Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

auf immer von den Meinigen; er soll mich nicht auch
von Bruno trennen, den ich so herzlich liebe, von
Ihnen, der Sie stets so gut und freundlich zu mir
gewesen sind. Ich habe Sie immer für meinen
Freund gehalten, Sie immer hoch geschätzt und geehrt
-- wie hoch, das möge Ihnen dieser Brief selbst be¬
weisen. Lesen Sie ihn! Wenn alle Welt weiß, wie
ich über Sie denke, so dürfen Sie es am Ende ja
auch wol wissen."

Und das junge Mädchen reichte Oswald den Brief
hin. Ihr Antlitz glühte, aber nicht mehr vor Zorn
oder Scham. Ihre dunkeln Augen leuchteten, aber
wie einer Heldin, die sich für eine heilige Sache zu
opfern im Begriff steht.

"Lesen Sie nur! sagte sie mit einem eigenthüm¬
lichen Lächeln, als Oswald sie ungläubig anstarrte;
"fürchten Sie nicht, daß es mich hinterher reuen
wird. Ich weiß, daß Ihr Herz einer Andern gehört,
die seit gestern wieder in unserer Nähe ist. Bruno,
der Alles weiß, hat es mir verrathen. Ich will von
Ihnen nichts, als was ich schon habe -- Ihre Freund¬
schaft. Lesen Sie den Brief, und wenn Sie ihn ge¬
lesen haben, verbrennen Sie ihn in Gottes Namen."

Ehe Oswald sich von seinem grenzenlosen Erstau¬
nen über diese wunderbare Rede nur so weit erholen

auf immer von den Meinigen; er ſoll mich nicht auch
von Bruno trennen, den ich ſo herzlich liebe, von
Ihnen, der Sie ſtets ſo gut und freundlich zu mir
geweſen ſind. Ich habe Sie immer für meinen
Freund gehalten, Sie immer hoch geſchätzt und geehrt
— wie hoch, das möge Ihnen dieſer Brief ſelbſt be¬
weiſen. Leſen Sie ihn! Wenn alle Welt weiß, wie
ich über Sie denke, ſo dürfen Sie es am Ende ja
auch wol wiſſen.“

Und das junge Mädchen reichte Oswald den Brief
hin. Ihr Antlitz glühte, aber nicht mehr vor Zorn
oder Scham. Ihre dunkeln Augen leuchteten, aber
wie einer Heldin, die ſich für eine heilige Sache zu
opfern im Begriff ſteht.

„Leſen Sie nur! ſagte ſie mit einem eigenthüm¬
lichen Lächeln, als Oswald ſie ungläubig anſtarrte;
„fürchten Sie nicht, daß es mich hinterher reuen
wird. Ich weiß, daß Ihr Herz einer Andern gehört,
die ſeit geſtern wieder in unſerer Nähe iſt. Bruno,
der Alles weiß, hat es mir verrathen. Ich will von
Ihnen nichts, als was ich ſchon habe — Ihre Freund¬
ſchaft. Leſen Sie den Brief, und wenn Sie ihn ge¬
leſen haben, verbrennen Sie ihn in Gottes Namen.“

Ehe Oswald ſich von ſeinem grenzenloſen Erſtau¬
nen über dieſe wunderbare Rede nur ſo weit erholen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="202"/>
auf immer von den Meinigen; er &#x017F;oll mich nicht auch<lb/>
von Bruno trennen, den ich &#x017F;o herzlich liebe, von<lb/>
Ihnen, der Sie &#x017F;tets &#x017F;o gut und freundlich zu mir<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ind. Ich habe Sie immer für meinen<lb/>
Freund gehalten, Sie immer hoch ge&#x017F;chätzt und geehrt<lb/>
&#x2014; wie hoch, das möge Ihnen die&#x017F;er Brief &#x017F;elb&#x017F;t be¬<lb/>
wei&#x017F;en. Le&#x017F;en Sie ihn! Wenn alle Welt weiß, wie<lb/>
ich über Sie denke, &#x017F;o dürfen Sie es am Ende ja<lb/>
auch wol wi&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und das junge Mädchen reichte Oswald den Brief<lb/>
hin. Ihr Antlitz glühte, aber nicht mehr vor Zorn<lb/>
oder Scham. Ihre dunkeln Augen leuchteten, aber<lb/>
wie einer Heldin, die &#x017F;ich für eine heilige Sache zu<lb/>
opfern im Begriff &#x017F;teht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Le&#x017F;en Sie nur! &#x017F;agte &#x017F;ie mit einem eigenthüm¬<lb/>
lichen Lächeln, als Oswald &#x017F;ie ungläubig an&#x017F;tarrte;<lb/>
&#x201E;fürchten Sie nicht, daß es mich hinterher reuen<lb/>
wird. Ich weiß, daß Ihr Herz einer Andern gehört,<lb/>
die &#x017F;eit ge&#x017F;tern wieder in un&#x017F;erer Nähe i&#x017F;t. Bruno,<lb/>
der Alles weiß, hat es mir verrathen. Ich will von<lb/>
Ihnen nichts, als was ich &#x017F;chon habe &#x2014; Ihre Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft. Le&#x017F;en Sie den Brief, und wenn Sie ihn ge¬<lb/>
le&#x017F;en haben, verbrennen Sie ihn in Gottes Namen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ehe Oswald &#x017F;ich von &#x017F;einem grenzenlo&#x017F;en Er&#x017F;tau¬<lb/>
nen über die&#x017F;e wunderbare Rede nur &#x017F;o weit erholen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0212] auf immer von den Meinigen; er ſoll mich nicht auch von Bruno trennen, den ich ſo herzlich liebe, von Ihnen, der Sie ſtets ſo gut und freundlich zu mir geweſen ſind. Ich habe Sie immer für meinen Freund gehalten, Sie immer hoch geſchätzt und geehrt — wie hoch, das möge Ihnen dieſer Brief ſelbſt be¬ weiſen. Leſen Sie ihn! Wenn alle Welt weiß, wie ich über Sie denke, ſo dürfen Sie es am Ende ja auch wol wiſſen.“ Und das junge Mädchen reichte Oswald den Brief hin. Ihr Antlitz glühte, aber nicht mehr vor Zorn oder Scham. Ihre dunkeln Augen leuchteten, aber wie einer Heldin, die ſich für eine heilige Sache zu opfern im Begriff ſteht. „Leſen Sie nur! ſagte ſie mit einem eigenthüm¬ lichen Lächeln, als Oswald ſie ungläubig anſtarrte; „fürchten Sie nicht, daß es mich hinterher reuen wird. Ich weiß, daß Ihr Herz einer Andern gehört, die ſeit geſtern wieder in unſerer Nähe iſt. Bruno, der Alles weiß, hat es mir verrathen. Ich will von Ihnen nichts, als was ich ſchon habe — Ihre Freund¬ ſchaft. Leſen Sie den Brief, und wenn Sie ihn ge¬ leſen haben, verbrennen Sie ihn in Gottes Namen.“ Ehe Oswald ſich von ſeinem grenzenloſen Erſtau¬ nen über dieſe wunderbare Rede nur ſo weit erholen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/212
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/212>, abgerufen am 17.06.2024.