sich mit dem Gedanken, daß ja die Zeit des Ueber¬ gangs aus dem Knaben- in das Jünglingsalter für Alle eine Periode innerer und äußerer Stürme zu sein pflegt, und daß bei so mächtigen Naturen, wie Bruno, die Revolution verhältnißmäßig gewaltiger sein müsse. Er hatte oft mit Bruno über Verhältnisse gesprochen, die dem erschlossenen Auge nicht länger verborgen bleiben können, denn er hielt es für die heilige Pflicht eines Erziehers, gerade in diesem Punkte der wühlenden Neugier, dem grübelnden Scharfsinn des Neophyten entgegenzukommen, und ihm die Thür zum Heiligthum der Natur lieber zu erschließen, als zuzugeben, daß der Jünger durch die Schuld zur Wahrheit gelangt. Er wußte, daß Bruno's Sinn edel und sein Herz rein war "wie das Herz der Wasser". Er war nach dieser Seite hin vollkommen ruhig; er ahnte nicht, daß Bruno, edel und rein wie er war, mit allen Kräften seiner starken Seele, mit der ganzen Gluth der eben erst erwachten Sinnlichkeit, mit der namenlosen Seligkeit einer ersten Neigung, mit der stummen Verzweiflung einer Leidenschaft, die keine Er¬ wiederung findet und finden kann, seine schöne Cousine liebte.
Er hatte Helenen nie vorher gesehen. Als er vor drei Jahren etwa in das Haus seiner Verwandten
ſich mit dem Gedanken, daß ja die Zeit des Ueber¬ gangs aus dem Knaben- in das Jünglingsalter für Alle eine Periode innerer und äußerer Stürme zu ſein pflegt, und daß bei ſo mächtigen Naturen, wie Bruno, die Revolution verhältnißmäßig gewaltiger ſein müſſe. Er hatte oft mit Bruno über Verhältniſſe geſprochen, die dem erſchloſſenen Auge nicht länger verborgen bleiben können, denn er hielt es für die heilige Pflicht eines Erziehers, gerade in dieſem Punkte der wühlenden Neugier, dem grübelnden Scharfſinn des Neophyten entgegenzukommen, und ihm die Thür zum Heiligthum der Natur lieber zu erſchließen, als zuzugeben, daß der Jünger durch die Schuld zur Wahrheit gelangt. Er wußte, daß Bruno's Sinn edel und ſein Herz rein war „wie das Herz der Waſſer“. Er war nach dieſer Seite hin vollkommen ruhig; er ahnte nicht, daß Bruno, edel und rein wie er war, mit allen Kräften ſeiner ſtarken Seele, mit der ganzen Gluth der eben erſt erwachten Sinnlichkeit, mit der namenloſen Seligkeit einer erſten Neigung, mit der ſtummen Verzweiflung einer Leidenſchaft, die keine Er¬ wiederung findet und finden kann, ſeine ſchöne Couſine liebte.
Er hatte Helenen nie vorher geſehen. Als er vor drei Jahren etwa in das Haus ſeiner Verwandten
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ſich mit dem Gedanken, daß ja die Zeit des Ueber¬
gangs aus dem Knaben- in das Jünglingsalter für
Alle eine Periode innerer und äußerer Stürme zu
ſein pflegt, und daß bei ſo mächtigen Naturen, wie
Bruno, die Revolution verhältnißmäßig gewaltiger ſein
müſſe. Er hatte oft mit Bruno über Verhältniſſe
geſprochen, die dem erſchloſſenen Auge nicht länger
verborgen bleiben können, denn er hielt es für die
heilige Pflicht eines Erziehers, gerade in dieſem Punkte
der wühlenden Neugier, dem grübelnden Scharfſinn
des Neophyten entgegenzukommen, und ihm die Thür
zum Heiligthum der Natur lieber zu erſchließen, als
zuzugeben, daß der Jünger durch die Schuld zur
Wahrheit gelangt. Er wußte, daß Bruno's Sinn edel
und ſein Herz rein war „wie das Herz der Waſſer“.
Er war nach dieſer Seite hin vollkommen ruhig; er
ahnte nicht, daß Bruno, edel und rein wie er war,
mit allen Kräften ſeiner ſtarken Seele, mit der ganzen
Gluth der eben erſt erwachten Sinnlichkeit, mit der
namenloſen Seligkeit einer erſten Neigung, mit der
ſtummen Verzweiflung einer Leidenſchaft, die keine Er¬
wiederung findet und finden kann, ſeine ſchöne Couſine
liebte.
Er hatte Helenen nie vorher geſehen. Als er vor
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/186>, abgerufen am 22.12.2024.
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