mir sehr wehe, daß ich das Ende einer Geschich- te nicht erfahren hatte, die mich so sehr interessir- te, die sich wahrscheinlich schrecklich enden mußte, weil die Aermste am Ende ihrer Tage in der bit- tersten Armuth umher gieng. Noch hatte ich kei- nen Entschluß gefaßt, als mein Kutscher stille hielt, abstieg, und nach einem Steine hinwander- te, auf welchem eben die Alte ruhte. Da hat Sie, sagte er, den Dukaten zurück, sie wird ihn besser als ich brauchen können. Bezahl's Gott tausendmal, rief die Alte zu mir herüber, Gott wird's lohnen, was Sie an mir Armen so reich- lich geübt haben! Der Kutscher kehrte zurück und lachte. Wenn sie's so nehmen will, murmelte er, ist's mir auch recht. Ich überlegte, ob ich mich ihr nicht nähern, nicht wenigstens den Versuch wagen sollte, den übrigen Theil ihrer Geschichte zu erfahren? Ihr freundlicher, lächelnder Blick schien mich einzuladen, die Neugierde siegte, ich gieng zu ihr.
Die Alte. Schön willkommen! Schön willkommen! Reisen Sie auch wieder einmal bei uns vorüber! Nun, das freut mich, da Sie besonders (auf den Dukaten blickend) nicht auf mich vergessen haben. Wie lange wird's denn seyn, daß Sie hier vorbei reißten und mir meine Holzbürde über den Berg herauf führten? Wenn ich nicht ganz irre, ist wohl schon ein halbes Jahr vorüber?
mir ſehr wehe, daß ich das Ende einer Geſchich- te nicht erfahren hatte, die mich ſo ſehr intereſſir- te, die ſich wahrſcheinlich ſchrecklich enden mußte, weil die Aermſte am Ende ihrer Tage in der bit- terſten Armuth umher gieng. Noch hatte ich kei- nen Entſchluß gefaßt, als mein Kutſcher ſtille hielt, abſtieg, und nach einem Steine hinwander- te, auf welchem eben die Alte ruhte. Da hat Sie, ſagte er, den Dukaten zuruͤck, ſie wird ihn beſſer als ich brauchen koͤnnen. Bezahl's Gott tauſendmal, rief die Alte zu mir heruͤber, Gott wird's lohnen, was Sie an mir Armen ſo reich- lich geuͤbt haben! Der Kutſcher kehrte zuruͤck und lachte. Wenn ſie's ſo nehmen will, murmelte er, iſt's mir auch recht. Ich uͤberlegte, ob ich mich ihr nicht naͤhern, nicht wenigſtens den Verſuch wagen ſollte, den uͤbrigen Theil ihrer Geſchichte zu erfahren? Ihr freundlicher, laͤchelnder Blick ſchien mich einzuladen, die Neugierde ſiegte, ich gieng zu ihr.
Die Alte. Schoͤn willkommen! Schoͤn willkommen! Reiſen Sie auch wieder einmal bei uns voruͤber! Nun, das freut mich, da Sie beſonders (auf den Dukaten blickend) nicht auf mich vergeſſen haben. Wie lange wird's denn ſeyn, daß Sie hier vorbei reißten und mir meine Holzbuͤrde uͤber den Berg herauf fuͤhrten? Wenn ich nicht ganz irre, iſt wohl ſchon ein halbes Jahr voruͤber?
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mir ſehr wehe, daß ich das Ende einer Geſchich-
te nicht erfahren hatte, die mich ſo ſehr intereſſir-
te, die ſich wahrſcheinlich ſchrecklich enden mußte,
weil die Aermſte am Ende ihrer Tage in der bit-
terſten Armuth umher gieng. Noch hatte ich kei-
nen Entſchluß gefaßt, als mein Kutſcher ſtille
hielt, abſtieg, und nach einem Steine hinwander-
te, auf welchem eben die Alte ruhte. Da hat
Sie, ſagte er, den Dukaten zuruͤck, ſie wird ihn
beſſer als ich brauchen koͤnnen. Bezahl's Gott
tauſendmal, rief die Alte zu mir heruͤber, Gott
wird's lohnen, was Sie an mir Armen ſo reich-
lich geuͤbt haben! Der Kutſcher kehrte zuruͤck und
lachte. Wenn ſie's ſo nehmen will, murmelte er,
iſt's mir auch recht. Ich uͤberlegte, ob ich mich
ihr nicht naͤhern, nicht wenigſtens den Verſuch
wagen ſollte, den uͤbrigen Theil ihrer Geſchichte
zu erfahren? Ihr freundlicher, laͤchelnder Blick
ſchien mich einzuladen, die Neugierde ſiegte, ich
gieng zu ihr.
Die Alte. Schoͤn willkommen! Schoͤn
willkommen! Reiſen Sie auch wieder einmal
bei uns voruͤber! Nun, das freut mich, da Sie
beſonders (auf den Dukaten blickend)
nicht auf mich vergeſſen haben. Wie lange
wird's denn ſeyn, daß Sie hier vorbei reißten
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/201>, abgerufen am 19.02.2025.
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