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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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ganz allmälig lauter. Die Accorde flossen zusammen
zu der Melodie eines Liedes, und bald begann eine
weiche Altstimme das Lied zu der Melodie zu singen...
Oswald konnte die Worte nicht vernehmen, aber sie
schienen sanft und traurig zu sein, wie die Melodie,
deren einfache rührende Klage wunderbar zum Herzen
sprach . . .

Diese Musik zu dieser Stunde würde Oswald
entzückt haben, auch wenn er nicht hätte ahnen können,
wer die Sängerin war. Jetzt aber, wo er wußte,
daß es Niemand sein konnte, als das schöne Mädchen,
vor dem sich heute Abend, wie vor einer überirdischen
Erscheinung, seine Seele anbetend geneigt hatte, bei
dessen Anblick es über ihn gekommen war, wie die
Offenbarung einer höheren Welt -- klangen die tief¬
sten Seiten seines Herzens mit, und wie der Gläu¬
bige, was in ihm wogt und drängt, in ein Gebet zu
gießen versucht, so fühlte Oswald den Drang, in
Worten auszusprechen, was seine Seele so mächtig
erregte. Er erhob sich wie trunken, aus dem Sitz
am Fenster; er schritt an den Tisch und schrieb kaum
wissend, was er schrieb:

Nie, seit der wunderbaren heil'gen Stunde,
Die Milton's hoher Genius besang,
Als von des ersten Menschen reinem Munde
Das erste süße Wort der Liebe klang,

ganz allmälig lauter. Die Accorde floſſen zuſammen
zu der Melodie eines Liedes, und bald begann eine
weiche Altſtimme das Lied zu der Melodie zu ſingen...
Oswald konnte die Worte nicht vernehmen, aber ſie
ſchienen ſanft und traurig zu ſein, wie die Melodie,
deren einfache rührende Klage wunderbar zum Herzen
ſprach . . .

Dieſe Muſik zu dieſer Stunde würde Oswald
entzückt haben, auch wenn er nicht hätte ahnen können,
wer die Sängerin war. Jetzt aber, wo er wußte,
daß es Niemand ſein konnte, als das ſchöne Mädchen,
vor dem ſich heute Abend, wie vor einer überirdiſchen
Erſcheinung, ſeine Seele anbetend geneigt hatte, bei
deſſen Anblick es über ihn gekommen war, wie die
Offenbarung einer höheren Welt — klangen die tief¬
ſten Seiten ſeines Herzens mit, und wie der Gläu¬
bige, was in ihm wogt und drängt, in ein Gebet zu
gießen verſucht, ſo fühlte Oswald den Drang, in
Worten auszuſprechen, was ſeine Seele ſo mächtig
erregte. Er erhob ſich wie trunken, aus dem Sitz
am Fenſter; er ſchritt an den Tiſch und ſchrieb kaum
wiſſend, was er ſchrieb:

Nie, ſeit der wunderbaren heil'gen Stunde,
Die Milton's hoher Genius beſang,
Als von des erſten Menſchen reinem Munde
Das erſte ſüße Wort der Liebe klang,
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[133/0143] ganz allmälig lauter. Die Accorde floſſen zuſammen zu der Melodie eines Liedes, und bald begann eine weiche Altſtimme das Lied zu der Melodie zu ſingen... Oswald konnte die Worte nicht vernehmen, aber ſie ſchienen ſanft und traurig zu ſein, wie die Melodie, deren einfache rührende Klage wunderbar zum Herzen ſprach . . . Dieſe Muſik zu dieſer Stunde würde Oswald entzückt haben, auch wenn er nicht hätte ahnen können, wer die Sängerin war. Jetzt aber, wo er wußte, daß es Niemand ſein konnte, als das ſchöne Mädchen, vor dem ſich heute Abend, wie vor einer überirdiſchen Erſcheinung, ſeine Seele anbetend geneigt hatte, bei deſſen Anblick es über ihn gekommen war, wie die Offenbarung einer höheren Welt — klangen die tief¬ ſten Seiten ſeines Herzens mit, und wie der Gläu¬ bige, was in ihm wogt und drängt, in ein Gebet zu gießen verſucht, ſo fühlte Oswald den Drang, in Worten auszuſprechen, was ſeine Seele ſo mächtig erregte. Er erhob ſich wie trunken, aus dem Sitz am Fenſter; er ſchritt an den Tiſch und ſchrieb kaum wiſſend, was er ſchrieb: Nie, ſeit der wunderbaren heil'gen Stunde, Die Milton's hoher Genius beſang, Als von des erſten Menſchen reinem Munde Das erſte ſüße Wort der Liebe klang,

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/143>, abgerufen am 23.11.2024.