Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Am andern Tage brachten ihm Deputirte des
Raths in einer feierlichen Prozession das Bürger-
Diplom für ihn und seine Kinder zum Geschenke.
Thätige Menschenfreunde eröfneten eine Subscrip-
tion, und sanden ihm schon am nemlichen Tage
tausend Thaler; die ganze Stadt nahm Antheil
an seinem Schicksale, wenn er ausgieng, folgte
ihm noch immer eine große Menge, welche seine
Unschuld verkündigte.

Friedrich war diese Zeit hindurch einem Kinde
ähnlich, welches man auf einmal mit den herr-
lichsten Spielereien überhäuft, er gieng geschäftig
im Zimmer auf und nieder, ordnete die schönen
Möbeln, stellte sie bald dort, bald dahin, er
umarmte seine Kinder, er zählte das Geld, wel-
ches er zum Geschenke erhalten hatte, und be-
gann wieder von neuem. Anfangs nahm man
dies alles für Uebermaas der Freude, als aber
dies immer gleich stark anhielt, als er oft Spiel-
werk und Puppen kaufte, und von seinen erwach-
senen Kindern forderte, daß sie mit ihm spielen
sollten, da argwohnten diese Beginnen des Wahn-
sinns, und zogen einen Arzt zu Rathe; er beob-
achtete ihn genau, und fand leider, daß sein
Verstand, Gedächtniß und Beurtheilungskraft täg-
lich mehr und mehr schwinde, er ward, aller an-
gewandten Mittel ungeachtet, in kurzer Zeit ganz
zum Kinde, handelte und dachte wie dieses. Voll-
kommne Vergessenheit des Vergangnen, und all

Am andern Tage brachten ihm Deputirte des
Raths in einer feierlichen Prozeſſion das Buͤrger-
Diplom fuͤr ihn und ſeine Kinder zum Geſchenke.
Thaͤtige Menſchenfreunde eroͤfneten eine Subſcrip-
tion, und ſanden ihm ſchon am nemlichen Tage
tauſend Thaler; die ganze Stadt nahm Antheil
an ſeinem Schickſale, wenn er ausgieng, folgte
ihm noch immer eine große Menge, welche ſeine
Unſchuld verkuͤndigte.

Friedrich war dieſe Zeit hindurch einem Kinde
aͤhnlich, welches man auf einmal mit den herr-
lichſten Spielereien uͤberhaͤuft, er gieng geſchaͤftig
im Zimmer auf und nieder, ordnete die ſchoͤnen
Moͤbeln, ſtellte ſie bald dort, bald dahin, er
umarmte ſeine Kinder, er zaͤhlte das Geld, wel-
ches er zum Geſchenke erhalten hatte, und be-
gann wieder von neuem. Anfangs nahm man
dies alles fuͤr Uebermaas der Freude, als aber
dies immer gleich ſtark anhielt, als er oft Spiel-
werk und Puppen kaufte, und von ſeinen erwach-
ſenen Kindern forderte, daß ſie mit ihm ſpielen
ſollten, da argwohnten dieſe Beginnen des Wahn-
ſinns, und zogen einen Arzt zu Rathe; er beob-
achtete ihn genau, und fand leider, daß ſein
Verſtand, Gedaͤchtniß und Beurtheilungskraft taͤg-
lich mehr und mehr ſchwinde, er ward, aller an-
gewandten Mittel ungeachtet, in kurzer Zeit ganz
zum Kinde, handelte und dachte wie dieſes. Voll-
kommne Vergeſſenheit des Vergangnen, und all

