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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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noch erbärmlich schrie, so suchten sie alle Gegen-
wärtige zu beruhigen, aber sie schwieg nicht eher
stille, als bis Wilhelm sich entfernte. Einige
Bewohner des Dorfs führten ihn, er weinte
schrecklich, und rang seine Hände fürchterlich,
Lottchen blickte mitleidig zum Fenster herab. War-
um weint er denn? fragte sie endlich.

Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht sehen,
nicht sprechen wollen.

Lottchen. (ängstlich) Wie kann ich
denn? Wenn er mir zu nahe kommt, so trägt
er mich aus dem Himmel wieder in die Welt
hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden!
O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da-
hin gehe ich nicht.

Wilhelm. (schluchzend) Unvergeßliche!
Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel,
so schrecklich er mir auch ist, nicht rauben! Ich
will dich nur sehen, nur mein Kind segnen.

Lottchen. (hebt Wilhelminen am
Fenster in die Höhe)
Siehst du es nun?
Ist's nicht ein schöner Engel? O, es hat mir
gräßliche Schmerzen gekostet, aber nun ist's
auch meine einzige Freude.

Wilhelm. (ausser sich) Erbarme dich!
Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich
dir nähern, daß ich mein Kind küssen darf.

Lottchen. (ängstlich) Nein! Nein!

noch erbaͤrmlich ſchrie, ſo ſuchten ſie alle Gegen-
waͤrtige zu beruhigen, aber ſie ſchwieg nicht eher
ſtille, als bis Wilhelm ſich entfernte. Einige
Bewohner des Dorfs fuͤhrten ihn, er weinte
ſchrecklich, und rang ſeine Haͤnde fuͤrchterlich,
Lottchen blickte mitleidig zum Fenſter herab. War-
um weint er denn? fragte ſie endlich.

Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht ſehen,
nicht ſprechen wollen.

Lottchen. (aͤngſtlich) Wie kann ich
denn? Wenn er mir zu nahe kommt, ſo traͤgt
er mich aus dem Himmel wieder in die Welt
hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden!
O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da-
hin gehe ich nicht.

Wilhelm. (ſchluchzend) Unvergeßliche!
Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel,
ſo ſchrecklich er mir auch iſt, nicht rauben! Ich
will dich nur ſehen, nur mein Kind ſegnen.

Lottchen. (hebt Wilhelminen am
Fenſter in die Hoͤhe)
Siehſt du es nun?
Iſt's nicht ein ſchoͤner Engel? O, es hat mir
graͤßliche Schmerzen gekoſtet, aber nun iſt's
auch meine einzige Freude.

Wilhelm. (auſſer ſich) Erbarme dich!
Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich
dir naͤhern, daß ich mein Kind kuͤſſen darf.

Lottchen. (aͤngſtlich) Nein! Nein!

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[92/0106] noch erbaͤrmlich ſchrie, ſo ſuchten ſie alle Gegen- waͤrtige zu beruhigen, aber ſie ſchwieg nicht eher ſtille, als bis Wilhelm ſich entfernte. Einige Bewohner des Dorfs fuͤhrten ihn, er weinte ſchrecklich, und rang ſeine Haͤnde fuͤrchterlich, Lottchen blickte mitleidig zum Fenſter herab. War- um weint er denn? fragte ſie endlich. Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht ſehen, nicht ſprechen wollen. Lottchen. (aͤngſtlich) Wie kann ich denn? Wenn er mir zu nahe kommt, ſo traͤgt er mich aus dem Himmel wieder in die Welt hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden! O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da- hin gehe ich nicht. Wilhelm. (ſchluchzend) Unvergeßliche! Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel, ſo ſchrecklich er mir auch iſt, nicht rauben! Ich will dich nur ſehen, nur mein Kind ſegnen. Lottchen. (hebt Wilhelminen am Fenſter in die Hoͤhe) Siehſt du es nun? Iſt's nicht ein ſchoͤner Engel? O, es hat mir graͤßliche Schmerzen gekoſtet, aber nun iſt's auch meine einzige Freude. Wilhelm. (auſſer ſich) Erbarme dich! Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich dir naͤhern, daß ich mein Kind kuͤſſen darf. Lottchen. (aͤngſtlich) Nein! Nein!

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/106>, abgerufen am 28.11.2024.