die Tasche, ergriff seinen Knotenstock, und wan- derte feldeinwärts. Ich wagte es nicht, ihm nachzublicken, vielweniger zu folgen, und war vollkommen zufrieden, daß er mir meine Kühn- heit so großmüthig vergeben hatte. Ich schlich endlich auch weiter, die herrlichsten Kornfelder wallten vor mir in unzählichen Wellen, ich wollte die größten Aehren messen, aber der tiefdenkende Mann schien wieder vor mir zu stehen, und ich wich ehrfurchtsvoll zurück. Daß dieser Mann ein großer Philosoph, ein tiefdenkender Forscher, ein Haller oder ein Euler seyn müsse, kam mir nun nicht mehr aus dem Sinne. Seine Physiognomie hatte mich davon zu deutlich überzeugt, und Zwei- fel wäre nach so fester Ueberzeugung in diesen Au- genblicken Thorheit gewesen. Meine Neugierde regte sich nach und nach mächtig, ich wünschte so herzlich zu erfahren: wer er eigentlich sei? Ob vielleicht, was mir am wahrscheinlichsten dünkte, der fremde Gelehrte in nahen Badörtern die Kur brauche, und gleich mir eine Spazierreise nach diesen schönen Gefilden gemacht habe? Ueber bei- de Fragen hofte ich daheim nähere, wenigstens ei- nige Auskunft zu hören, und beschleunigte daher meinen Rückweg.
Wie ich am Schlosse anlangte, verkündigte die Glocke den Mittag, ich eilte stärker, und er- blickte im Hofe auf's neue den mir so merkwürdi- gen, grauen Mann, er stand mit dem Rücken ge-
die Taſche, ergriff ſeinen Knotenſtock, und wan- derte feldeinwaͤrts. Ich wagte es nicht, ihm nachzublicken, vielweniger zu folgen, und war vollkommen zufrieden, daß er mir meine Kuͤhn- heit ſo großmuͤthig vergeben hatte. Ich ſchlich endlich auch weiter, die herrlichſten Kornfelder wallten vor mir in unzaͤhlichen Wellen, ich wollte die groͤßten Aehren meſſen, aber der tiefdenkende Mann ſchien wieder vor mir zu ſtehen, und ich wich ehrfurchtsvoll zuruͤck. Daß dieſer Mann ein großer Philoſoph, ein tiefdenkender Forſcher, ein Haller oder ein Euler ſeyn muͤſſe, kam mir nun nicht mehr aus dem Sinne. Seine Phyſiognomie hatte mich davon zu deutlich uͤberzeugt, und Zwei- fel waͤre nach ſo feſter Ueberzeugung in dieſen Au- genblicken Thorheit geweſen. Meine Neugierde regte ſich nach und nach maͤchtig, ich wuͤnſchte ſo herzlich zu erfahren: wer er eigentlich ſei? Ob vielleicht, was mir am wahrſcheinlichſten duͤnkte, der fremde Gelehrte in nahen Badoͤrtern die Kur brauche, und gleich mir eine Spazierreiſe nach dieſen ſchoͤnen Gefilden gemacht habe? Ueber bei- de Fragen hofte ich daheim naͤhere, wenigſtens ei- nige Auskunft zu hoͤren, und beſchleunigte daher meinen Ruͤckweg.
Wie ich am Schloſſe anlangte, verkuͤndigte die Glocke den Mittag, ich eilte ſtaͤrker, und er- blickte im Hofe auf's neue den mir ſo merkwuͤrdi- gen, grauen Mann, er ſtand mit dem Ruͤcken ge-
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die Taſche, ergriff ſeinen Knotenſtock, und wan-
derte feldeinwaͤrts. Ich wagte es nicht, ihm
nachzublicken, vielweniger zu folgen, und war
vollkommen zufrieden, daß er mir meine Kuͤhn-
heit ſo großmuͤthig vergeben hatte. Ich ſchlich
endlich auch weiter, die herrlichſten Kornfelder
wallten vor mir in unzaͤhlichen Wellen, ich wollte
die groͤßten Aehren meſſen, aber der tiefdenkende
Mann ſchien wieder vor mir zu ſtehen, und ich
wich ehrfurchtsvoll zuruͤck. Daß dieſer Mann ein
großer Philoſoph, ein tiefdenkender Forſcher, ein
Haller oder ein Euler ſeyn muͤſſe, kam mir nun
nicht mehr aus dem Sinne. Seine Phyſiognomie
hatte mich davon zu deutlich uͤberzeugt, und Zwei-
fel waͤre nach ſo feſter Ueberzeugung in dieſen Au-
genblicken Thorheit geweſen. Meine Neugierde
regte ſich nach und nach maͤchtig, ich wuͤnſchte ſo
herzlich zu erfahren: wer er eigentlich ſei? Ob
vielleicht, was mir am wahrſcheinlichſten duͤnkte,
der fremde Gelehrte in nahen Badoͤrtern die Kur
brauche, und gleich mir eine Spazierreiſe nach
dieſen ſchoͤnen Gefilden gemacht habe? Ueber bei-
de Fragen hofte ich daheim naͤhere, wenigſtens ei-
nige Auskunft zu hoͤren, und beſchleunigte daher
meinen Ruͤckweg.
Wie ich am Schloſſe anlangte, verkuͤndigte
die Glocke den Mittag, ich eilte ſtaͤrker, und er-
blickte im Hofe auf's neue den mir ſo merkwuͤrdi-
gen, grauen Mann, er ſtand mit dem Ruͤcken ge-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/48>, abgerufen am 27.07.2024.
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