dieser sich nur zum Schein bitten ließ, um vor sich selbst die Inconsequenz, deren er sich in dieser Be¬ ziehung schuldig machte, zu beschönigen. Bruno, von Oswald mit seinem Interesse an Dingen und Perso¬ nen, die ihm sonst gleichgültig oder verhaßt gewesen waren, geneckt, sagte, er wisse nicht, was mit einem Male über ihn gekommen sei; ihm sei zu Muthe, wie einem Vogel, der, aus seinem Käfig entflogen, die Freiheit wieder erlangt habe, wie einer Blume, wenn nach Sturm und Regen die Sonne wieder scheine. Und wirklich, Bruno war ausgelassen wie ein Vogel und in dieser seiner Heiterkeit, schön wie eine Blume, die eben dem Lichte den vollen Kelch erschließt. Es war unmöglich, den herrlichen Knaben nicht zu be¬ wundern: seine Freundlichkeit war eben so hinreißend liebenswürdig, wie sein Trotz abstoßend und oft ge¬ radezu beleidigend war. Alle waren miteinander dar¬ über einig, daß eine merkwürdige Veränderung mit Bruno vorgegangen sei; was aber diese Veränderung hervorgebracht hatte, -- das wußte, das ahnte Keiner.
Dennoch hätte der Grund derselben einem scharf¬ sichtigen Beobachter nicht entgehen können, und würde auch wol Oswald nicht entgangen sein, wenn er mit seinen eigenen Herzensangelegenheiten nicht so vollauf beschäftigt gewesen wäre. Schon die Unterhaltung mit
dieſer ſich nur zum Schein bitten ließ, um vor ſich ſelbſt die Inconſequenz, deren er ſich in dieſer Be¬ ziehung ſchuldig machte, zu beſchönigen. Bruno, von Oswald mit ſeinem Intereſſe an Dingen und Perſo¬ nen, die ihm ſonſt gleichgültig oder verhaßt geweſen waren, geneckt, ſagte, er wiſſe nicht, was mit einem Male über ihn gekommen ſei; ihm ſei zu Muthe, wie einem Vogel, der, aus ſeinem Käfig entflogen, die Freiheit wieder erlangt habe, wie einer Blume, wenn nach Sturm und Regen die Sonne wieder ſcheine. Und wirklich, Bruno war ausgelaſſen wie ein Vogel und in dieſer ſeiner Heiterkeit, ſchön wie eine Blume, die eben dem Lichte den vollen Kelch erſchließt. Es war unmöglich, den herrlichen Knaben nicht zu be¬ wundern: ſeine Freundlichkeit war eben ſo hinreißend liebenswürdig, wie ſein Trotz abſtoßend und oft ge¬ radezu beleidigend war. Alle waren miteinander dar¬ über einig, daß eine merkwürdige Veränderung mit Bruno vorgegangen ſei; was aber dieſe Veränderung hervorgebracht hatte, — das wußte, das ahnte Keiner.
Dennoch hätte der Grund derſelben einem ſcharf¬ ſichtigen Beobachter nicht entgehen können, und würde auch wol Oswald nicht entgangen ſein, wenn er mit ſeinen eigenen Herzensangelegenheiten nicht ſo vollauf beſchäftigt geweſen wäre. Schon die Unterhaltung mit
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dieſer ſich nur zum Schein bitten ließ, um vor ſich
ſelbſt die Inconſequenz, deren er ſich in dieſer Be¬
ziehung ſchuldig machte, zu beſchönigen. Bruno, von
Oswald mit ſeinem Intereſſe an Dingen und Perſo¬
nen, die ihm ſonſt gleichgültig oder verhaßt geweſen
waren, geneckt, ſagte, er wiſſe nicht, was mit einem
Male über ihn gekommen ſei; ihm ſei zu Muthe, wie
einem Vogel, der, aus ſeinem Käfig entflogen, die
Freiheit wieder erlangt habe, wie einer Blume, wenn
nach Sturm und Regen die Sonne wieder ſcheine.
Und wirklich, Bruno war ausgelaſſen wie ein Vogel
und in dieſer ſeiner Heiterkeit, ſchön wie eine Blume,
die eben dem Lichte den vollen Kelch erſchließt. Es
war unmöglich, den herrlichen Knaben nicht zu be¬
wundern: ſeine Freundlichkeit war eben ſo hinreißend
liebenswürdig, wie ſein Trotz abſtoßend und oft ge¬
radezu beleidigend war. Alle waren miteinander dar¬
über einig, daß eine merkwürdige Veränderung mit
Bruno vorgegangen ſei; was aber dieſe Veränderung
hervorgebracht hatte, — das wußte, das ahnte Keiner.
Dennoch hätte der Grund derſelben einem ſcharf¬
ſichtigen Beobachter nicht entgehen können, und würde
auch wol Oswald nicht entgangen ſein, wenn er mit
ſeinen eigenen Herzensangelegenheiten nicht ſo vollauf
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/183>, abgerufen am 16.02.2025.
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