Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.stille, ihre Lippen beteten, endlich begann sie den Sei gegrüßt viel tausendmal! Sei gegrüßt! o Jungfrau rein! Du würkst Wunder ohne Zahl, Du erhörest groß und klein! Darum rufe ich zu dir: Mutter Gottes! Ach, hilf mir! ſtille, ihre Lippen beteten, endlich begann ſie den Sei gegruͤßt viel tauſendmal! Sei gegruͤßt! o Jungfrau rein! Du wuͤrkſt Wunder ohne Zahl, Du erhoͤreſt groß und klein! Darum rufe ich zu dir: Mutter Gottes! Ach, hilf mir! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="8"/> ſtille, ihre Lippen beteten, endlich begann ſie den<lb/> Geſang von neuem. Da ſie ihn dreimal wieder-<lb/> holte, ſo gewann ich Zeit, das ganze Lied in mei-<lb/> ne Schreibtafel zu ſchreiben. Es ſind ſeit dieſer<lb/> Zeit viele Jahre verfloſſen; aber wenn ich mich<lb/> dieſes Lieds erinnere, ſo toͤnt es noch immer me-<lb/> lodiſch in meinem Ohre. Man denke ſich ein<lb/> ſchoͤnes Maͤdchen, das im groͤßten Gefuͤhle der<lb/> Andacht, mit feſtem Glauben an ſichere Erhoͤ-<lb/> rung, auf der hoͤchſten Zinne eines Berges ſteht,<lb/> ſeine Haͤnde zum Himmel empor hebt, und mit<lb/> einem Ausdrucke, der ſich nicht beſchreiben laͤßt,<lb/> ſchoͤn und melodiſch ſingt, dann nur kann man<lb/> die Empfindungen meſſen, die es in mir erregte.<lb/> Das Lied hat gar keine poetiſchen Schoͤnheiten,<lb/> iſt voll Fehler, aber es iſt mir heilig geworden,<lb/> ich mag, ich wills nicht aͤndern, ich ſchreibe es<lb/> woͤrtlich ab, ich fuͤge die harmoniſche Melodie<lb/> bei, und erwarte den Eindruck, welchen es, ge-<lb/> ſungen von einem ſchoͤnen Munde, auf meine Le-<lb/> ſer machen wird:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Sei gegruͤßt viel tauſendmal!</l><lb/> <l>Sei gegruͤßt! o Jungfrau rein!</l><lb/> <l>Du wuͤrkſt Wunder ohne Zahl,</l><lb/> <l>Du erhoͤreſt groß und klein!</l><lb/> <l>Darum rufe ich zu dir:</l><lb/> <l>Mutter Gottes! Ach, hilf mir!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [8/0022]
ſtille, ihre Lippen beteten, endlich begann ſie den
Geſang von neuem. Da ſie ihn dreimal wieder-
holte, ſo gewann ich Zeit, das ganze Lied in mei-
ne Schreibtafel zu ſchreiben. Es ſind ſeit dieſer
Zeit viele Jahre verfloſſen; aber wenn ich mich
dieſes Lieds erinnere, ſo toͤnt es noch immer me-
lodiſch in meinem Ohre. Man denke ſich ein
ſchoͤnes Maͤdchen, das im groͤßten Gefuͤhle der
Andacht, mit feſtem Glauben an ſichere Erhoͤ-
rung, auf der hoͤchſten Zinne eines Berges ſteht,
ſeine Haͤnde zum Himmel empor hebt, und mit
einem Ausdrucke, der ſich nicht beſchreiben laͤßt,
ſchoͤn und melodiſch ſingt, dann nur kann man
die Empfindungen meſſen, die es in mir erregte.
Das Lied hat gar keine poetiſchen Schoͤnheiten,
iſt voll Fehler, aber es iſt mir heilig geworden,
ich mag, ich wills nicht aͤndern, ich ſchreibe es
woͤrtlich ab, ich fuͤge die harmoniſche Melodie
bei, und erwarte den Eindruck, welchen es, ge-
ſungen von einem ſchoͤnen Munde, auf meine Le-
ſer machen wird:
Sei gegruͤßt viel tauſendmal!
Sei gegruͤßt! o Jungfrau rein!
Du wuͤrkſt Wunder ohne Zahl,
Du erhoͤreſt groß und klein!
Darum rufe ich zu dir:
Mutter Gottes! Ach, hilf mir!
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