollen roſigen Lippen, die ſo freundlich<lb/> lächeln konnten; es war nicht das dunkle Incarnat<lb/> des ſammetweichen Teints — es war eben Alles in<lb/> Allem. Wer kann die Sonnenſtrahlen fangen? wer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0134]
und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz
ſehen ...
Es war eins der Geſichter, die man nie wieder
vergißt, wenn man einmal mit fühlenden Augen hin¬
eingeſchaut, an die ſich noch der Greis über ein halbes
Jahrhundert weg mit wehmüthiger Freude erinnert,
wie er ſich an einen warmen Sommerabend erinnert,
als er — ein kleiner Schulknabe — mit den Brüdern
im Garten ſpielte und aus der Laube das Lachen der
großen Mädchen klang; eins der Geſichter, die uns,
wenn wir noch ſo traurig ſind, anlächeln, wie ein
Sonnenblick an einem düſtern Herbſttage, die, wenn
es in unſerm Herzen noch ſo öde iſt, uns wieder an
Poeſie und Alles, was ſchön und göttlich iſt, glauben
machen.
Oswald ſtand in Bewunderung verloren, wie man
vor einem wunderherrlichen Gemälde anbetend ſtehen
bleibt. Es war nicht das liebliche Oval des reizenden
Geſichtes; es waren nicht die großen, dunkeln, träu¬
meriſchen Augen, die aus den langen ſchwarzen Wim¬
pern mit einem ſo zauberiſchen Lichte leuchteten; es
waren nicht die vollen roſigen Lippen, die ſo freundlich
lächeln konnten; es war nicht das dunkle Incarnat
des ſammetweichen Teints — es war eben Alles in
Allem. Wer kann die Sonnenſtrahlen fangen? wer
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