Ich. (heimlich zur Mutter) Hat sich denn der Tod ihres Geliebten bestätigt?
Die Alte. Ach, leider, nein! Ich erfuhr's nachher später, daß er weder auf's neue kapitu- lirt habe, noch auch desertirt sei. Es kamen so- gar einige Briefe auf der Post an meine Tochter, ich konnte sie vor Jammer nicht lesen, er ver- sprach ihr, wie mir andre sagten, noch immer's Heirathen. Ich ließ ihm den Zustand meines Kindes berichten; seit der Zeit haben wir keine Nachricht mehr von ihm erhalten.
Ich. Großer Gott! das war zu hart! Man raubte ihr also ihr Häuschen mit List; und mit diesem auch ihren Verstand!
Die Alte. (weinend) Ich habe keinen Theil an der That, ich darf sie einst auch nicht verantworten. War's Betrug, so ward ich mit ihr betrogen.
Ich. Habt ihr sie denn nicht von dem Leben ihres Liebhabers unterrichtet? Ihr nicht seine Briefe gezeigt?
Die Alte. Wir thaten's, aber es wurde schlimmer mit ihr. Sie glaubte es nicht, und hatte nachher öftere Erscheinungen, die sie oft bis zur Raserei brachten. -- --
Kätchen. (aufstehend) Kommt Mut- ter, wir wollen nach Hause gehen, wir haben kein Brod, ich muß arbeiten! (mit vieler Freude) Ach, ich werde heute recht fleißig
Ich. (heimlich zur Mutter) Hat ſich denn der Tod ihres Geliebten beſtaͤtigt?
Die Alte. Ach, leider, nein! Ich erfuhr's nachher ſpaͤter, daß er weder auf's neue kapitu- lirt habe, noch auch deſertirt ſei. Es kamen ſo- gar einige Briefe auf der Poſt an meine Tochter, ich konnte ſie vor Jammer nicht leſen, er ver- ſprach ihr, wie mir andre ſagten, noch immer's Heirathen. Ich ließ ihm den Zuſtand meines Kindes berichten; ſeit der Zeit haben wir keine Nachricht mehr von ihm erhalten.
Ich. Großer Gott! das war zu hart! Man raubte ihr alſo ihr Haͤuschen mit Liſt; und mit dieſem auch ihren Verſtand!
Die Alte. (weinend) Ich habe keinen Theil an der That, ich darf ſie einſt auch nicht verantworten. War's Betrug, ſo ward ich mit ihr betrogen.
Ich. Habt ihr ſie denn nicht von dem Leben ihres Liebhabers unterrichtet? Ihr nicht ſeine Briefe gezeigt?
Die Alte. Wir thaten's, aber es wurde ſchlimmer mit ihr. Sie glaubte es nicht, und hatte nachher oͤftere Erſcheinungen, die ſie oft bis zur Raſerei brachten. — —
Kaͤtchen. (aufſtehend) Kommt Mut- ter, wir wollen nach Hauſe gehen, wir haben kein Brod, ich muß arbeiten! (mit vieler Freude) Ach, ich werde heute recht fleißig
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Ich. (heimlich zur Mutter) Hat ſich
denn der Tod ihres Geliebten beſtaͤtigt?
Die Alte. Ach, leider, nein! Ich erfuhr's
nachher ſpaͤter, daß er weder auf's neue kapitu-
lirt habe, noch auch deſertirt ſei. Es kamen ſo-
gar einige Briefe auf der Poſt an meine Tochter,
ich konnte ſie vor Jammer nicht leſen, er ver-
ſprach ihr, wie mir andre ſagten, noch immer's
Heirathen. Ich ließ ihm den Zuſtand meines
Kindes berichten; ſeit der Zeit haben wir keine
Nachricht mehr von ihm erhalten.
Ich. Großer Gott! das war zu hart! Man
raubte ihr alſo ihr Haͤuschen mit Liſt; und mit
dieſem auch ihren Verſtand!
Die Alte. (weinend) Ich habe keinen
Theil an der That, ich darf ſie einſt auch nicht
verantworten. War's Betrug, ſo ward ich mit
ihr betrogen.
Ich. Habt ihr ſie denn nicht von dem Leben
ihres Liebhabers unterrichtet? Ihr nicht ſeine
Briefe gezeigt?
Die Alte. Wir thaten's, aber es wurde
ſchlimmer mit ihr. Sie glaubte es nicht, und
hatte nachher oͤftere Erſcheinungen, die ſie oft
bis zur Raſerei brachten. — —
Kaͤtchen. (aufſtehend) Kommt Mut-
ter, wir wollen nach Hauſe gehen, wir haben
kein Brod, ich muß arbeiten! (mit vieler
Freude) Ach, ich werde heute recht fleißig
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/38>, abgerufen am 27.07.2024.
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