Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.glückliche hatte überdies ihr Gesicht gegen die gluͤckliche hatte uͤberdies ihr Geſicht gegen die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0216" n="202"/> gluͤckliche hatte uͤberdies ihr Geſicht gegen die<lb/> Wand gekehrt, die Blenden der Haube deckten es.<lb/> Die Mutter merkte meine Verlegenheit, und dreh-<lb/> te den Kopf der Schlafenden ſanft herum. — —<lb/> In meinem ganzen Leben bin ich in meiner Er-<lb/> wartung nie ſo arg, nie ſo uͤberraſchend betrogen<lb/> worden, ich blickte, ich ſah feſt, ich traute meinen<lb/> Augen nicht, ich wiſchte die Thraͤnen weg, ich ſah<lb/> von neuem und ſah immer nur einen bemahlten<lb/> Haubenſtock vor mir liegen, der mich mit ſeinen<lb/> ſtarren, ſchwarz gemahlten Augen fuͤrchterlich an-<lb/> grinßte. Mein Erſtaunen, meine Verwunderung,<lb/> meine Verwirrung blieb der Mutter nicht unbe-<lb/> merkt, es mehrte ihr ſanftes Laͤcheln, mit welchem<lb/> ſie mich unverwandt anblickte. Nicht wahr,<lb/> ſprach ſie endlich, ich habe eine ſchoͤne Tochter?<lb/> Unterdruͤcken Sie ihr Erſtaunen nicht, mehrere<lb/> Fremde haben Sie ſchon geſehen, und ſind mit<lb/> der Verſicherung geſchieden, daß ſie nie ein ſchoͤ-<lb/> neres Maͤdchen ſahen! O waͤre ſie nicht wahn-<lb/> ſinnig, ihre Schoͤnheit, ihr ſchmachtender, einneh-<lb/> mender Blick haͤtte ſchon laͤngſt das Herz eines<lb/> Fuͤrſten geruͤhrt, ſie waͤre ſeine Gattin, und koͤnn-<lb/> te ihre alte Mutter reichlich ernaͤhren! Aber nun<lb/> iſt jede Ausſicht verlohren! Schlaf Karoline,<lb/> ſchlaf! <hi rendition="#g">(ſie drehte den Kopf wieder ge-<lb/> gen die Wand, und zog die Vorhaͤnge<lb/> zu)</hi> der Schlaf iſt ihr einziges Gluͤck, denn ſchla-<lb/> fend fuͤhlt ſie ihr Ungluͤck nicht. — — Jetzt wer-<lb/> den Sie vergeben, ich muß in die Kuͤche gehen,<lb/> und eine Suppe kochen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [202/0216]
gluͤckliche hatte uͤberdies ihr Geſicht gegen die
Wand gekehrt, die Blenden der Haube deckten es.
Die Mutter merkte meine Verlegenheit, und dreh-
te den Kopf der Schlafenden ſanft herum. — —
In meinem ganzen Leben bin ich in meiner Er-
wartung nie ſo arg, nie ſo uͤberraſchend betrogen
worden, ich blickte, ich ſah feſt, ich traute meinen
Augen nicht, ich wiſchte die Thraͤnen weg, ich ſah
von neuem und ſah immer nur einen bemahlten
Haubenſtock vor mir liegen, der mich mit ſeinen
ſtarren, ſchwarz gemahlten Augen fuͤrchterlich an-
grinßte. Mein Erſtaunen, meine Verwunderung,
meine Verwirrung blieb der Mutter nicht unbe-
merkt, es mehrte ihr ſanftes Laͤcheln, mit welchem
ſie mich unverwandt anblickte. Nicht wahr,
ſprach ſie endlich, ich habe eine ſchoͤne Tochter?
Unterdruͤcken Sie ihr Erſtaunen nicht, mehrere
Fremde haben Sie ſchon geſehen, und ſind mit
der Verſicherung geſchieden, daß ſie nie ein ſchoͤ-
neres Maͤdchen ſahen! O waͤre ſie nicht wahn-
ſinnig, ihre Schoͤnheit, ihr ſchmachtender, einneh-
mender Blick haͤtte ſchon laͤngſt das Herz eines
Fuͤrſten geruͤhrt, ſie waͤre ſeine Gattin, und koͤnn-
te ihre alte Mutter reichlich ernaͤhren! Aber nun
iſt jede Ausſicht verlohren! Schlaf Karoline,
ſchlaf! (ſie drehte den Kopf wieder ge-
gen die Wand, und zog die Vorhaͤnge
zu) der Schlaf iſt ihr einziges Gluͤck, denn ſchla-
fend fuͤhlt ſie ihr Ungluͤck nicht. — — Jetzt wer-
den Sie vergeben, ich muß in die Kuͤche gehen,
und eine Suppe kochen.
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