ein Grundsatz, der nicht weiter bewiesen zu werden brauchte.
Sie hätte ihre Tochter so gern unter die allge¬ meine Regel gebracht, von der sie selbst eine Aus¬ nahme zu machen keineswegs beanspruchte, aber es war unmöglich. Eine geheime Stimme, die sie nicht zum Schweigen bringen konnte, sagte ihr: Helenen ist ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht um eben so viele Millionen, um keinen Preis der Welt. Eine andere Mutter würde dieser Gedanke mit Entzücken erfüllt, sie würde in ihrer Tochter ihr besseres Selbst verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬ lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von einer solchen Schwärmerei. Der Genius, der auf der stolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren dunkeln Augen so groß, so edel hervorschaute -- er war ihr fremd, unheimlich, feindlich -- sie hatte nichts mit ihm zu schaffen. Helene war das Kind ihres Geistes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬ ters geerbt, -- dieselben Eigenschaften, welche die Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend bekämpfte. -- Daß sie nun außerdem noch den scharfen Verstand der Mutter hatte, daß sie die Heiligthümer ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geistes
ein Grundſatz, der nicht weiter bewieſen zu werden brauchte.
Sie hätte ihre Tochter ſo gern unter die allge¬ meine Regel gebracht, von der ſie ſelbſt eine Aus¬ nahme zu machen keineswegs beanſpruchte, aber es war unmöglich. Eine geheime Stimme, die ſie nicht zum Schweigen bringen konnte, ſagte ihr: Helenen iſt ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht um eben ſo viele Millionen, um keinen Preis der Welt. Eine andere Mutter würde dieſer Gedanke mit Entzücken erfüllt, ſie würde in ihrer Tochter ihr beſſeres Selbſt verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬ lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von einer ſolchen Schwärmerei. Der Genius, der auf der ſtolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren dunkeln Augen ſo groß, ſo edel hervorſchaute — er war ihr fremd, unheimlich, feindlich — ſie hatte nichts mit ihm zu ſchaffen. Helene war das Kind ihres Geiſtes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬ ters geerbt, — dieſelben Eigenſchaften, welche die Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend bekämpfte. — Daß ſie nun außerdem noch den ſcharfen Verſtand der Mutter hatte, daß ſie die Heiligthümer ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geiſtes
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0217"n="207"/>
ein Grundſatz, der nicht weiter bewieſen zu werden<lb/>
brauchte.</p><lb/><p>Sie hätte ihre Tochter ſo gern unter die allge¬<lb/>
meine Regel gebracht, von der ſie ſelbſt eine Aus¬<lb/>
nahme zu machen keineswegs beanſpruchte, aber es<lb/>
war unmöglich. Eine geheime Stimme, die ſie nicht<lb/>
zum Schweigen bringen konnte, ſagte ihr: Helenen iſt<lb/>
ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht<lb/>
um eben ſo viele Millionen, um keinen Preis der<lb/>
Welt. Eine andere Mutter würde dieſer Gedanke<lb/>
mit Entzücken erfüllt, ſie würde in ihrer Tochter ihr<lb/>
beſſeres Selbſt verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬<lb/>
lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von<lb/>
einer ſolchen Schwärmerei. Der Genius, der auf<lb/>
der ſtolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren<lb/>
dunkeln Augen ſo groß, ſo edel hervorſchaute — er<lb/>
war ihr fremd, unheimlich, feindlich —ſie hatte nichts<lb/>
mit ihm zu ſchaffen. Helene war das Kind ihres<lb/>
Geiſtes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das<lb/>
weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬<lb/>
ters geerbt, — dieſelben Eigenſchaften, welche die<lb/>
Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend<lb/>
bekämpfte. — Daß ſie nun außerdem noch den ſcharfen<lb/>
Verſtand der Mutter hatte, daß ſie die Heiligthümer<lb/>
ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geiſtes<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0217]
ein Grundſatz, der nicht weiter bewieſen zu werden
brauchte.
Sie hätte ihre Tochter ſo gern unter die allge¬
meine Regel gebracht, von der ſie ſelbſt eine Aus¬
nahme zu machen keineswegs beanſpruchte, aber es
war unmöglich. Eine geheime Stimme, die ſie nicht
zum Schweigen bringen konnte, ſagte ihr: Helenen iſt
ihre Seele nicht um dreißig Silberlinge feil, nicht
um eben ſo viele Millionen, um keinen Preis der
Welt. Eine andere Mutter würde dieſer Gedanke
mit Entzücken erfüllt, ſie würde in ihrer Tochter ihr
beſſeres Selbſt verehrt, ihr Ideal angebetet und hei¬
lig gehalten haben. Die Baronin wußte nichts von
einer ſolchen Schwärmerei. Der Genius, der auf
der ſtolzen Stirn ihrer Tochter thronte, der aus ihren
dunkeln Augen ſo groß, ſo edel hervorſchaute — er
war ihr fremd, unheimlich, feindlich — ſie hatte nichts
mit ihm zu ſchaffen. Helene war das Kind ihres
Geiſtes, aber nicht ihres Herzens. Helene hatte das
weiche Gemüth, den braven, rechtlichen Sinn des Va¬
ters geerbt, — dieſelben Eigenſchaften, welche die
Baronin im Grunde an ihrem Gemahl fortwährend
bekämpfte. — Daß ſie nun außerdem noch den ſcharfen
Verſtand der Mutter hatte, daß ſie die Heiligthümer
ihres Herzens mit der blanken Waffe des Geiſtes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/217>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.