der Blüthe seiner Jahre geraubt wurde, von Deiner Schwester Kitty, der holden Blume, die so früh ver¬ welkte -- Du sagtest, sie seien Dir nicht gestorben, könnten Dir nicht sterben, denn sie lebten schöner und herrlicher in Deiner Erinnerung fort. Die Schatten der lieben Todten umschwebten Dich überall, sie seien Dir eine liebe Gesellschaft, in der Du Dich unendlich wohler fühltest, als oft, sehr oft in der kalten, egoistischen, die Dich umgiebt. O gewiß: das Leben ist der Güter höchstes nicht; aber die Liebe ist es. Das Leben ohne Liebe ist ganz werthlos, Liebe ohne Leben kann noch immer köstlich sein. Deine Verwandten sind gestorben, aber sie leben Dir; meine Verwandten leben, aber für mich find sie todt. -- Es ist ein grauses Wort, theuerste Mary, aber ich streiche es dennoch nicht wieder aus, denn es ist wahr, und wir haben ja geschworen, uns nie die Wahrheit zu verhehlen, koste uns ihr Bekenntniß noch so viel. Ja, sie sind todt für mich, meine Verwand¬ ten, und ob ich gleich die Hälfte meines Lebens hin¬ geben möchte, sie ins Leben zu rufen -- mit frommen Wünschen ist hier nichts gethan. Wer lebt denn für uns? Doch nur die, in deren Herzen wir allezeit eine sichere Zufluchtsstätte finden vor allem Leid, das uns bedrängt, vor allen Zweifeln, die uns ängstigen; die
der Blüthe ſeiner Jahre geraubt wurde, von Deiner Schweſter Kitty, der holden Blume, die ſo früh ver¬ welkte — Du ſagteſt, ſie ſeien Dir nicht geſtorben, könnten Dir nicht ſterben, denn ſie lebten ſchöner und herrlicher in Deiner Erinnerung fort. Die Schatten der lieben Todten umſchwebten Dich überall, ſie ſeien Dir eine liebe Geſellſchaft, in der Du Dich unendlich wohler fühlteſt, als oft, ſehr oft in der kalten, egoiſtiſchen, die Dich umgiebt. O gewiß: das Leben iſt der Güter höchſtes nicht; aber die Liebe iſt es. Das Leben ohne Liebe iſt ganz werthlos, Liebe ohne Leben kann noch immer köſtlich ſein. Deine Verwandten ſind geſtorben, aber ſie leben Dir; meine Verwandten leben, aber für mich find ſie todt. — Es iſt ein grauſes Wort, theuerſte Mary, aber ich ſtreiche es dennoch nicht wieder aus, denn es iſt wahr, und wir haben ja geſchworen, uns nie die Wahrheit zu verhehlen, koſte uns ihr Bekenntniß noch ſo viel. Ja, ſie ſind todt für mich, meine Verwand¬ ten, und ob ich gleich die Hälfte meines Lebens hin¬ geben möchte, ſie ins Leben zu rufen — mit frommen Wünſchen iſt hier nichts gethan. Wer lebt denn für uns? Doch nur die, in deren Herzen wir allezeit eine ſichere Zufluchtsſtätte finden vor allem Leid, das uns bedrängt, vor allen Zweifeln, die uns ängſtigen; die
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der Blüthe ſeiner Jahre geraubt wurde, von Deiner
Schweſter Kitty, der holden Blume, die ſo früh ver¬
welkte — Du ſagteſt, ſie ſeien Dir nicht geſtorben,
könnten Dir nicht ſterben, denn ſie lebten ſchöner
und herrlicher in Deiner Erinnerung fort. Die
Schatten der lieben Todten umſchwebten Dich überall,
ſie ſeien Dir eine liebe Geſellſchaft, in der Du Dich
unendlich wohler fühlteſt, als oft, ſehr oft in der
kalten, egoiſtiſchen, die Dich umgiebt. O gewiß: das
Leben iſt der Güter höchſtes nicht; aber die Liebe iſt
es. Das Leben ohne Liebe iſt ganz werthlos, Liebe
ohne Leben kann noch immer köſtlich ſein. Deine
Verwandten ſind geſtorben, aber ſie leben Dir; meine
Verwandten leben, aber für mich find ſie todt. —
Es iſt ein grauſes Wort, theuerſte Mary, aber ich
ſtreiche es dennoch nicht wieder aus, denn es iſt
wahr, und wir haben ja geſchworen, uns nie die
Wahrheit zu verhehlen, koſte uns ihr Bekenntniß noch
ſo viel. Ja, ſie ſind todt für mich, meine Verwand¬
ten, und ob ich gleich die Hälfte meines Lebens hin¬
geben möchte, ſie ins Leben zu rufen — mit frommen
Wünſchen iſt hier nichts gethan. Wer lebt denn für
uns? Doch nur die, in deren Herzen wir allezeit eine
ſichere Zufluchtsſtätte finden vor allem Leid, das uns
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/134>, abgerufen am 22.12.2024.
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