fertig sei, zu ihr zu kommen, und Helene sollte sie ruhig, gelassen, zu einem freundschaftlich ernsten Ge¬ spräch aufgelegt finden.
Aeußerlich wenigstens. In ihrem Herzen freilich sah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief schien sich als unnöthig erwiesen zu haben. Offenbar war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt und das war für den Augenblick die Hauptsache. So konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬ türe gesammelt hatte, abschnellen, ohne fürchten zu müssen, daß sie auf den Schützen zurücksprängen. Nichtsdestoweniger hatte die kluge und muthige Frau nie einer Unterredung mit irgend Jemand -- und sie hatte doch, da die ganze Last der Verwaltung des großen Vermögens fast ganz allein auf ihren Schul¬ tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬ habt -- so voller Unruhe entgegen gesehen. Sie dachte im Allgemeinen nicht sehr hoch von den Men¬ schen und berechnete den Werth der Einzelnen nach der Höhe des Preises, für welchen sie ihre sogenannten Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß sich Jeder kaufen lasse, wenn er nur den rechten Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen, bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,
fertig ſei, zu ihr zu kommen, und Helene ſollte ſie ruhig, gelaſſen, zu einem freundſchaftlich ernſten Ge¬ ſpräch aufgelegt finden.
Aeußerlich wenigſtens. In ihrem Herzen freilich ſah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief ſchien ſich als unnöthig erwieſen zu haben. Offenbar war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt und das war für den Augenblick die Hauptſache. So konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬ türe geſammelt hatte, abſchnellen, ohne fürchten zu müſſen, daß ſie auf den Schützen zurückſprängen. Nichtsdeſtoweniger hatte die kluge und muthige Frau nie einer Unterredung mit irgend Jemand — und ſie hatte doch, da die ganze Laſt der Verwaltung des großen Vermögens faſt ganz allein auf ihren Schul¬ tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬ habt — ſo voller Unruhe entgegen geſehen. Sie dachte im Allgemeinen nicht ſehr hoch von den Men¬ ſchen und berechnete den Werth der Einzelnen nach der Höhe des Preiſes, für welchen ſie ihre ſogenannten Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß ſich Jeder kaufen laſſe, wenn er nur den rechten Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen, bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="206"/>
fertig ſei, zu ihr zu kommen, und Helene ſollte ſie<lb/>
ruhig, gelaſſen, zu einem freundſchaftlich ernſten Ge¬<lb/>ſpräch aufgelegt finden.</p><lb/><p>Aeußerlich wenigſtens. In ihrem Herzen freilich<lb/>ſah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief<lb/>ſchien ſich als unnöthig erwieſen zu haben. Offenbar<lb/>
war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt<lb/>
und das war für den Augenblick die Hauptſache. So<lb/>
konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬<lb/>
türe geſammelt hatte, abſchnellen, ohne fürchten zu<lb/>
müſſen, daß ſie auf den Schützen zurückſprängen.<lb/>
Nichtsdeſtoweniger hatte die kluge und muthige Frau<lb/>
nie einer Unterredung mit irgend Jemand — und<lb/>ſie hatte doch, da die ganze Laſt der Verwaltung des<lb/>
großen Vermögens faſt ganz allein auf ihren Schul¬<lb/>
tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬<lb/>
habt —ſo voller Unruhe entgegen geſehen. Sie<lb/>
dachte im Allgemeinen nicht ſehr hoch von den Men¬<lb/>ſchen und berechnete den Werth der Einzelnen nach<lb/>
der Höhe des Preiſes, für welchen ſie ihre ſogenannten<lb/>
Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß<lb/>ſich Jeder kaufen laſſe, wenn er nur den rechten<lb/>
Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen,<lb/>
bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen,<lb/>
von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[206/0216]
fertig ſei, zu ihr zu kommen, und Helene ſollte ſie
ruhig, gelaſſen, zu einem freundſchaftlich ernſten Ge¬
ſpräch aufgelegt finden.
Aeußerlich wenigſtens. In ihrem Herzen freilich
ſah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief
ſchien ſich als unnöthig erwieſen zu haben. Offenbar
war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt
und das war für den Augenblick die Hauptſache. So
konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬
türe geſammelt hatte, abſchnellen, ohne fürchten zu
müſſen, daß ſie auf den Schützen zurückſprängen.
Nichtsdeſtoweniger hatte die kluge und muthige Frau
nie einer Unterredung mit irgend Jemand — und
ſie hatte doch, da die ganze Laſt der Verwaltung des
großen Vermögens faſt ganz allein auf ihren Schul¬
tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬
habt — ſo voller Unruhe entgegen geſehen. Sie
dachte im Allgemeinen nicht ſehr hoch von den Men¬
ſchen und berechnete den Werth der Einzelnen nach
der Höhe des Preiſes, für welchen ſie ihre ſogenannten
Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß
ſich Jeder kaufen laſſe, wenn er nur den rechten
Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen,
bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/216>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.