Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.festes Sistem geworden. Ich besitze jetzt Kühn- Unter diesem Gespräche hatten wir den Gipfel feſtes Siſtem geworden. Ich beſitze jetzt Kuͤhn- Unter dieſem Geſpraͤche hatten wir den Gipfel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0176" n="162"/> feſtes Siſtem geworden. Ich beſitze jetzt Kuͤhn-<lb/> heit genug, jeden Reiſenden, jeden Bauer um ein<lb/> Allmoſen anzubetteln, es hat mich Muͤhe und un-<lb/> zaͤhliche Thraͤnen gekoſtet, aber meinen Stolz ha-<lb/> be ich doch nicht bekaͤmpfen koͤnnen, er weigert<lb/> ſich ſchlechterdings, von denjenigen ein Allmoſen<lb/> anzunehmen, deren Pflicht es waͤre, mir viele<lb/> Tauſende als mein Eigenthum auszuzahlen.</p><lb/> <p>Unter dieſem Geſpraͤche hatten wir den Gipfel<lb/> des Bergs erreicht, eine ſchoͤne, angenehme und<lb/> aͤußerſt fruchtbare Gegend lag vor uns. Mehr<lb/> als zehn anſehnliche Doͤrfer, beſchattet von frucht-<lb/> tragenden Baͤumen, konnte man von hier aus<lb/> uͤberblicken. Die Alte hatte im eifrigen Geſpraͤche<lb/> ihren Athem verſchwendet, ſie blieb ſtehen, um<lb/> neuen zu ſammeln; endlich ſetzte ſie ſich nahe am<lb/> Wege nieder, und ſtaunte mit verzognem Laͤcheln,<lb/> das mehr einer ſchmerzhaften Empfindung glich,<lb/> in die weite Gegend hinab. Ihr Geſpraͤch hatte<lb/> mein Herz tief geruͤhrt, ich wollte mich nicht ſo<lb/> fruͤh von ihr trennen, nicht ganz ohne Troſt ſchei-<lb/> den, und nahm Platz neben ihr. Sie ſtuͤtzte ſich<lb/> auf ihren Elbogen, ihr Laͤcheln, das mir gleich<lb/> anfangs ſo weh that, verzog ſich nach und nach<lb/> in ſtille Wehmuth, mehr als eine Thraͤne ſchlich<lb/> langſam uͤber ihre hohlen Wangen herab, und<lb/> traͤufelte in den Sand. Endlich hob ſie ihre Rech-<lb/> te empor, und bezeichnete einigemal ſtillſchweigend<lb/> damit den Umkreis der ganzen weiten Gegend.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0176]
feſtes Siſtem geworden. Ich beſitze jetzt Kuͤhn-
heit genug, jeden Reiſenden, jeden Bauer um ein
Allmoſen anzubetteln, es hat mich Muͤhe und un-
zaͤhliche Thraͤnen gekoſtet, aber meinen Stolz ha-
be ich doch nicht bekaͤmpfen koͤnnen, er weigert
ſich ſchlechterdings, von denjenigen ein Allmoſen
anzunehmen, deren Pflicht es waͤre, mir viele
Tauſende als mein Eigenthum auszuzahlen.
Unter dieſem Geſpraͤche hatten wir den Gipfel
des Bergs erreicht, eine ſchoͤne, angenehme und
aͤußerſt fruchtbare Gegend lag vor uns. Mehr
als zehn anſehnliche Doͤrfer, beſchattet von frucht-
tragenden Baͤumen, konnte man von hier aus
uͤberblicken. Die Alte hatte im eifrigen Geſpraͤche
ihren Athem verſchwendet, ſie blieb ſtehen, um
neuen zu ſammeln; endlich ſetzte ſie ſich nahe am
Wege nieder, und ſtaunte mit verzognem Laͤcheln,
das mehr einer ſchmerzhaften Empfindung glich,
in die weite Gegend hinab. Ihr Geſpraͤch hatte
mein Herz tief geruͤhrt, ich wollte mich nicht ſo
fruͤh von ihr trennen, nicht ganz ohne Troſt ſchei-
den, und nahm Platz neben ihr. Sie ſtuͤtzte ſich
auf ihren Elbogen, ihr Laͤcheln, das mir gleich
anfangs ſo weh that, verzog ſich nach und nach
in ſtille Wehmuth, mehr als eine Thraͤne ſchlich
langſam uͤber ihre hohlen Wangen herab, und
traͤufelte in den Sand. Endlich hob ſie ihre Rech-
te empor, und bezeichnete einigemal ſtillſchweigend
damit den Umkreis der ganzen weiten Gegend.
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