konnte, ein einziges Wort über die Lippen zu bringen, war das junge Mädchen schon die Treppe, die von dieser Stelle in den Garten führte, hinab und eilte durch die blumenreichen Beete dem Schlosse zu.
"Was ist das?" sagte Oswald bebend; "narrt mich denn ein Traum? Melitta zurück? und jetzt zurück -- gerade jetzt? ha, ha, ha!"
Es war ein schauerliches Lachen. Oswald sah sich erschrocken um, ob ein Andrer gelacht habe, ein schadenfroher Dämon, der sich an seiner Qual weidete.
Er hielt den Brief noch immer in seiner Hand. Es war ihm, als ob er erst, wenn er diesen Brief lese, Melitta ganz verlieren, erst jetzt das letzte Band, das ihn an Melitta fesselte, zerreißen würde. Für einen Augenblick erschien ihm Helene wie eine schöne Teufelin, die an ihn herangetreten sei, ihn zu ver¬ suchen . . . Wenn er diesen Brief ungelesen ver¬ brannte? konnte dann nicht Alles gut werden? Konnte ihm Melitta nicht doch erhalten bleiben? . . .
Und indem er so dachte, hatte er den Brief ent¬ faltet und ihn zu lesen begonnen . . .
Er war mit der Lectüre zu Ende . . . er saß, den Kopf in die Hand gestützt in der Ecke der Bank, auf die er sich, ohne zu wissen, was er that, gesetzt hatte . . . Vor ihm auf dem Erdboden spielten die
konnte, ein einziges Wort über die Lippen zu bringen, war das junge Mädchen ſchon die Treppe, die von dieſer Stelle in den Garten führte, hinab und eilte durch die blumenreichen Beete dem Schloſſe zu.
„Was iſt das?“ ſagte Oswald bebend; „narrt mich denn ein Traum? Melitta zurück? und jetzt zurück — gerade jetzt? ha, ha, ha!“
Es war ein ſchauerliches Lachen. Oswald ſah ſich erſchrocken um, ob ein Andrer gelacht habe, ein ſchadenfroher Dämon, der ſich an ſeiner Qual weidete.
Er hielt den Brief noch immer in ſeiner Hand. Es war ihm, als ob er erſt, wenn er dieſen Brief leſe, Melitta ganz verlieren, erſt jetzt das letzte Band, das ihn an Melitta feſſelte, zerreißen würde. Für einen Augenblick erſchien ihm Helene wie eine ſchöne Teufelin, die an ihn herangetreten ſei, ihn zu ver¬ ſuchen . . . Wenn er dieſen Brief ungeleſen ver¬ brannte? konnte dann nicht Alles gut werden? Konnte ihm Melitta nicht doch erhalten bleiben? . . .
Und indem er ſo dachte, hatte er den Brief ent¬ faltet und ihn zu leſen begonnen . . .
Er war mit der Lectüre zu Ende . . . er ſaß, den Kopf in die Hand geſtützt in der Ecke der Bank, auf die er ſich, ohne zu wiſſen, was er that, geſetzt hatte . . . Vor ihm auf dem Erdboden ſpielten die
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konnte, ein einziges Wort über die Lippen zu bringen,
war das junge Mädchen ſchon die Treppe, die von
dieſer Stelle in den Garten führte, hinab und eilte
durch die blumenreichen Beete dem Schloſſe zu.
„Was iſt das?“ ſagte Oswald bebend; „narrt
mich denn ein Traum? Melitta zurück? und jetzt
zurück — gerade jetzt? ha, ha, ha!“
Es war ein ſchauerliches Lachen. Oswald ſah
ſich erſchrocken um, ob ein Andrer gelacht habe, ein
ſchadenfroher Dämon, der ſich an ſeiner Qual weidete.
Er hielt den Brief noch immer in ſeiner Hand.
Es war ihm, als ob er erſt, wenn er dieſen Brief
leſe, Melitta ganz verlieren, erſt jetzt das letzte Band,
das ihn an Melitta feſſelte, zerreißen würde. Für
einen Augenblick erſchien ihm Helene wie eine ſchöne
Teufelin, die an ihn herangetreten ſei, ihn zu ver¬
ſuchen . . . Wenn er dieſen Brief ungeleſen ver¬
brannte? konnte dann nicht Alles gut werden? Konnte
ihm Melitta nicht doch erhalten bleiben? . . .
Und indem er ſo dachte, hatte er den Brief ent¬
faltet und ihn zu leſen begonnen . . .
Er war mit der Lectüre zu Ende . . . er ſaß,
den Kopf in die Hand geſtützt in der Ecke der Bank,
auf die er ſich, ohne zu wiſſen, was er that, geſetzt
hatte . . . Vor ihm auf dem Erdboden ſpielten die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/213>, abgerufen am 26.06.2024.
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