mich heirathen, und mit mir in meinem Häus- chen wohnen; hernach desertirte er, und da gab ich dem Bruder das Häuschen, und hernach -- -- hernach (mit schauderhaftem Gefühle) haben sie ihn erschossen und unter den Galgen be- graben, und -- -- dann! Ach dann mußte ich immer, immer für ihn beten! -- -- Wie ich in die Kirche kam, da stand er am Altare und las die Messe; aber er war's nicht, nein, er war's nicht! Auf der Kanzel stand er auch einmal, aber er war's nicht, nein, er war's nicht; -- -- Ach, wenn ich ihn nur erlößt hätte! Ich muß beten, ich muß für ihn beten! Nein, er war's nicht! er war's nicht! (leise) Sie haben ihn erschossen, und unter den Galgen begraben.
Sie betete jetzt still vor sich, ich wollte sie nicht stöhren, nicht neue Gefühle des Schmerzens in ihr wecken, und doch hatten die Bruchstücke ihrer Geschichte mein Herz sehr gerührt, es wünschte, sie ganz zu wissen, um vollkommnen Antheil dar- an nehmen zu können. Ich wagte es, die Mut- ter auf's neue zu bitten, und fand sie bereitwil- lig, mir alles zu erzählen. Mein seeliger Gatte, sprach sie, war ein ehrlicher und rechtschaffner Mann, er wirkte Strümpfe, und ernährte mich und seine zwei Kinder redlich. Der Sohn lernte das nämliche Handwerk, und gieng hernach in die Fremde; da er den Vater schon viel gekostet hatte, sich selbst zu ernähren im Stande war, so wollte er der Tochter doch auch etwas hinter-
lassen,
mich heirathen, und mit mir in meinem Haͤus- chen wohnen; hernach deſertirte er, und da gab ich dem Bruder das Haͤuschen, und hernach — — hernach (mit ſchauderhaftem Gefuͤhle) haben ſie ihn erſchoſſen und unter den Galgen be- graben, und — — dann! Ach dann mußte ich immer, immer fuͤr ihn beten! — — Wie ich in die Kirche kam, da ſtand er am Altare und las die Meſſe; aber er war's nicht, nein, er war's nicht! Auf der Kanzel ſtand er auch einmal, aber er war's nicht, nein, er war's nicht; — — Ach, wenn ich ihn nur erloͤßt haͤtte! Ich muß beten, ich muß fuͤr ihn beten! Nein, er war's nicht! er war's nicht! (leiſe) Sie haben ihn erſchoſſen, und unter den Galgen begraben.
Sie betete jetzt ſtill vor ſich, ich wollte ſie nicht ſtoͤhren, nicht neue Gefuͤhle des Schmerzens in ihr wecken, und doch hatten die Bruchſtuͤcke ihrer Geſchichte mein Herz ſehr geruͤhrt, es wuͤnſchte, ſie ganz zu wiſſen, um vollkommnen Antheil dar- an nehmen zu koͤnnen. Ich wagte es, die Mut- ter auf's neue zu bitten, und fand ſie bereitwil- lig, mir alles zu erzaͤhlen. Mein ſeeliger Gatte, ſprach ſie, war ein ehrlicher und rechtſchaffner Mann, er wirkte Struͤmpfe, und ernaͤhrte mich und ſeine zwei Kinder redlich. Der Sohn lernte das naͤmliche Handwerk, und gieng hernach in die Fremde; da er den Vater ſchon viel gekoſtet hatte, ſich ſelbſt zu ernaͤhren im Stande war, ſo wollte er der Tochter doch auch etwas hinter-
laſſen,
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mich heirathen, und mit mir in meinem Haͤus-
chen wohnen; hernach deſertirte er, und da gab
ich dem Bruder das Haͤuschen, und hernach — —
hernach (mit ſchauderhaftem Gefuͤhle)
haben ſie ihn erſchoſſen und unter den Galgen be-
graben, und — — dann! Ach dann mußte ich
immer, immer fuͤr ihn beten! — — Wie ich in
die Kirche kam, da ſtand er am Altare und las
die Meſſe; aber er war's nicht, nein, er war's
nicht! Auf der Kanzel ſtand er auch einmal,
aber er war's nicht, nein, er war's nicht; — —
Ach, wenn ich ihn nur erloͤßt haͤtte! Ich muß
beten, ich muß fuͤr ihn beten! Nein, er war's
nicht! er war's nicht! (leiſe) Sie haben ihn
erſchoſſen, und unter den Galgen begraben.
Sie betete jetzt ſtill vor ſich, ich wollte ſie nicht
ſtoͤhren, nicht neue Gefuͤhle des Schmerzens in
ihr wecken, und doch hatten die Bruchſtuͤcke ihrer
Geſchichte mein Herz ſehr geruͤhrt, es wuͤnſchte,
ſie ganz zu wiſſen, um vollkommnen Antheil dar-
an nehmen zu koͤnnen. Ich wagte es, die Mut-
ter auf's neue zu bitten, und fand ſie bereitwil-
lig, mir alles zu erzaͤhlen. Mein ſeeliger Gatte,
ſprach ſie, war ein ehrlicher und rechtſchaffner
Mann, er wirkte Struͤmpfe, und ernaͤhrte mich
und ſeine zwei Kinder redlich. Der Sohn lernte
das naͤmliche Handwerk, und gieng hernach in
die Fremde; da er den Vater ſchon viel gekoſtet
hatte, ſich ſelbſt zu ernaͤhren im Stande war,
ſo wollte er der Tochter doch auch etwas hinter-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/30>, abgerufen am 27.07.2024.
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