Sie gieng geschäftig fort, ich folgte langsam. Noch herrschte immer Erstaunen in meinem Bli- ke, ich stand auf dem freien Dorfplatze, blickte umher, und suchte mich zu fassen. Ein ehrwürdi- ger Priester gieng langsam vorüber, er grüßte mich freundlich. Sie waren da unten in der Hütte? sprach er, und lächelte von neuem.
Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner Erwartung sehr betrogen worden.
Priester. Glaub's gerne, es ist schon meh- rern so ergangen. Noch ärger sind Sie aber be- trogen worden, wenn sie Ihnen auch, ihre Ge- schichte erzählt hat, und Sie vielleicht in dieser Gegend nicht bekannt sind.
Sie hat mir alles erzählt, ich reise zum er- stenmale durch diese Gegend.
Priester. Dann werden Sie sich weidlich wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre versiche- re, daß die ganze Geschichte eine Erdichtung ih- rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn- sinns ist.
Ich. Das ist unmöglich.
Priester. So muß es Ihnen freilich schei- nen, aber es ist doch nicht anders. Um Sie mit einmal zu überzeugen, darf ich Ihnen nur sagen, daß diese ganze Herrschaft einem Kloster gehört, und dieses solche schon über zwei hundert Jahre eigenthümlich besitzt. Ich bin ein Mitglied dessel- ben, und jetzt hier als Pfarrer angestellt. Wol- len Sie mir's nicht glauben, so befragen Sie alle
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Sie gieng geſchaͤftig fort, ich folgte langſam. Noch herrſchte immer Erſtaunen in meinem Bli- ke, ich ſtand auf dem freien Dorfplatze, blickte umher, und ſuchte mich zu faſſen. Ein ehrwuͤrdi- ger Prieſter gieng langſam voruͤber, er gruͤßte mich freundlich. Sie waren da unten in der Huͤtte? ſprach er, und laͤchelte von neuem.
Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner Erwartung ſehr betrogen worden.
Prieſter. Glaub's gerne, es iſt ſchon meh- rern ſo ergangen. Noch aͤrger ſind Sie aber be- trogen worden, wenn ſie Ihnen auch, ihre Ge- ſchichte erzaͤhlt hat, und Sie vielleicht in dieſer Gegend nicht bekannt ſind.
Sie hat mir alles erzaͤhlt, ich reiſe zum er- ſtenmale durch dieſe Gegend.
Prieſter. Dann werden Sie ſich weidlich wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre verſiche- re, daß die ganze Geſchichte eine Erdichtung ih- rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn- ſinns iſt.
Ich. Das iſt unmoͤglich.
Prieſter. So muß es Ihnen freilich ſchei- nen, aber es iſt doch nicht anders. Um Sie mit einmal zu uͤberzeugen, darf ich Ihnen nur ſagen, daß dieſe ganze Herrſchaft einem Kloſter gehoͤrt, und dieſes ſolche ſchon uͤber zwei hundert Jahre eigenthuͤmlich beſitzt. Ich bin ein Mitglied deſſel- ben, und jetzt hier als Pfarrer angeſtellt. Wol- len Sie mir's nicht glauben, ſo befragen Sie alle
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Sie gieng geſchaͤftig fort, ich folgte langſam.
Noch herrſchte immer Erſtaunen in meinem Bli-
ke, ich ſtand auf dem freien Dorfplatze, blickte
umher, und ſuchte mich zu faſſen. Ein ehrwuͤrdi-
ger Prieſter gieng langſam voruͤber, er gruͤßte
mich freundlich. Sie waren da unten in der
Huͤtte? ſprach er, und laͤchelte von neuem.
Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner
Erwartung ſehr betrogen worden.
Prieſter. Glaub's gerne, es iſt ſchon meh-
rern ſo ergangen. Noch aͤrger ſind Sie aber be-
trogen worden, wenn ſie Ihnen auch, ihre Ge-
ſchichte erzaͤhlt hat, und Sie vielleicht in dieſer
Gegend nicht bekannt ſind.
Sie hat mir alles erzaͤhlt, ich reiſe zum er-
ſtenmale durch dieſe Gegend.
Prieſter. Dann werden Sie ſich weidlich
wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre verſiche-
re, daß die ganze Geſchichte eine Erdichtung ih-
rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn-
ſinns iſt.
Ich. Das iſt unmoͤglich.
Prieſter. So muß es Ihnen freilich ſchei-
nen, aber es iſt doch nicht anders. Um Sie mit
einmal zu uͤberzeugen, darf ich Ihnen nur ſagen,
daß dieſe ganze Herrſchaft einem Kloſter gehoͤrt,
und dieſes ſolche ſchon uͤber zwei hundert Jahre
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/217>, abgerufen am 19.02.2025.
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