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0163" n="149"/>
        <p>Am andern Tage brachten ihm Deputirte des<lb/>
Raths in einer feierlichen                     Proze&#x017F;&#x017F;ion das Bu&#x0364;rger-<lb/>
Diplom fu&#x0364;r ihn und &#x017F;eine Kinder zum                     Ge&#x017F;chenke.<lb/>
Tha&#x0364;tige Men&#x017F;chenfreunde ero&#x0364;fneten eine Sub&#x017F;crip-<lb/>
tion, und                     &#x017F;anden ihm &#x017F;chon am nemlichen Tage<lb/>
tau&#x017F;end Thaler; die ganze Stadt nahm                     Antheil<lb/>
an &#x017F;einem Schick&#x017F;ale, wenn er ausgieng, folgte<lb/>
ihm noch immer                     eine große Menge, welche &#x017F;eine<lb/>
Un&#x017F;chuld verku&#x0364;ndigte.</p><lb/>
        <p>Friedrich war die&#x017F;e Zeit hindurch einem Kinde<lb/>
a&#x0364;hnlich, welches man auf                     einmal mit den herr-<lb/>
lich&#x017F;ten Spielereien u&#x0364;berha&#x0364;uft, er gieng                     ge&#x017F;cha&#x0364;ftig<lb/>
im Zimmer auf und nieder, ordnete die &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Mo&#x0364;beln,                     &#x017F;tellte &#x017F;ie bald dort, bald dahin, er<lb/>
umarmte &#x017F;eine Kinder, er za&#x0364;hlte das                     Geld, wel-<lb/>
ches er zum Ge&#x017F;chenke erhalten hatte, und be-<lb/>
gann wieder von                     neuem. Anfangs nahm man<lb/>
dies alles fu&#x0364;r Uebermaas der Freude, als                     aber<lb/>
dies immer gleich &#x017F;tark anhielt, als er oft Spiel-<lb/>
werk und Puppen                     kaufte, und von &#x017F;einen erwach-<lb/>
&#x017F;enen Kindern forderte, daß &#x017F;ie mit ihm                     &#x017F;pielen<lb/>
&#x017F;ollten, da argwohnten die&#x017F;e Beginnen des Wahn-<lb/>
&#x017F;inns, und zogen                     einen Arzt zu Rathe; er beob-<lb/>
achtete ihn genau, und fand leider, daß                     &#x017F;ein<lb/>
Ver&#x017F;tand, Geda&#x0364;chtniß und Beurtheilungskraft ta&#x0364;g-<lb/>
lich mehr und                     mehr &#x017F;chwinde, er ward, aller an-<lb/>
gewandten Mittel ungeachtet, in kurzer                     Zeit ganz<lb/>
zum Kinde, handelte und dachte wie die&#x017F;es. Voll-<lb/>
kommne                     Verge&#x017F;&#x017F;enheit des Vergangnen, und all<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0163] Am andern Tage brachten ihm Deputirte des Raths in einer feierlichen Prozeſſion das Buͤrger- Diplom fuͤr ihn und ſeine Kinder zum Geſchenke. Thaͤtige Menſchenfreunde eroͤfneten eine Subſcrip- tion, und ſanden ihm ſchon am nemlichen Tage tauſend Thaler; die ganze Stadt nahm Antheil an ſeinem Schickſale, wenn er ausgieng, folgte ihm noch immer eine große Menge, welche ſeine Unſchuld verkuͤndigte. Friedrich war dieſe Zeit hindurch einem Kinde aͤhnlich, welches man auf einmal mit den herr- lichſten Spielereien uͤberhaͤuft, er gieng geſchaͤftig im Zimmer auf und nieder, ordnete die ſchoͤnen Moͤbeln, ſtellte ſie bald dort, bald dahin, er umarmte ſeine Kinder, er zaͤhlte das Geld, wel- ches er zum Geſchenke erhalten hatte, und be- gann wieder von neuem. Anfangs nahm man dies alles fuͤr Uebermaas der Freude, als aber dies immer gleich ſtark anhielt, als er oft Spiel- werk und Puppen kaufte, und von ſeinen erwach- ſenen Kindern forderte, daß ſie mit ihm ſpielen ſollten, da argwohnten dieſe Beginnen des Wahn- ſinns, und zogen einen Arzt zu Rathe; er beob- achtete ihn genau, und fand leider, daß ſein Verſtand, Gedaͤchtniß und Beurtheilungskraft taͤg- lich mehr und mehr ſchwinde, er ward, aller an- gewandten Mittel ungeachtet, in kurzer Zeit ganz zum Kinde, handelte und dachte wie dieſes. Voll- kommne Vergeſſenheit des Vergangnen, und all

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/163
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/163>, abgerufen am 21.11.2024.