Der Morgen grüßte so freundlich aus dem thau¬ frischen Garten herauf, daß Oswald dem Verlangen, ein wenig zwischen den blumenreichen Beeten und in den schattigen Laubgängen umherzuschlendern, nicht widerstehen konnte. Ueberdies war es noch sehr früh -- noch beinahe zwei Stunden Zeit -- die Knaben schliefen noch.
Oswald eilte hinab und suchte seinen Lieblings¬ platz auf, den mächtigen Wall, der Schloß und Garten und Hof umfaßte und auf welchem es sich unter den Buchen und Nußbäumen gar anmuthig promenirte, besonders am Morgen, wenn die rothen Sonnen¬ strahlen durch die wehenden Zweige blitzten und die halbwilden Enten noch lustiger als sonst auf dem grün überwachsenen Graben ihr Wesen trieben.
Oswald schlenderte langsam dahin, die reizenden Einzelheiten des wonnigen Morgens mit allen Sinnen genießend, heute um so mehr, als die Lieblichkeit, die sanfte Schönheit, die ihn hier rings umher anlächelte, gar seltsam mit der öden Monotonie der Meeresküste, die er in der letzten Zeit beständig vor Augen gehabt hatte, contrastirte. Heute Morgen war es ihm bei¬ nahe unbegreiflich, wie er sich von seiner düstern Laune so ganz habe beherrschen lassen können. Der Doctor hatte Recht: die Einsamkeit ist ein süßes be¬
Der Morgen grüßte ſo freundlich aus dem thau¬ friſchen Garten herauf, daß Oswald dem Verlangen, ein wenig zwiſchen den blumenreichen Beeten und in den ſchattigen Laubgängen umherzuſchlendern, nicht widerſtehen konnte. Ueberdies war es noch ſehr früh — noch beinahe zwei Stunden Zeit — die Knaben ſchliefen noch.
Oswald eilte hinab und ſuchte ſeinen Lieblings¬ platz auf, den mächtigen Wall, der Schloß und Garten und Hof umfaßte und auf welchem es ſich unter den Buchen und Nußbäumen gar anmuthig promenirte, beſonders am Morgen, wenn die rothen Sonnen¬ ſtrahlen durch die wehenden Zweige blitzten und die halbwilden Enten noch luſtiger als ſonſt auf dem grün überwachſenen Graben ihr Weſen trieben.
Oswald ſchlenderte langſam dahin, die reizenden Einzelheiten des wonnigen Morgens mit allen Sinnen genießend, heute um ſo mehr, als die Lieblichkeit, die ſanfte Schönheit, die ihn hier rings umher anlächelte, gar ſeltſam mit der öden Monotonie der Meeresküſte, die er in der letzten Zeit beſtändig vor Augen gehabt hatte, contraſtirte. Heute Morgen war es ihm bei¬ nahe unbegreiflich, wie er ſich von ſeiner düſtern Laune ſo ganz habe beherrſchen laſſen können. Der Doctor hatte Recht: die Einſamkeit iſt ein ſüßes be¬
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Der Morgen grüßte ſo freundlich aus dem thau¬
friſchen Garten herauf, daß Oswald dem Verlangen,
ein wenig zwiſchen den blumenreichen Beeten und in
den ſchattigen Laubgängen umherzuſchlendern, nicht
widerſtehen konnte. Ueberdies war es noch ſehr früh
— noch beinahe zwei Stunden Zeit — die Knaben
ſchliefen noch.
Oswald eilte hinab und ſuchte ſeinen Lieblings¬
platz auf, den mächtigen Wall, der Schloß und Garten
und Hof umfaßte und auf welchem es ſich unter den
Buchen und Nußbäumen gar anmuthig promenirte,
beſonders am Morgen, wenn die rothen Sonnen¬
ſtrahlen durch die wehenden Zweige blitzten und die
halbwilden Enten noch luſtiger als ſonſt auf dem
grün überwachſenen Graben ihr Weſen trieben.
Oswald ſchlenderte langſam dahin, die reizenden
Einzelheiten des wonnigen Morgens mit allen Sinnen
genießend, heute um ſo mehr, als die Lieblichkeit, die
ſanfte Schönheit, die ihn hier rings umher anlächelte,
gar ſeltſam mit der öden Monotonie der Meeresküſte,
die er in der letzten Zeit beſtändig vor Augen gehabt
hatte, contraſtirte. Heute Morgen war es ihm bei¬
nahe unbegreiflich, wie er ſich von ſeiner düſtern
Laune ſo ganz habe beherrſchen laſſen können. Der
Doctor hatte Recht: die Einſamkeit iſt ein ſüßes be¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/149>, abgerufen am 20.07.2024.
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